Die Geschichte der Gruppe B - Teil 3


Bettega-Tragödie und ein erstes Umdenken

Auf festem Untergrund war der Lancia Rally noch halbwegs bei der Musik, und so hatte Italiens Asphalt-Ass Attilio Bettega durchaus Ambitionen, als er nach Korsika kam. Erst 1982 war er auf der Insel mit einem der ersten 037 schlimm abgeflogen und hatte sich beide Beine gebrochen, nun ließ er sein Leben dort. Schon auf der dritten Prüfung schmierte er mit vermutlich noch kalten Reifen ab, und prallte mit der Fahrertür breitseits gegen einen Telegrafenmasten. Bettega war sofort tot, während Beifahrer Perissinot nahezu unverletzt blieb. Der Italiener war der erste Topfahrer seit vielen Jahren, der in der Rallye-WM ums Leben kam, und den seitlichen Aufprall bei hohem Tempo hätte möglicherweise auch in einem modernen World Rally Car niemand überlebt, dennoch setzten plötzlich erste Diskussionen ein, ob das alles nicht viel zu gefährlich sei. Was würde erst passieren, wenn  man sich statt mit einem alten Kompressor-Renner mit 350 PS mit einem 500 PS-Allradboliden aus der Umlaufbahn schoss?

So wüst und toll die Autos auch aussahen, so fantastisch sie mit ihren Turbos und vier angetriebenen Rädern beschleunigten, so blieben sie trotz aller Ingenieurskunst doch irgendwie automobiles Stückwerk. Die Fahrwerke waren mit den auftretenden Kräften überfordert, die Reifen hatten längst nicht die Haftung, um mit unbändigen 450 PS fertig zu werden, noch schlimmer sah es bei den Bremsanlagen aus.

Als im Sommer Ari Vatanen in Argentinien einen Hochgeschwindigkeits-Crash erlebte, der ihn bis kurz vor die Himmelspforte katapultierte, bekamen die Zweifler weitere Argumente. Längst hatte man auch bei der FISA nach dem Ablauf des vorläufig bis 1986 geltenden Gruppe-B-Reglements die deutlich langsamere Gruppe S ersonnen, doch das begeisterte sowohl in den Technikabteilungen als auch in den Cockpits wenige.

Es war eine Zeit großer Aufbruchstimmung. Dank des freizügigen Regelwerks waren nahezu alle Schläge erlaubt. Nie zuvor gab es in einer Motorsport-Disziplin so viel technische Vielfalt und Freiheit. Alles schien möglich, alles schien mit der nächsten Evolutionsstufe lösbar. Das Rallyevolk erfasste eine Stimmung, wie es sie zuletzt 1912 gab, als das Industriezeitalter eine technische Revolution nach der anderen hervorbrachte, als der Mensch dachte, er sei so genial, dass er die Elemente beherrschen könnte. 1912, das war auch das Jahr als in Southhampton die Titanic zu ihrer Jungfernfahrt aufbrach.

Wie man richtig absäuft, können die Briten besonders gut demonstrieren, nicht zuletzt wegen des chronisch schlechten Wetters. Irgendwie muss es den Verantwortlichen bei British Leyland ganz schon ins Hirn geregnet haben, denn die an sich geniale Idee, aus dem MG Metro ein Rallye-Auto zu machen, drängte sich auf, schließlich war der neue Kleinwagen der rechtmäßige Erbe der Rallye-Legende Mini Cooper. So hatte man bei der ersten Präsentation des Prototypen ein rotes Auto mit weißem Dach hingestellt, nur an der weiteren Umsetzung haperte es gewaltig.

Nach wenig erfolgreichen Versuchen mit einem vorn eingebauten Rover-Achtzylinder, der den Fahrer praktisch auf den Rücksitz verbannte, entschied man sich schließlich für einen auf der Hinterachse sitzenden V6. Man hatte einfach dem V8 zwei Zylinder abgeschnitten. Mit Turboladern hatte die Mannschaft von John Davenport keine Erfahrung, so schien ein Dreiliter-Sauger die bessere Wahl, noch dazu, wo ständig das Gerücht durch den Rallye-Zirkus geisterte, die FISA werde demnächst den Turbofaktor von 1,4 auf 1,7 anheben, womit die Mindestgewichte der aufgeladenen Autos empfindlich steigen würden.

