WRC 2020

Monza Rally-Show: Rettet Vale!

Die Monster Monza Rally Show ist der alljährliche Saisonabschluss im altehrwürdigen Autodromo von Monza und in diesem Jahr Finale der Rallye-Weltmeisterschaft. Häh? Rallye auf der Rennstrecke? Und mit Valentino Rossi ein Motorrad-Weltmeister als Seriensieger? Klingt komisch – isses auch. Herr Senn hat das bereits vor vier Jahren mal für uns inspiziert.

Italien ist: Valentino Rossi. Ja gut, vielleicht noch Ferrari und Ducati und schön, aber darum geht es heute nicht. Heute geht es um Valentino Rossi. The Doctor. VR46. Vale. Für einen Blick auf ihn würde jeder Tifosi seine Erstgeborene opfern, ein Bein spenden oder sogar eine Steuererklärung fast ehrlich ausfüllen. Und da der Mann das Jahr über in der Moto GP um dem Motorrad-WM-Titel fährt und somit nur sehr selten zu Hause ist, reist Italien eben im November nach Monza, wenn ihr „Vale“ alljährlich ins Rallye-Auto umsteigt und Hof hält.

Die Veranstaltung heißt zwar „Monster Energy Monza Rally Show“, ist mit wirklich spannenden Autos aller Baujahre besetzt und ein absolut feines Event an einer sagenhaften Rennstrecke in wunderschöner Umgebung. Aber das ist dem Italiener alles egal. Letztlich wollen alle nur eins: Ein Kind von Valentino Rossi! Auch die Männer. Ich hab schon viel Hype gesehen, viele Fans vor Boxen oder Zelten, die auf ihren Star gewartet haben. Aber das da in Italien ist was anderes. ALLE kommen nur um Vale zu sehen.

Alle wollen den Messias sehen

Vor der hermetisch abgeriegelten Box des vielfachen Motorrad-Weltmeisters blühte von Freitagmorgen bis Sonntagabend eine undurchdringliche Menschentraube, die beharrlich auf das Erscheinen ihres Messias gewartet hat. Hunderte von Teenies, Burschen, Mädchen, Männern, Frauen, Kindern, Schönen, Buckligen, Läufigen, Heiratsfähigen: alle wollen Vale sehen. Und das Team von Vale versucht so gut es geht, Vale zu retten. Alle Stunde kommt dann der Superstar mal aus dem Motorhome und gibt ein paar Autogramme. Bevor er in den M-Sport-Fiesta steigt und sich nur dank dem massiven Einsatz sehr großer und sehr schwerer und sehr vieler sehr grimmig guckender Männer im Standgas einen Weg durch die Massen zu bahnen.

Nun ist es nicht so, dass da sonst nichts zu sehen wäre. Ganz im Gegenteil. Die Monza Rally Show ist ein einziges großes Volksfest auf einer perfekten Anlage. Das Autodromo di Monza ist schließlich im Hauptberuf eine Formel-1-Rennstrecke, und somit prächtig vorbereitet und geeignet, Motorsport-Fans ein wirklich unterhaltsames Wochenende zu bieten.

Sordo? Wer ist Sordo?

Sehr viel Geschichte ist zu spüren aus den großen Tagen Monzas, aber auch die Zukunft hat Einzug gehalten: Virtual Reality Touren durch das Fahrerlager, Fahrsimulatoren, ein schönes Street-Food-Village, offenes Fahrerlager, gigantische Hospitality-Trucks der Teams (in Italien scheint der Rallyefahrer kein armer Mann zu sein), eine RC-Rennstrecke, tolle Shops, Mädchen, Mädchen, Mädchen, Signoras, Signoras, Signoras (Erkennungszeichen: alle mit Vintage-Louis Vuitton-Tasche und immer einer Kippe in der Hand), ein großes Histo-Fahrerlager, schöne Tribünen mit Namen wie Ascari oder Parabolica, eine Monster Energy-Area mit lässigen Autos und noch mehr Mädchen, Mädchen, Mädchen, einfach ein großartiges Ambiente. Und zu guter Letzt war ja auch noch Dani Sordo mit dem Hyundai-Team da. Vor dessen Box hätte man allerdings ungestört ein C-Jugend-Volleyball-Turnier ausrichten können, Platz wär genug gewesen. Sordo? Kennt der Italiener nicht! „Was erlaube Sordo!?“

Anstandshalber guckt der Italiener sich das mal im Weggehen an und stellt sich dann wieder in großen Gebinden vor die Box von Vale. Wenn er nicht gerade im VR46-Megastore hunderte von Euros in Vale-Fankleidung pumpt. Was da los war in diesem Store (mit getrenntem Eingang und Ausgang, weil sonst am Sonntag gar nichts mehr gegangen wäre) – unfuckingfassbar! Ich habe mich eine Minute an die vier Kassen mit Kreditkartenlesern gestellt: Mit dem Abakus nachgerechnete 1.100 Euro gingen da über den Tresen. In einer Minute! Die Veranstaltung ging wie gesagt von Freitagmorgen bis Sonntagabend. Wer jemanden im ARD-Wahlstudio kennt kann das ja mal hochrechnen lassen ...

Rallye? War auch. Irgendwie. Alle 10 WPs der Rallye fanden in immer wieder abgewandelter Form auf der eigentlichen Rennstrecke statt. Mal eine Schikane hier, ein Reifenstapel da, mal rechtsrum, mal linksrum, mal Start hier mal Ziel da, mal nur hin und her auf der Start-Ziel-Geraden über 1,3 Kilometer, mal aber auch 7 Runden und 45 Kilometer. Immer vorbei an den Haupttribünen, damit die Zuschauer, die nicht auf Valefang waren, auch was zu sehen kriegen ohne sich fortbewegen zu müssen. Man wäre fast geneigt, das Ganze als typisches neuzeitliches Show-Geschwür abzukanzeln, würde einen da nicht ein Blick in die Geschichtsbücher am Meckerfritzen-Ohr ziehen, sofern Blicke an Ohren ziehen können, was ich noch mal nachfragen müsste.

