Die Geschichte der Gruppe B - Teil 1


B wie Buchstabensuppe (1983)

Es kam alles daher, dass Curt Schild dieses Jucken im Hinterkopf hatte. Immer, wenn der oberste technische Kommissar der Weltmotorsport-Behörde FISA wieder einmal mit ansehen musste, wie so ein aufgepumpter Fiat selbst auf knochentrockenen Asphalt-Straßen Leistungssportler vom Schlage eines Porsche 911 verblies, beschlich ihn so ein undefinierbares Unwohlsein. Wir schreiben das Jahr 1980. Der letzte Porsche-Sieg ist schon zwei Jahre her und auch der unglaubliche Stratos ist längst in die Jahre gekommen. Die tollsten Geräte der Gegenwart heißen 131 Abarth oder Escort Mark II, und auch wenn die Namen noch halbwegs klangvoll sind, verbergen sich dahinter aufgedonnerte Familien-Kutschen. Und schon ist es wieder da, dieses unangenehme Jucken.

Curt Schild ist Schweizer, und weil im Land der Eidgenossen alles seine Ordnung hat, gehört sich das auch im Reglement der Rallyeweltmeisterschaft. Ohnehin ist es mal wieder Zeit für eine Oberstufenreform, denn die letzte große Überarbeitung der Technik-Regeln gab es 1966. Seit dem Pleistozän des Rallyesports gilt eine Gruppeneinteilung von eins bis vier, von der seriennahen Stangenware bis zur hoch gezüchteten Sonderanfertigung.

Zunächst einmal bremsten der frisch gebackene Sport-Präsident Jean-Marie Balestre und Schild die technischen Freiheiten der Gruppe 4 ein, dann kam ihnen die revolutionäre Idee, das Zahlensystem durch Buchstaben zu ersetzen. Fortan sollte die Gruppen-Einteilung von A bis C reichen, wobei das A für Allerweltsautos stand und das C für Curts Rennsport-Prototypen. Das B stand für Bolide und in dieser Gruppe sollten sich fortan die Top-Rallye-Autos tummeln. Während die Gruppe A noch bestimmte Innenraummaße vorschrieb, die allzu abgedrehte Entwürfe verhindern sollte, waren in der Gruppe B nahezu alle Schläge erlaubt.

Wir spulen an dieser Stelle ein Stück vor, um den Fluss der Geschichte nicht allzu sehr mit dem politischen Hickhack, der nach der Grundsteinlegung des neuen Regelwerks folgte, zu behindern. Fakt ist, dass die Gruppe B theoretisch im Jahr 1982 bereits in Kraft trat, aber nahezu kein Hersteller ein nach diesen Regularien gebautes Auto im Stall stehen hatte. Ganz im Gegenteil: Ford hatte sich mit dem ollen Escort zurückgezogen und bastelte seit Anfang 1981 am Nachfolgemodell, mit 1,7 Liter-Turbomotor. Seit bei Aufladungspionier Renault die Formel 1-Motoren nicht mehr im Minutentakt in weißen Rauchpilzen aufgingen, und Saab die Zähmung der Turbinentechnik für Rallye-Zwecke schon halbwegs erfolgreich vorgeführt hatte, galt Turbotechnik als der letzte Schrei. Bei den jüngsten Werksteams von Renault und Audi ging seit Herbst 1980 keiner mehr ohne ordentlich Ladedruck vor die Tür.

Dumm war nur, dass man bei Ford den letzten Schuss nicht gehört hatte. Mit der Ignoranz dessen, der schon alles ausprobiert hat, ließ man das Thema Allradantrieb verächtlich links liegen, seit ein Ford Capri Mitte der Siebziger auf dem Testgelände in Boreham mit dem Antrieb eines Landrover kläglich versagt hatte. Der brutale Leistungseinsatz eines Turbomotors ließ ein Auto mit Frontmotor und Heckantrieb zwar tolle Furchen in die Straße ziehen, aber schnell und gut fahrbar war was anderes.