960 Kilogramm hätte der Metro wiegen dürfen, doch in Wahrheit trat der kleinste Gruppe-B-Renner mit 1.040 Kilo an. Während Peugeot dem 205-Gerippe das letzte Fett von den dürren Knochen schälte und Stahl-Teile gegen solche aus Aluminium austauschte und Alu-Teile gegen noch leichteres Magnesium – die Rohrrahmen tapezierten längst alle Topteams mit Kohlefaser-Teilen, trat MG anfangs mit einer Fiberglas-Karrosse an. Man könne ja später noch auf Karbon umrüsten, dachte man im Feldlager von British Leyland. Dabei war bei der Rüstungsgeschwindigkeit der Gruppe B-Ära völlig klar, dass es kein später geben würde, weil die anderen längst mit neuen Innovationen am Horizont verschwinden würden.

Weil der kurze Allrader von Formel-1-Konstrukteuren des Williams-Teams ersonnen war, bauten diese im Sommer 84 spaßeshalber ein paar dem GP-Renner entliehenen Flügel an das Auto. Das Fahrverhalten wurde so eklatant besser, dass die hässlichen Ausgeburten zum Markenzeichen des Metro wurden, allerdings funktionierte die Kühlung dafür deutlich schlechter. Bei der für die WM geplanten Evo-Version wurde zudem eine Einzeldrosselklappen-Anlage eingebaut, die statt 240 immerhin 400 PS entwickelte.

Erst im Januar 1985 gab es grünes Licht vom Vorstand, erst im November debütierte der Metro beim Heimspiel in Wales. Immerhin holte Tony Pond einen dritten Rang, was ein wenig davon ablenkte, dass der MG schon beim Debüt zum Hinterherfahren verurteilt war.

Längst fuhr ein Audi Quattro mit über 500 PS durch den Wald. Mit nie da gewesenen Kotflügel-Verbreiterungen, einem Schneepflug-artigen Frontflügel und einem Heckleitwerk, das einem Privatjet zur Ehre gereicht hätte, tauchte ein Sport Quattro in Argentinien auf. Das Ding hieß im Volksmund Quattro S1, der offizielle Name im Homologationsblatt lautete Sport Quattro E2, weil seit 1985 die Evolutionsstufen alle das Kürzel E trugen. Das Plastik-Geraffel flog schon beim ersten Wasserloch davon, außerdem ging der Motor ein. In Finnland klatschte Lokalheld Mikkola zwei Mal gegen einen Felsen, Blomqvist wurde immerhin Zweiter hinter Salonen, der nach Erfolgen in Griechenland, Neuseeland, Argentinien und seiner Heimat den Fahrer-Titel in nur einem Quartal klar machte.

Dennoch wähnte man sich bei Audi im Aufwind. In Neuseeland hätte Röhrl mit dem konventionellen Sport Quattro gewonnen, wenn nicht Elektronik-Ärger und eine falsche Reifenwahl den Sieg verhindert hätten. Beim neuen E2 ließ sich per Torsen-Differenzial nun der Antrieb beim Bremsen entsperren, was besonders auf Asphalt das unwillige Einlenkverhalten deutlich besserte. Die Audi-Ingenieure hatten zudem den Geniestreich fertig gebracht, den FISA-Kommissaren den gewaltigen Heckflügel unterzujubeln, indem sie ihnen klar machten, dass dieser eigentlich nur dazu da sei, einen Haufen Kühlluft aus dem Kofferraum zu lotsen, denn die wichtigste Änderung des E2 waren ein nach hinten gewanderter Wasser- und Ölkühler samt Lüfterrädern. Damit verbesserte sich die Gewichtsverteilung des bayerischen Nasenbärs spürbar. Zudem war nun vorn viel mehr Platz im Motorraum, um einen neuen Ansaugtrakt und einen noch größeren Turbolader mitsamt erweitertem Ladeluftkühler unterzubringen.

