Ott Tänak

Rallye Mexiko 2015: Die Bergung der TiTänak

Bei der Rallye Mexiko versenkte Ott Tänak seinen Ford Fiesta in einem Stausee. Für das M-Sport-Team war das aber noch lange kein Grund, vorzeitig aufzugeben. Nach dem Vollwaschgang wurde das Auto in einer Sonderschicht wieder trockengelegt und am nächsten Morgen zurück ins Rennen geschickt. Als Einstimmung auf die anstehende Rallye Mexiko gibt es noch einmal die Wahnsinnsgeschichte - mit Happy End!

Plötzlich herrscht Funkstille. Der Kontakt zwischen M-Sport und Ott Tänak ist abgebrochen und das Auto vom Radar verschwunden. Ausgerechnet an einer Stelle, an der sich die Prüfung „Los Mexicanos“ um einen Stausee schlängelt. Hektisch probiert das Team den Esten auf dem Handy zu erreichen - ohne Erfolg. Als nachfolgende Fahrer berichten, dass man Tänak nirgendwo gesehen habe, zieht blankes Entsetzen auf. 

Nach endlos scheinenden 17 Minuten meldet sich der Ford-Pilot endlich selbst und hat neben einer Entwarnung auch Unglaubliches zu berichten: Wie einst die Titanic ist sein Fiesta mit dem Bug nach vorn untergegangen und liegt nun in sechs Meter Wassertiefe auf Grund.

Teamchef Malcolm Wilson atmet einmal tief durch und ordnet umgehend die Bergung an. Manch einer im Servicepark hält das für einen Witz, aber bei M-Sport läuft die Rettungsaktion der ‚TiTänak’ generalstabsmäßig an. Aufgeben kommt nicht in Frage. Basta! „Es ist kein Salzwasser, daher sollte es kein Problem sein“, lässt Wilson noch kurz Fachwissen in Chemie aufblitzen, ehe er seinen Suchtrupp losschickt. Ab diesem Zeitpunkt werden jedoch noch zehn(!) Stunden vergehen, bis das Auto überhaupt geborgen werden kann. Noch muss der zweite Durchgang der Prüfung abgewartet werden, erst dann können Taucher und der Abschleppkran zum Wrack vordringen und es wieder ans Tagelicht befördern.

Bis dahin hat Tänak genügend Zeit zu erklären, wie es überhaupt zu dem Abflug kam. Der Este hatte in einer Senke so unglücklich gebremst, dass bei der Kompression die Aufhängung des rechten Vorderrades brach. Hilflos steuerte der Fiesta geradeaus eine Böschung hinab, überschlägt sich einmal und landet abschließend im Wasser. In Sekundenschnelle füllt sich der Innenraum mit der dunklen Brühe, Tänak und Beifahrer Raigo Mölder konnten sich zwar ans Ufer retten, doch von ihrem World Rally Car ist nach wenigen Sekunden nichts mehr zu sehen.

„Zum Glück landete das Auto auf allen vier Rädern im Wasser“, schauderte es Tänak noch Stunden später. Eine Landung auf dem Dach hätte möglicherweise fatale Folgen gehabt, an die wir gar nicht denken wollen. „Sofort nachdem wir die Türen geöffnet hatten, war der Fiesta voll mit Wasser. Das war kein schöner Moment“, so Tänak weiter. Obwohl er rechtzeitig den Gurt lösen kann, vergisst er in der Aufregung das Kabel der Gegensprechanlage: Der absaufende Ford zieht plötzlich Helm und Kopf nach unten. Aber Tänak kann auch diese Situation meistern und Beifahrer Mölder fischt sogar noch seinen Aufschrieb aus dem Auto und hält die Blätter tapfer übers Wasser.

Was danach folgt ist eine Meisterleistung der M-Sport-Mechaniker. Innerhalb von drei Stunden tauschen sie den kompletten Antriebsstrang, Stoßdämpfer, Getriebe, Auspuff, Turbolader, Kühlsystem und Kühler. Darüber hinaus legen die Mechaniker den Motorblock trocken und reparieren die durch den langen Unterwasseraufenthalt verursachten Schäden. Im Innenraum erwartet sie natürlich ebenfalls viel Arbeit. Das kleinste Problem waren dabei noch die Sitze, die getrocknet werden müssen. Die Mechaniker tauschen den kompletten Kabelbaum, den Benzintank, sowie sämtliche Kraftstoffleitungen. Die untergetauchten Handys legt der Koch des Teams in Reis ein, weil die Hülsenfrüchte sehr gut Wasser ziehen. „Die Arbeit unserer Mechaniker ist nicht weniger als phänomenal“, lobt Wilson seine Leute kurz nach Mitternacht, als der Fiesta mit dem Kennzeichen PX61AYK wieder anspringt und kurz vor Ablauf der dreistündigen Frist in den Parc fermé fährt, um am nächsten Tag unter Rally2-Reglement wieder starten zu dürfen.

