Die Geschichte der Gruppe B - Teil 4


Dachlinie und Scheiben sowie die Türen waren dem Sierra entlehnt, letztere allerdings 20 cm kürzer, weil der RS200 so flach war. Der Ford hatte alle Komponenten, die in diesen Tagen zum Siegen nötig waren und vielleicht sogar ein bisschen mehr. Um den Schwerpunkt abzusenken und die Gewichtsverteilung zu optimieren steckte das Hinterachsdifferenzial vorn schräg unter dem Motor. Die Kraftverteilung mit drei Visco-Sperren war selbstverständlich variabel, auf Schotter fuhr man mit 46 Prozent Kraft auf der Vorderachse, auf Schotter waren es 37 Prozent. Spaßeshalber ließ sich das Auto per Knopfdruck sogar auf reinen Hinterradantrieb umschalten.

Alle vier Räder waren wie bei Rennautos an doppelten Querlenker aufgehängt. Der RS200 hatte gigantische Federwege, die ihn für jedes Gelände tauglich machten. Die Dämpfung übernahmen rundum doppelte Dämpfer mit Schraubenfedern. Zur Verbesserung der Service-Freundlichkeit und besseren Kosten-Effizienz wurden an allen vier Aufhängungen nahezu identische Teile verwendet.

Der RS 200 zeigte sofort sein Potenzial. Neuzugang Stig Blomqvist konnte sowohl beim Debüt in Schweden als auch auf griechischem Schotter Bestzeiten fahren, allerdings rutschte der Weltmeister von 1984 auch gern mal in den Graben. Der Ford hatte drei Schwachpunkte: Das in Wabenbauweise gefertigte Chassis war verglichen mit der Rohrrahmen-Konkurrenz zu schwer, das Getriebe machte ständig Zicken, und dem Auto blieb nicht genug Zeit, um den Gegnern am Ende den Schneid abzukaufen.

Die Tragödie nimmt ihren Lauf

Es war ausgerechnet ein Ford, der beim Auftakt des dritten Laufes in Portugal von der Strecke abkommt und in eine Menschenmenge rast. Drei Zuschauer sind sofort tot, mindestens ein weiterer stirbt später im Krankenhaus, letztendlich gab es nie offizielle Zahlen, was aus den 30 Verletzen wurde. Warum der dreimalige portugiesische Meister Joaquim Santos die Gewalt über sein Auto verlor, blieb ungeklärt. Mit einem Schlag rückte ein Thema in den Mittelpunkt, das Teams, Hersteller, die Sportbehörde FISA und die Veranstalter immer wie ein unabwendbares Naturschauspiel, wie Ebbe und Flut betrachtet hatten: die Sicherheit der Zuschauer.

Schon auf der Auftaktprüfung hatte Timo Salonen einen Kameramann abgeräumt und ihm das Bein gebrochen. Es war nicht das erste Mal in diesen Jahren, dass ein Fan das Wochenende in Gips beendete. Ein großer Teil der in nahezu voller Mannschaftsstärke angereisten Weltelite fuhr durch die unkontrollierten Menschenmassen längst mit gebremstem Schaum. Selbst nach der Katastrophe herrschte bei der FISA Ratlosigkeit. Eine „magische Lösung“, um dem Problem der Menschenmassen Herr zu werden, habe man nicht, schallte es trotzig aus Paris.

Stattdessen schob Sport-Präsident Jean-Marie Balestre den Autos alle Schuld zu. Die seien eben viel zu schnell. Dass ausgerechnet im Santos-Ford wegen eines Fertigungsengpasses mit neuen Getrieben lediglich ein abgespeckter Motor mit 350 PS zum Einsatz kam, interessierte den obersten Sportfunktionär kein Stück. Balestres Stellvertreter und Fahrtleiter Cesar Torres versuchte, seine Rallye zur Tagesordnung übergehen zu lassen, hatte aber die Rechnung ohne seine Stars gemacht. Die Werksfahrer rotteten sich in einem Hotel zusammen und waren sich schnell einig, dass man keineswegs gewillt war weiterzufahren. „Wir sind doch keine Mörder“, sagte Rädelsführer Röhrl.