Geistdörfer muss die Bremsen kühlen

Durch die zusätzliche Technik und die langen Leitungen von hinten nach vorn wog das Flügelmonster allerdings mächtige 1.200 Kilogramm, und so musste Röhrl-Beifahrer Christian Geistdörfer kurz nach dem Start immer wieder per Knopfdruck einen erlösenden Wassernebel aktivieren, der die Bremstemperaturen wieder in erträglich Bereiche brachte. Das funktionierte immerhin so gut, dass Geistdörfer und sein Chauffeur Röhrl in San Remo die Gegner mühelos an die Wand fuhren, nachdem Fahrwerksspezialist Dieter Basche dem Auto Manieren beigebracht hatte. Mit dem einen und einzigen Sieg des Mega-Monsters konnte man sich in der Audi-Chefetage nun wieder ein bisschen besser in die Tasche lügen, dass es auch mit Frontmotor und seriennahem Antriebskonzept ginge. In Wahrheit fuhr Röhrl zuweilen heimlich einen Mittelmotor-Prototypen durch bayerische und österreichische Wälder. Dumm nur, dass ein Fotograf das Wild abschoss. Die veröffentlichten Erlkönigbilder sorgten in Ingolstadt für große Aufregung, und der große Vorsitzende Ferdinand Piech ließ das Auto im Museum verschwinden.

Stattdessen betrat ein neuer Bolide die Bühne. Lancia hatte zum letzten Lauf in Großbritannien endlich die neue Waffe fertig. Der Delta S4 war zweifellos das technisch aufwendigste Rallyeauto aller Zeiten. Abgesehen von einer aus dem Cockpit verstellbaren Kraftverteilung hatte der kompakte Italiener dank Kompressor ein wunderbares Ansprechverhalten und dank zusätzlichem Turbo einen Haufen Leistung bis 8.000 Touren. Weil ein durch die Kurbelwelle angetriebener Kompressor durch die steigende Reibung im oberen Drehzahlbereich bis zu 25 PS frisst, koppelte man diesen einfach bei 4.000 Umdrehungen ab, und schaltete den Lader zu, der bis zum nächsten Schaltvorgang 450 PS lieferte.

Anfangs machte der Umschaltprozess noch Probleme, doch in den schottischen und walisischen Wäldern, führte Markku Alén, bis er in einen Graben rutschte. Teamkollege Toivonen bedankte sich und gewann vor Alén. Mit dem Lancia-Doppelschlag zum Saisonende war klar, dass es 1986 mindestens einen Dreikampf um den Titel geben würde. Und dann war da ja noch Ford, und auch Citroën hatte ein Gruppe-B-Auto in Arbeit. Die Saison 86 hätte auf dem Papier das dollste werden können, was die Rallye-Welt je erlebt hatte, doch es kam anders, aber das ist eine andere Geschichte.

Schalten Sie deshalb auch beim nächsten Teil wieder ein, wenn es heißt: Hilfe, mir drückt es die Augäpfel durch den Kopf!

Die Sieger der Saison 1985

Monte CarloVatanen/Harryman (FIN/GB), Peugeot 205 Turbo 16
SchwedenVatanen/Harryman (FIN/GB), Peugeot 205 Turbo 16
PortugalSalonen/Harjanne (FIN/FIN), Peugeot 205 Turbo 16
SafariKankkunen/Gallagher (FIN/GB), Toyota Celica Turbo
KorsikaRagnotti/Thimonier (F/F), Renault 5 Maxi Turbo
AkropolisSalonen/Harjanne (FIN/FIN), Peugeot 205 Turbo 16
NeuseelandSalonen/Harjanne (FIN/FIN), Peugeot 205 Turbo 16
ArgentinienSalonen/Harjanne (FIN/FIN), Peugeot 205 Turbo 16
FinnlandSalonen/Harjanne (FIN/FIN), Peugeot 205 Turbo 16 E2
San RemoRöhrl/Geistdörfer (D/D), Audi Sport Quattro E2
Elfenbeinküste*Kankkunen/Gallagher (FIN/GB), Toyota Celica Turbo
RACToivonen/Wilson (FIN/GB), Lancia Delta S4

Marken-Weltmeister: Peugeot
Fahrer-Weltmeister: Timo Salonen, Peugeot

*Nur Fahrer-WM