Rallye Finnland

„Sisu“ ist gefragt

Wagemut und Wahnsinn liegen manchmal ganz dicht beieinander. Die Rallye Finnland ist hierfür ein gutes Beispiel. Denn bei kaum einem anderen WM-Lauf sind die weltbesten Lenkradartisten so schnell unterwegs – und fliegen mit ihren Allradlern so weit. Der Rekord für den größten Sprung liegt bei 57 Metern.

<STRONG>REKORDHALTER:</STRONG> Markko Märtin flog 2003 auf der berühmten Prüfung „Ouninpohja“ 57 Meter weit

Wer beim achten Lauf zur diesjährigen Rallye-Weltmeisterschaft in den finnischen Wäldern den prestigeträchtigen Sieg feiern will, benötigt neben außergewöhnlich ausgeprägtem Fahrtalent vor allem eines: „Sisu“. Mit diesem Wort beschreiben die Finnen das, was einst auch der ehemalige deutsche Fußball-Nationaltorhüter Oliver Kahn auf seine ganz eigene und unmissverständliche Art umschrieb. Gemeint ist in beiden Fällen ein gehöriges Maß an Mut, Kampfgeist, Entschlossenheit und Unbeugsamkeit. Denn mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 120 km/h zählt die Rallye Finnland zu den schnellsten WM-Laufen der Saison. Gefahren wird dabei ausschließlich auf Schotter.


Doch das ist nur ein Teil der ultimativen Herausforderung, der sich die besten Rallye-Piloten der Welt stellen: In den Wäldern rund um die Universitätsstadt Jyväskylä heben Mikko Hirvonen, Sebastien Ogier, Jari-Matti Latvala, Evgeny Novikov und Co. auch so häufig ab wie bei keinem anderen Event. Nicht umsonst trägt der achte Saisonlauf den Beinamen „Rallye der 1.000 Sprünge“. Denn die finnischen Schotterpisten sind bekannt für ihre zahlreichen teils „blinden“ Kuppen und Sprünge. Allein auf der wohl berühmtesten Wertungsprüfung, der 33,01 Kilometer langen „Ouninpohja“, stürmen die World Rally Cars über 169 Kuppen – bei rund 100 verlieren sie kurzzeitig sogar die Bodenhaftung. Zur Freude der Fans, die jedes Jahr im Sommer zu Hunderttausenden in die finnischen Wälder pilgern und den WM-Lauf in ein wahres Volksfest verwandeln.


Für das im positiven Sinne Rallye-verrückte Volk der Finnen zählt es bereits zur Tradition, hinter den spektakulärsten Sprungkuppen im Fünfmeterabstand Schilder zu positionieren und auf diese Weise die Flugweite der tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten zu messen. So kann jeder Zuschauer sehen, welcher Rallye-Pilot mit wie viel „Sisu“ unterwegs ist. Der unangefochtene Meister in dieser Kategorie ist übrigens der Este Markko Märtin. 2003 flog er in seinem Ford Focus WRC auf der berühmten Prüfung „Ouninpohja“ 57 Meter weit. Die Geschwindigkeit über Grund betrug damals 171 km/h.


Beim Kampf um Zehntelsekunden und um die Lufthoheit in den finnischen Wäldern spielt auch der Heckflügel der Turbo-Allradler eine bedeutende Rolle. Denn einerseits sorgt er auf den Hochgeschwindigkeitspassagen für den nötigen Abtrieb. Andererseits leistet er bei den zahlreichen Sprüngen einen wichtigen Beitrag, damit die Autos in der Luft eine möglichst waagerechte Flugposition einnehmen. Idealerweise ist der Flugwinkel also möglichst flach, um bei der Landung die Belastungen für die Fahrwerkskomponenten so gering wie möglich zu halten. Finnland-Experten wissen, wie sie das Auto nach einem „big jump“ am schnellstmöglichsten wieder auf allen Vieren positionieren.


Grundvoraussetzung ist zudem eine geschmeidige Fahrwerksabstimmung. Denn wenn die Dämpfer bei der Landung auf Block gehen, läuft der Pilot Gefahr, die Kontrolle zu verlieren. Im schlimmsten Falle kann dies mit einer ungewollten Rodung des finnischen Baumbestandes enden, denn die Waldwege lassen kaum Platz für Fahrfehler.


Die Reifen müssen bei der Rallye Finnland enormen Belastungen standhalten. Das gilt nicht nur für die Landungen nach den zahlreichen Sprüngen. Die hohen Geschwindigkeiten auf Schotter, das häufige Bremsen und Beschleunigen, langgezogene Drifts sowie die großen Querkräfte fordern die Pneus.


Das Reglement erlaubt in dieser Saison für alle Schotter-Läufe lediglich ein Profil-Design. Die Prioritäts 1- und 2-Fahrer haben die Wahl zwischen einer harten sowie einer weicheren Laufflächenmischung. Die oberste Motorsportbehörde FIA hat darüber hinaus die maximale Reifenzahl, die jeder WRC-Pilot während der gesamten Rallye benutzen darf, im Vergleich zum Vorjahr um weitere 20 Prozent reduziert. Bei der Rallye Finnland verfügt jeder WM-Fahrer über ein Kontingent von insgesamt 28 Reifen – inklusive der vier Pneus, die beim Shakedown am Mittwoch benutzt werden.


In Finnland siegen die Finnen – aber nicht immer!


Die skandinavischen Fahrer besitzen bei der Rallye Finnland fast schon ein Abonnement auf den Sieg. Rekordhalter ist der Finne Marcus Grönholm, der hier sieben Mal triumphierte. Bislang gelang es lediglich drei Nicht-Skandinaviern, die Einheimischen zu bezwingen: Carlos Sainz gewann 1990, zwei Jahre später wiederholte Didier Auriol dieses Kunststück.


2008 sicherte sich Sebastien Loeb den inoffiziellen Titel als „Finnen-Bezwinger“. In den Jahren 2011 und 2012 wiederholte der Rekord-Champion diesen Erfolg gemeinsam mit Beifahrer Daniel Elena. Bei der diesjährigen Ausgabe der Rallye Finnland ist der Elsässer jedoch nicht am Start. Loeb bestreitet in dieser Saison nur ausgewählte WM-Läufe.

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