Der bei einem Sportwagenrennen weilende Lancia-Sportchef Cesare Fiorio wies Teammanger Nini Russo an, seine teuer bezahlten Angestellten notfalls gewaltsam in die Autos zu verfrachten, doch der keine 1,70 Meter messende Italiener zuckte mit den Schultern und bekannte: „Ich bin doch nicht Schwarzenegger.“

Balestre war stinksauer über die Fahnenflucht der Fahrer, doch das Reglement sah in solchen Fällen keine Sanktionen vor, das Gleiche galt für das Thema Zuschauersicherheit. „Wenn keiner richtig weiter weiß, dann gründet man nen Arbeitskreis“, war schon damals ein bewährtes Motto.

Die Tragödie von Lagoa Azul und das zu erwartende Chaos bei der Rallye San Remo im Herbst brachte in diesem Jahr Dinge auf den Weg, die im modernen Rallyesport längst selbstverständlich sind. Der Veranstalter in Finnland richtete erstmals Sperrzonen an gefährlichen Stellen ein, der Automobilclub San Remo organisierte einen Hubschrauber, um die Prüfungen vor dem Start kontrollieren zu können, am Boden taten das nun Vorausfahrzeuge, die das Publikum warnten und im Notfall per Funk für einen Abbruch plädieren konnten.

Das alles spielte in Ingolstadt keine Rolle mehr. Dass seine Autos nicht mehr gewannen, war eine Sache, dass statt der Propagierung des technischen Vorsprungs Schlagzeilen mit von Audi-Fahrern ausgelöschten Menschenleben die öffentliche Meinung beherrschen könnten, war Konzernchef Ferdinand Piech zu viel. Nach fünfeinviertel Jahren verabschiedeten sich die Quattros über Nacht von der WM-Bühne.

Es kam noch schlimmer. Nachdem die hoch gezüchtete Allrad-Meute in Afrika wieder einmal vorgeführt hatte, wie anfällig unausgegorene Technik sein kann und zum dritten Mal in Folge gegen den simplen, aber unverwüstlichen Toyota Celica verloren hatte, ging es nach Korsika. Auf trockenem Asphalt konnten die Boliden mit ihren fetten Slickwalzen und vollem Ladedruck erstmals in diesem Jahr die ganze Breitseite schießen, und keiner hatte mehr Durchschlagskraft als Henri Toivonen im Delta S4. Nach zwei Etappen lag der Finne schon mit drei Minuten vorn, doch er fühlte sich nicht gut. Korsika war eine Marter, die Prüfungen regelmäßig über 30 Kilometer lang, nahezu keine Gerade zur Erholung. Vollgasstücke schmolzen bei 500 PS blitzschnell zu Spätbremszonen. Zudem waren die Pausen ziemlich kurz. Vor der Rallye hatten die Fahrer auf Streckenverkürzung plädiert, doch der FISA-Präsident schmetterte das Gesuch ab.

Toivonen laborierte an einer Erkältung und verbrachte die kurze Erholungsphase weitgehend im Lancia-Wohnmobil. Keine zwei Stunden später waren er und Beifahrer Sergio Cresto tot. In einer schnellen Linkskurve war der Lancia ohne den Versuch zu bremsen eine Böschung hinuntergestürzt und in eine Baumgruppe geschlagen. Das Auto stand sofort in Flammen, niemand konnte die Verunglückten retten.

Es gab nie eine sorgfältige Untersuchung über die Unfallursache, doch noch bevor eine solche hätte beginnen können, glaubte Jean-Marie Balestre die Lösung  gefunden zu haben. Der FISA-Chef bekannte, das Fass sei übergelaufen, die Gruppe B würde kraft seines Amtes zum 31. Dezember 1986 abgeschafft.

