Walter Röhrl - Die Geschichte von Arganil


Das Wunder von Bern 1954, Boris Beckers Wimbledon-Sieg 1985 im zarten Alter von 17 Jahren oder Sven Hannawalds unerreichter Triumph bei der Vierschanzentournee 2002 mit vier Siegen bei vier Springen. Es sind diese seltenen Momente, in denen Sportler über sich hinauswachsen und zu lebenden Legenden werden. Walter Röhrl und Christian Geistdörfer sind vor allem für ihre vier Monte-Siege berühmt, aber haben sie die größte Leistung ihrer Motorsportkarriere vielleicht nicht auf den verschneiten Alpenpässen sondern 1.500 Kilometer weiter westlich im Zentrum Portugals gezeigt?

Walter Röhrl - Arganil-Special

Walter Röhrl - Arganil-Special

Gepostet von Rallye-Magazin am Donnerstag, 30. Mai 2019

Wir schreiben den 7. März 1980. Es ist kurz vor Mitternacht. Die Hügel der bis zu 1.400 Meter hohen Serra do Açor sind wie so oft zu dieser Uhrzeit in einen dichten Schleier gehüllt, als die Fahrer zum Start der Königsprüfung der Rallye Portugal anrollen. Arganil. Das bedeutet 42 Kilometer Schotter auf Wegen, die kaum breiter sind als ein Hummer. Links der Berg, rechts der Abhang, bis zu 100 Meter tief. Dazu Nacht und Nebel. Die Sicht ist so hervorragend, als hätte man die Windschutzscheiben der Rallyeautos aus Milchglas gefertigt. Oder anders formuliert: perfektes Röhrl-Wetter.

Obwohl sein Fiat wegen eines Unfalls mit dem eigenen Servicewagen (!) leicht angeschlagen ist, prescht der Regensburger über die längste und härteste Wertungsprüfung der Rallye, als gäb’s kein Morgen mehr. Nach vier Kilometern ziehen Röhrl/Geistdörfer am Talbot Sunbeam Lotus von Guy Fréquelin/Jean Todt vorbei und damit sich die Franzosen nicht an die Nebelkönige dranhängen können, entfernt Geistdörfer kurzerhand die Sicherung für die Rücklichter. Dann gibt es nur noch freie Fahrt für das bayerische Fiat-Duo, das sich mit deutscher Gründlichkeit auf die blinde Achterbahnfahrt durch die portugiesischen Berge vorbereitet hat. Geistdörfer hat den Aufschrieb im Vorfeld mit Zwischennoten verfeinert und Röhrl hat sich jede einzelne Kurve in sein fotografisches Gedächtnis gehämmert.

Fünf Minuten schneller als der Rest

Mit Erfolg: 35 Minuten und 14 Sekunden brauchen Röhrl/Geistdörfer für die 42-Kilometer-Blindfahrt. Björn Waldegård ist im Mercedes 450 SLC 5.0 Zweitschnellster – mit 4.58 Minuten Rückstand auf die Bestzeit. Das entspricht einem Unterschied von über sieben Sekunden pro Kilometer! Zum Vergleich: Bei der längsten WP der Rallye Portugal 2013 (Almodovar, 52,3 km) lagen 28 Teams innerhalb dieser Sieben-Sekunden-pro-Kilometer-Marge, darunter auch fünf frontgetriebene Citroën DS3 R3T.

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