Die Geschichte der Gruppe B - Teil 4


B wie Begraben (1986)

Es sah so aus, als würde es das tollste Jahr in der Geschichte der Rallye-WM werden. Weltmeister Peugeot gegen die Hammergeräte von Lancia, Audi und den neuen Ford RS200. Doch das Jahr 1986 war noch keine drei Monate alt, da verstummte der Jubel, und zum Jahresende waren die Autos der Gruppe B Geschichte.

Was bisher geschah:

Seit Einführung der Gruppe B im Januar 1983 hat die Rallye-Welt reichlich Kurzweil und Abwechslung erlebt. Weil das Reglement nahezu alle technischen Lösungen erlaubt, kämpfen auch verschiedenste Konzepte gegeneinander. In drei Jahren gab es mit Lancia, Audi und Peugeot drei unterschiedliche Marken-Weltmeister. Auch bei den Fahrern kommt keinen  Eintönigkeit auf: Hannu Mikkola, Stig Blomqvist (beide Audi) und Timo Salonen (Peugeot) heißen die Titelträger. Die Fahrer haben allerdings schwer zu kämpfen, immer schneller und schwerer beherrschbar sind die Autos geworden. Allradantrieb und Aufladung haben nun praktisch alle. Audi hat mit dem geflügelten Ungeheuer Sport Quattro E2 erstmals die 500 PS-Marke geknackt. Mit Leistung und Spoilern versuchen die Ingolstädter das von Firmenchef Piech verordnete Frontmotor-Prinzip zu kompensieren. Das beste Auto im Feld ist jedoch seit Sommer1984 der Peugeot 205 Turbo 16 mit Mittelmotor. Das Ausufern der Technik fordert seinen Tribut. Attilio Bettega lässt 1985 in Korsika sein Leben, Ari Vatanen überlebt einen schweren Crash in Argentinien nur haarscharf.

Dass sechs Werksteams mit 14 Autos zum Saisonauftakt in Monte Carlo antreten, ist in der nun schon fast 100-jährigen Geschichte der „Königin der Rallyes“ keine Seltenheit, und doch war diese Rallye Monte Carlo einzigartig. Die drei Lancia Delta und Peugeot 205, die zwei Audi Quattro und MG Metro waren das Schärfste, was je die Garagen einer Rallye-Werkstatt verlassen hatte. Nun lungerten die wilden Tiere mit scharrenden Gummiwalzen in ihrem Käfig und rappelten an den Gittern, alle zusammen mühelos in der Lage bei konservativer Schätzung über fünfeinhalbtausend PS zu entfesseln, wenn man sie endlich freiließe.

Zugegeben, einige der Autos sahen deutlich biestiger aus, als sie waren. Die beiden Mazda RX7 mühten sich immer noch mit Heckantrieb und die nagelneuen Citroën BX, ja was war denn das? Hatte Audi mit dem kurzen Flügelmonster Quattro E2 schon mit teutonischer Gründlichkeit den Preis für das hässlichste Sportgerät der Moderne eingeheimst, bewies die französische Avantgarde, dass sich in der Kategorie visuelle Schmerzhaftigkeit durchaus noch eins draufsetzen ließ. Die viertürige Schräghecklimousine BX war im Versuch, die letzte Generation der DS abzulösen ohnehin optisch gescheitert, nun wollte man in Paris auch sportlich versagen. Nachdem man bei diversen Visa gar mit Doppelmotoren experimentiert und diverse Prototypen aus dem Boden gestampft hatte, stand da nun dieser weiße Riese mit seinen riesigen Überhängen und einem offensichtlich bei Audi abgeschauten Heckleitwerk.

Unter der Haube steckte im Prinzip der gleiche XU-Motor, wie ihn die Konzernschwester Peugeot für den 205 Turbo einsetzte, doch während das Weltmeisterauto längst die 500 PS-Marke hinter sich ließ, konnten die Citroën-Ingenieure ihrem Koffer gerade mal 380 PS abtrotzen. Irgendwer hatte entschieden, dass es ein Zweiventilkopf mit nur einer oben liegenden Nockenwelle auch tun müsse. Der BX4 TC genannte Neuling verfügte selbstverständlich als Kind seiner Zeit über permanenten Allradantrieb und als Kind der innovativen Vergangenheit des Konzerns auch in der Wettbewerbs-Ausgabe über ein hydropneumatisches Fahrwerk.

Asphalt-Haudegen Jean-Claude Andruet und WM-Frischling Philippe Wambergue kamen beim Debüt keine drei Prüfungen weit, dann waren beide BX mit Aufhängungsschäden ausgeschieden. Beim zweiten Versuch in Schweden holte Andruet immerhin Rang sechs, was weniger peinlich klingt als es ist, denn vor ihm landeten zwei seriennahe Gruppe-A-Audi, die knapp 200 PS weniger unter der Haube hatten. Nachdem man zur Erledigung elementarer Hausaufgaben die nächsten drei Läufe ausließ, tauchten die Franzosen in Griechenland wieder auf. Das überarbeitete Fahrwerk hielt noch kürzer als das bei der Monte, nach zwei Prüfungen waren die Citroën von der Bildfläche verschwunden. Wir widmen uns dem gescheiterten Gruppe-B-Neuling deshalb so ausführlich und greifen den Ereignissen schon weit vor, um das Thema an dieser Stelle auch sofort abzuschließen und nie wieder erwähnen zu müssen. Geistesgegenwärtig hatte jemand in der Zentrale den Stecker aus dem Projekt gezogen. Die BX tauchten nie wieder auf freier Wildbahn auf.