Es bestand für die meisten Insider kein Zweifel, dass die Autos zu schnell geworden waren. Allenfalls ein Dutzend Menschen auf der Welt war in der Lage, ein Auto, das auch im höchsten Gang auf trockener Straße noch mit durchdrehenden Rädern kämpft, im Zaum zu halten. Selbst den Ingenieuren wurde zuweilen mulmig, wenn sie mit einer neuen Evolution die nächste, noch stärkere Raketenstufe zündeten. Die Fahrer testeten und sprachen sich zuweilen freiwillig für die zahmere Lösung aus. Als Peugeot einen neuen Turbolader für die Rallye San Remo probierte, bekannte Beifahrer Juha Piironen: „Es war, als ob es dir die Augäpfel durch den Kopf in den Sitz drückte.“ Fahrer Juha Kankkunen entschied sich bei der Rallye für den kleineren Lader.

Auch das Spiel mit dem Feuer war den Beteiligten nur allzu geläufig. Ständig brannten die Autos. Bei Ford übte Testfahrer Malcolm Wilson sogar das schnelle Aussteigen, weil in den frühen RS 200 auch ohne Baumtreffer alle Nase lang die Flammen züngelten. Glühende Turbolader waren aus Platz- und Gewichtsgründen in nächster Nähe zu Benzintanks platziert. Beim Lancia lag das Spritreservoir unter den Sitzen. Zudem kam aus Gewichtsgründen immer mehr Kohlefaser zum Einsatz. Bei den Metallen war Magnesium der letzte Schrei, beides brennt wie Zunder.

Schon im Frühjahr 1985 hatte man bei der FISA darüber nachgedacht, nach Ablauf des für fünf Jahre geltenden Gruppe-B-Reglements deutlich restriktivere Regeln zu verfassen. Unter dem Namen Gruppe S sollten maximal 300 PS starke und mit schmaleren Reifen ausgerüstete Autos ohne massive aerodynamische Hilfen und ohne exotische Materialien aus der Taufe gehoben werden. Das „S“ stand für Silhouette. Die Karosse sollte in ihren Umrissen einem gängigen Serienauto entsprechen, um prototypische Auswüchse zu vermeiden. Im Prinzip nahm die Gruppe S in weiten Teilen das 1997 eingeführte Reglement für World Rally Cars vorweg, doch eingeführt wurde es nie.

Zunächst verklagte Peugeot die FISA wegen des administrativen Schnellschusses auf heute umgerechnet etwa 4,5 Millionen Euro. Schließlich galt das Gruppe-B-Regelwerk laut Statut noch bis Ende 1987. Doch die Sporthoheit verwies auf den bis heute beliebten Passus, in Sicherheitsfragen seien jederzeit Adhoc-Entscheidungen möglich. In zweiter Instanz verlor Peugeot vor Gericht, Sportchef Jean Todt wanderte mit seinen 205 Turbo ab in die Wüste, wo sein Team über Jahre die Paris-Dakar beherrschte.

Weltmeister für elf Tage

Zuvor allerdings galt es noch, den letzten WM-Titel der Gruppe-B-Ära an Land zu ziehen. Ohne Toivonen und mit einem ständig an Defekten laborierenden und auch nicht jünger werdenden Markku Alén war Lancia letztendlich chancenlos. Es begann die Ära seines deutlich jüngeren Landsmannes Juha Kankkunen, der vom Neuling gleich zu einer Bank wurde. Mit drei Siegen in Folge zur Saisonmitte holte sich Kankkunen ein Polster, das auch zwei späte Siege von Alén nicht aufholen konnte.

Dennoch hieß der Weltmeister nach dem letzten WM-Lauf in den USA zumindest für elf Tage Markku Alén. Bei der Rallye San Remo hatte Lancia-Sportchef Fiorio den Sportkommissaren den Tipp gegeben, sich die Peugeot-Unterböden genauer anzusehen. Seit dem schlimmen Frühjahr waren alle Teile verboten, die eine Art Unterdruckeffekt erzielen konnten, und der 205 Turbo trug dort zwei Leisten, die laut der Ingenieure als Flankenschutz der Ölwanne gegen Steinschläge installiert waren.