Wer war sonst noch da? Talbot hatte sich mit dem Gruppe-2-Sunbeam zurückgezogen, weil der ohnehin nur etwas gewinnen konnte, wenn andere schwächelten oder durch Abwesenheit glänzten, und weil der neue Sportchef Jean Todt große Gruppe-B-Pläne aus den Schubladen zog. Doch in Paris war man noch nicht so weit. Da wäre noch Datsun, der schwerer Koffer 1600 J zwar ziemlich unzerstörbar war, dessen Besatzungen aber außerhalb von Afrika  das Podium allenfalls mit Operngläsern sehen konnte. Opel gab 1982 mit dem Ascona 400 richtig Gas, aber die Heckschleuder aus Rüsselsheim war schon Ende der Siebziger entwickelt worden und wie die Homologations-Stückzahl 400 im Namen schon verrät ein lupenreines Gruppe 4-Auto. Das gleiche galt für den Renault 5 Turbo, der seit dem Stratos erstmals wieder auf ein Mittelmotor-Konzept setzte. Doch die Monte-Carlo-Sieger von 1981 mussten feststellen, dass der Frosch mit den dicken Backen allenfalls auf Festbelägen zu den Sieganwärtern zählte.

Und dann war da noch Audi. Die Ingolstädter hatten den Quattro 1981 ebenfalls in der Gruppe 4 homologiert, ihr Allradantrieb zerrieb die Gegner auf den meisten Schotterstraßen zu Staub, wenn die dicken, deutschen Coupés nicht gerade selbst zerbröselten. Es ist eine weit verbreitete Legende, dass die Einführung des freizügigen Gruppe-B-Reglements dem ausufernden Wahnsinn Tür und Tor geöffnet hätte, aber die Wahrheit ist, dass es die Kombination von mühelos realisierbarer, horrender Leistung durch Turboaufladung und die Umsetzung derselben in brachialen Vortrieb dank Allradantrieb war, die dem Rallyesport einen Schub gab, den niemand voraussah.

Nicht einmal in Italien, wo mit Cesare Fiorio als Fiat- und Lancia-Sportchef in Personalunion Mister Superclever am Ruder stand, überriss man die Zukunft. Die Abarth-Ingenieure träumten nach der Festlegung des Gruppe-B-Reglements von einer Wiedergeburt des Stratos. Ein leichtes Mittelmotor-Auto mit zwei Schleudersitzen und dem Motor dahinter sollte es sein. Weil Chefkonstrukteur Sergio Limone erkannte, dass bei den Turbos nach jedem Tritt aufs Gaspedal erst einmal Hängen im Schacht ist, weil sich der Ladedruck erst aufbauen muss, setzte er auf Kompressoraufladung. So eine Roots-Turbine wird durch die Kurbelwelle angetrieben und kostet wegen der wachsenden Reibung im oberen Drehzahlbereich mehr Kraft als sie durch den zusätzlichen Sauerstoff bringt, doch unten rum hat der Motor schon Bumms, wenn ihn nur ein ungeschnittener Zehnagel antippt.

Weil man auf diesem Gebiet keine Erfahrung hatte, und es sich mit dem Leichtbauprinzip nicht vertrug, verzichtete Lancia auf den Allradantrieb. Immerhin hörten die Italiener wie so oft das Gras in Paris schneller wachsen als alle anderen. Der auf dem Beta Montecarlo basierende und 1982 in der erforderlichen Serien-Stückzahl von 200 Exemplaren gebaute Typ Rally 037 war das erste reinrassige Gruppe-B-Auto.

Als Stammkraft Markku Alén zu den ersten Probeeinsätzen aufbrach, stellte sich schnell Ernüchterung ein. Die ersten Rallye-Exemplare des 037 ähnelten unter dem Plastikkleid noch sehr der Basis-Version. Das Auto war schwer fahrbar und defektanfällig. Aber da gab es ja noch die Geschichte mit der Evolution. Mit Hinblick auf Modellpflegemaßnahmen der Hersteller erlaubte die FISA nach dem Baustopp eines Serien-Autos das Nachschieben einer Sonderserie von 20 Stück, bei denen sich auch erhebliche technische Verbesserungen realisieren ließen. Prompt stellte Cesare Fiorio schon zur Homologation des 037 die Produktion ein und stellte direkt 20 Evo-Modelle daneben.

weiter auf Seite 2