Doch die Geschichte der ‚TiTänak’ nimmt nochmals eine Wendung, wenn auch eine wenig erfreuliche. Weil ein Sensor zu viel Wasser schluckte und in der nächtlichen Eile nicht getauscht wurde, springt der Fiesta am Samstagmorgen nach dem Auftanken nicht mehr an. Die Mechaniker zerren den Kahn zurück in den Service, um ihn in der Sonne weiter austrocknen zu lassen. Am Sonntag kommt es doch noch zum Happy End. Tänak hat zwar auch durch die Samstagpause jede Menge Strafminuten kassiert, aber er erreicht das Ziel in Leon. Unter tosendem Jubel enterten Tänak und Mölder die Zielrampe - mit Taucherbrillen und Schnorchel.

Für die Rallye-WM war die ganze Nummer ein wahrer Glücksfall. Weltweit sorgten die Videos vom Untergang der ‚TiTänak’ für prächtige Klickraten und beeindruckende Einschaltquoten. Es ist nicht überliefert, ob sich Malcolm Wilson anschließend bereit erklärt hat, künftig öfters ein Auto für derlei PR-Maßnahmen zu opfern. Der M-Sport-Boss sah die Sache mit einem lachenden und weinenden Auge. Auf alle Fälle war er furchtbar stolz auf seine Schrauber: „Ich habe immer gewusst, dass sie es schaffen werden.“

Freitag, 6. März: Der Mega Service

20:15 – Der Fiesta kommt zurück in den Service und das Team beginnt sofort mit der Begutachtung der Schäden

21:30 – Die Arbeiten dürfen beginnen. Nach Rally2-Reglement haben die Mechaniker ab jetzt drei Stunden Zeit, um das Auto wieder flott zu bekommen.

21:55 - Keine 25 Minuten später haben die Techniker den Fiesta bis auf die Grundmauern komplett zerlegt, die Frontscheibe, die Flügel, Stoßfänger, Fahrertür, hintere und vordere Aufhängung, Getriebe, Turbo und die gesamte Kühlung sind entfernt

22:00 – Die Arbeiten sind kurzzeitig unterbrochen, weil es nach Reglement nur einem Mechaniker gestattet ist, am Kraftstofftank zu arbeiten. Nach der Inspektion wird dessen Austausch angeordnet

22:03 – Alle Mechaniker dürfen wieder zupacken: Der Tank, die Sitze, die Elektronik, der Funk und das Armaturenbrett werden ausgebaut

22:15 – Die Techniker entfernen das Wasser aus dem Innenraum

22:25 – Das Team rettet mit einer gekonnten Lösung den Motorblock und trocknet das komplette Triebwerk

22:30 - Zwei Stunden verbleiben noch und der Wiederaufbau beginnt. Jedes Teil, das abgebaut wurde, wird durch ein neues ersetzt – außer den Sitzen, den Gurten, der Motorhaube und dem Werkzeugkit

23:00 - Eine Stunde vor Ablauf der Frist testen die Mechaniker den Öldruck

00:00 - Nur noch 25 Minuten verbleiben und der Motor des Fiesta WRC wird zum ersten Mal gestartet

00:10 - In den letzten 20 Minuten baut das Team die Motorhaube wieder an, schaltet die Gänge durch und hat sogar noch Zeit, um das Auto zu polieren – Der Ford verlässt den Service innerhalb der Soll-Zeit und Tänak kann sein Auto pünktlich in den Parc fermé bringen

Samstag, 7. März: Der zweite Service

08:30 - Tänak will seinen Fiesta aus dem Parc fermé holen, doch dieser geht ständig aus

08:31 - Mit dem Recce-Auto wird Tänak in den Service abgeschleppt

08:32 - Unter dem Applaus der anderen Teams wird der Fiesta in seine Servicebucht geschoben

08:33 - Die Techniker kontrollieren die Fahrwerksgeometrie, tauschen die Zündkerzen und nochmals die Zündspulen, weniger später erweckte der Fiesta zum Leben

08:49 - Tänak fährt mit dem Auto aus dem Service in die Tankzone. Dort bleibt er erneut liegen

09:25 - Dem Esten gelingt es zwar, den Motor wieder zu starten, aber er kann den Start der ersten Prüfung nicht mehr rechtzeitig erreichen

Samstag, 7. März: Rally 2.1

10:28 – Tänak fährt zurück in den Service und stellt sein Auto zum Austrocknen in die mexikanische Sonne

15:10 – Rally 2.1 beginnt mit einer weiteren, dreistündigen Reparaturphase. Die Techniker tauschen alle Benzindrucksensoren und alle Kabel rund um den Motor. Das Motorenöl wird ausgewechselt, auch das Fahrwerk wird erneut eingestellt

16:25 – Der Motor wird neu gestartet und ein Ingenieur prüft alle Daten. Er entscheidet, dass vorsichtshalber auch die Motorelektronik gewechselt wird

17:12 – Nachdem das Triebwerk ein paar Mal neu gestartet wurde, sind die Techniker überzeugt, dass es keine Probleme mehr geben wird. Tänak fährt sein Auto wieder in den Parc fermé, um den Schlusstag der Rallye Mexiko zu bestreiten

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