Obwohl die FISA nie Einwände erhob und die Peugeot bereits bei drei anderen WM-Rallyes anstandslos die technische Abnahme passiert hatten, zogen die italienischen Funktionäre die französischen Renner noch vor dem Ende der Veranstaltung aus dem Verkehr. FISA-Chef Balestre lag zwar mit Peugeot im Krieg, doch als gleichzeitiger Chef des französischen Motorsport-Verbandes FFSA sah er hier einen Eingriff in die Hoheitsrechte der Grande Nation. Monate später erklärte das Sportgericht die Disqualifikation für ungültig. Es blieb keine andere Wahl, als den italienischen WM-Lauf nachträglich zu annullieren.

Die Marken-WM hatte Peugeot schon zuvor in Finnland klar gemacht, nun war auch der Fahrer-Titel an einen Peugeot-Mann gegangen. Obwohl letztendlich allen klar war, dass es mit der Gruppe B nicht so weitergehen konnte wie bisher, obwohl die Autos mit ihren noch unausgegorenen Allradsystemen, den kleinen Rädern und schwachen Bremsen extrem schwer zu beherrschen waren, schwärmen die, die dabei waren, heute mehr von den frühen Achtzigern als jeder anderen Epoche. Ein Fahrer, der eine Rallye oder gar einen Titel gewann, konnte nicht nur Befriedigung daraus ziehen, alle anderen alt aussehen gelassen zu haben, er hatte scheinbar auch ein bisschen die Physik besiegt. Na gut, schon Münchhausen war auf einer Kanonenkugel geritten, aber selbst der berühmte Lügenbaron hätte sich wohl kaum die unglaubliche Geschichte ausgedacht, er hätte so ein Projektil mit Tempo 200 durch dunkle Waldschneisen gelenkt. „Je mehr Power du hast, desto mehr kommt es auf den Fahrer an. Die Gruppe-B-Autos waren Autos für die großen Jungs“, sagt Juha Kankkunen heute.

Ablösung durch die Gruppe-A

Als die WM 1986 vorbei war und das Gruppe-A-Zeitalter vor der Tür stand, setzte sich Kankkunens bisheriger Teamkollege Timo Salonen ans Steuer seines neuen Arbeitsgerätes. Es standen Tests für die Schweden-Rallye an, und der Weltmeister von 1985 schloss die Tür seines Mazda 323 4WD. Mit Turboaufladung und Allradantrieb galt der Mazda vor der neuen Saison als eines der Topautos der neuen Ära, sein 1,6 Liter-Motor entwickelte etwa 240 PS. Salonen drehte den Kopf zu Beifahrer Seppo Harjanne und fragte: „Sollen wir dazu überhaupt die Helme aufsetzen?“

Die Sieger der Saison 1986
Monte CarloToivonen/Cresto (FIN/I), Lancia Delta S4
SchwedenKankkunen/Piironen, (FIN/FIN), Peugeot 205 Turbo 16 E2
PortugalMoutinho/Fortes (P/P), Renault 5 Turbo
Safari Waldegaard/Thorszelius (S/S), Toyota Celica Turbo
Korsika Saby/Fauchille (F/F), Peugeot 205 Turbo 16 E2
Akropolis Kankkunen/Piironen, (FIN/FIN), Peugeot 205 Turbo 16 E2
Neuseeland Kankkunen/Piironen, (FIN/FIN), Peugeot 205 Turbo 16 E2
Argentinien Biasion/Siviero (I/I), Lancia Delta S4
Finnland Salonen/Harjanne (FIN/FIN), Peugeot 205 Turbo 16 E2
Elfenbeinküste* Waldegaard/Gallagher (S/S), Toyota Celica Turbo
San Remo** Alén/Kivimäki (FIN/FIN), Lancia Delta S4
RAC Salonen/Harjanne (FIN/FIN), Peugeot 205 Turbo 16 E2
Olympus* Alén/Kivimäki (FIN/FIN), Lancia Delta S4
Marken-Weltmeister Peugeot
Fahrer-Weltmeister Juha Kankkunen, Peugeot
*nur Fahrer-WM | **nachträglich annulliert

 

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