Ebenso schnell abhaken lässt sich das Kapitel MG. Zwar war Tony Pond bei der Premiere in der Heimat immerhin Dritter geworden, und diesen Rang belegte er zwischenzeitlich auch bei der Rallye Monte Carlo, doch das war eher ein Betriebsunfall als Leistung aus eigenem Vermögen. 1986 zeigte sich früh, dass der mit seinem gut fahrbaren Saugmotor gerüstete Zwerg für walisische Wälder eine halbwegs brauchbare Wahl war, doch bei Auswärtsspielen auf internationalem Parkett fehlte es so ziemlich an allem. Mit etwa 400 PS war der Dreiliter-V6 zu schwach, aber mangels Aufladung bereits ausgereizt. Das Fahrwerk hielt Rallyes vom Schlage einer Akropolis nicht stand. Es fehlte an allem: an Leistungsfähigkeit, an Zuverlässigkeit und nicht zuletzt an großen Namen auf den Fahrersitzen. Selbst wenn die MG-Mannen die Saison mehr oder weniger tapfer durchstanden und zur heimatlichen RAC-Rallye sogar sieben Autos entsandten, kam kein einziges gutes Resultat dabei raus.

Es blieben immerhin noch Peugeot, Lancia und Audi, und diese drei entfesselten beim Jahresauftakt ein nicht nur aus den Auspuffrohren mächtiges Feuerwerk. Henri Toivonen, der mit dem Delta S4 im Herbst 85 gleich einen Premieren-Sieg geholt hatte, stürmte auf der 44 Kilometer langen Chartreuse mit Kompressor- und Turbopower den Anderen auf und davon, nur Röhrl im über 500 PS starken Quattro konnte halbwegs folgen. Nach dem San Remo-Sieg herrschte auch im deutschen Lager trotz des ungeliebten Frontmotor-Konzepts wieder Zuversicht. Doch erneut kostete Schlamperei ein starkes Ergebnis. Auf einer furztrockenen Prüfung erlitt Röhrl einen Plattfuß, doch im Kofferraum fand sich nur ein Spike-Reifen als Ersatz. Fünfeinhalb Minuten gingen zum Teufel und damit auch alle Siegchancen. Weil Toivonen ebenfalls einen Platten fuhr und sich zudem einmal in der Reifenwahl vergriff, führte zeitweilig Weltmeister Timo Salonen, bis Lancia dank überlegener Pirelli-Gummis im Schnee der letzten Etappe zurückschlug. 40 Jahre nach Vater Pauli gewann wieder ein Toivonen in Monte Carlo.

Schon bei der Monte zeigten sich vier Dinge sehr deutlich. Erstens: Trotz unterschiedlichster Konzepte ist der Kampf an der Spitze ausgeglichen. Zweitens: Weil die Gruppe-B-Autos mit so extremer und ständig weiter entwickelter Technik antreten, versagen ständig irgendwelche Teile, was das Feld immer wieder durcheinander würfelt. Kostprobe gefällig? Markku Alén hat im zweiten Delta Fehlzündungen und am Ende einen Nockenwellenschaden, bei Teamkollege Massimo Biason gibt es neben dem Zündungsproblem auch Ärger mit der Bremshydraulik, am Ende fliegt der Italiener ab. An Kankkunens Peugeot schließlich arbeitet die Einspritzung nur unzureichend. In dieser Art geht es eigentlich das ganze Jahr weiter.

Das dritte zu erwähnende Phänomen ist ein Reifenkrieg, wie er bisher im Rallyesport unbekannt war. Zwischen Pirelli und Lancia sowie Michelin und Peugeot verlief die Frontlinie. Ständig buken die Reifenköche neue Pneus, mal mit anderer Rezeptur, mal mit größerer Breite. So schlug das Pendel mehrmals in diesem Jahr zur jeweils anderen Seite aus und sorgte für ein zusätzliches Überraschungsmoment, allerdings zum Preis einer horrend teuren Aufrüstung, und damit wären wir bei Punkt vier. Der Aufwand nahm mittlerweile derartige Dimensionen an, dass Lancia Henri Toivonen noch vor der letzten Monte-Etappe in einem Hubschrauber in die Berge flog, wo ein Delta S4-Trainigsauto auf ihn wartete, mit dem er die finalen Prüfungen noch einmal abfuhr.

Dennoch: Lancia vor Peugeot und Audi, das war ein hübsch buntes Ergebnis zum Auftakt, alle waren irgendwie bei der Musik gewesen und hatten am Ende was zu feiern. Das galt auch für das Publikum. Es ist zwar lediglich eine Legende, dass niemals mehr Zuschauer die Passhöhe des Col de Turini säumte als 1986, aber zugegebenermaßen stieg mit dem Ladedruck der Motoren auch das öffentliche Interesse am Rallyesport stark an.

Es waren die letzten unbeschwerten Wochen einer Ära, aber das wusste jetzt noch keiner, und so zog der Tross munter nach Schweden, um ein neues Fest zu feiern, und gar noch einen weiteren Neuling zu begrüßen. Ford war zurück - und wie! Nach dem im Keim erstickten Escort-Turbo-Projekt saß man immer noch auf 200 prima BDT-Motoren, drumherum zeichnete kein Geringerer als Brabhams Formel 1-Design-Guru Gordon Murray erste Skizzen, John Wheeler schließlich stellte eine Mittelmotor-Rakete namens RS200 auf die Räder, die dank optischem Schliff bei Ghia aussah, als wäre sie auf dem Weg zu den 24 Stunden von Le Mans. Um das Einsatzgerät möglichst unabhängig von irgendwelchen Serienautos und deren Modellwechseln und konzeptionellen Eigenheiten zu machen, wollte Sportchef Stuart Turner ein eigenständiges Modell.

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