Diese Veranstaltung gibt es bereits seit 1978! Und hat Sieger gesehen wie Pinto im Ferrari 308, Bettega in Lancia 037, Cerrato im Alfa Romeo 75 IMSA, Zanussi im BMW M3, Larini im Alfa 155 GTA, Capello im Subaru Impreza,  Sordo im C4, Loeb im DS3, Kubica im Fiesta WRC und eben Valentino Rossi im Focus und Fiesta WRC. Und das gleich viermal.  2006, 2007, 2012, 2015. Und, wir müssen uns nicht wundern: 2016 hat er auch den fünften Sieg geholt. Doppelsieg sogar. Denn neben der Rallye gibt es zum Abschluss noch das größte Zuschauerspektakel des Wochenendes: die Masters-Show!

Ein Ausscheidungslauf Mann gegen Mann, ähnlich wie das Race of Champions. Mit einer wilden Strecke auf der Star- und Zielgeraden und durch die Boxengasse. Mit vielen Kehren und auch zwei 360-Grad-Donuts. Und auch da war Vale eben nicht zu schlagen. Und die Welt für die Italienischen Fans für einen Tag kopfüber in Lambrusco getaucht! Zumal auch die auspuffbefreiten RSR-Porsches und Lancia 037 im Histo-Feld für einige akustische Erektionen gesorgt haben und im Vorfeld noch der neue Abarth 124 Spider im Rallyeornat mit den Legenden Miki Biasion und Alex Fiorio  die Volksseele stolz gemacht hatten. Gut, Fiorio hat seinen Motor gleich in die Luft gejagt, aber das hatte er mit Dani Sordo bei der abschließenden Master-Show gemeinsam.

Richtig. Sordo, da war ja was. Der aufmerksame und mittelmäßig gebildete Leser dürfte sich vielleicht wundern, wie es denn sein kann, dass ein Motorradweltmeister bei seinem einzigen Auftritt im Jahr in einem WRC-Fiesta Dani Sordo schlagen konnte. Und da geht es dem geneigten Leser wie mir. Wie soll das gehen? Sordo ist ein ausgewiesener Asphalt-Spezialist und die Monster Monza Rally Show wird auf Asphalt ausgetragen. Sordo ist die gesamte WRC-Saison förmlich mit seinem Hyundai verwachsen, während Rossi auf einer Yamaha durch die Welt getingelt ist. Und sind wir mal ehrlich: So ganz ganz dolle Konkurrenzfähig waren die Fiestas in der WRC in diesem Jahr nun auch nicht gerade.

Also kann es von der holzfrei matt gestrichen 80 Gramm-Laserdrucker-Papierform her irgendwie nicht sein, dass ein Motorradfahrer mit unterlegenem Auto einen voll im Saft stehenden Asphaltspezialisten mit besserem Auto schlägt. Hatteraber. Wir können das Rätsel nicht lösen. Aber eine der beiden Antworten ist es: Entweder sind WRC-Piloten vollkommen überschätzt oder der Fiesta hat ein paar PS mehr als er haben sollen dürfte. Wir werden es nie erfahren. Es sei denn, wir Fragen einen Italiener: Der wird uns erklären, dass VR46 eine Gottheit ist und wir nur ungläubige Deutsche, die in die Hölle kommen werden und sich obendrein nicht gescheit anziehen können!

Fest steht jedenfalls, dass Rossis Fiesta nicht annähernd so viel PS hat wie sein privater Audi RS6, der als weiterer Gral im Fahrerlager die Massen anzog. Mädchen krickelten mit dünnen, feuchten Fingern TI AMO auf die Scheiben, Jungs quietschten vor Begeisterung, dass sogar die Killerauspuffanlage von Akrapovic mit VR46 an den vier Endrohren gebrandet war.

Irgendwann waren dann auch mal die Journalisten an der Reihe, VR46 zu treffen. Abends um halbacht. In seiner Box. Das war die Idee.
Ab 19 Uhr kam man quasi nicht mal mehr in die Nähe der Box. Ein Rossi-Mitarbeiter erklärte dann der rund 80 Personen umfassenden Presse-Schlange, dass es um  20 Uhr losgehen würde. Aber erstmal nur die italienischen Journalisten. Wenn dann noch Platz in der Box sei, dürften auch die anderen noch rein. Drei Fragen dürften gestellt werden. Aber nicht wie Ihr denkt, von jedem. Nein. Drei Fragen. Für alle. Ich habe mich – Fuchs wie ich bin – sicherheitshalber der italienischen Gruppe angeschlossen. Ich hätte zwar kein Wort verstanden, aber drin ist drin. Und es war acht und kalt. Blöd halt nur, wenn die restlichen Außeritaliener den gleichen Entschluss fassen und wir dann wie auf einem Viehtrieb aneinandergebabbt wurden. So wurde aus kalt um acht: achselfeucht um halbneun!

Aber die drei Fragen gingen ja auch schnell rum. Wir haben dank der ach so kreativen Fragen der wahllos ausgewählten italienischen Bloggerelite erfahren: Vale fährt lieber Motorrad als Auto. (Ach was!) Vales 2017er Yamaha ist schneller als die 2016er (Wirklich? Toll! Ich schnapp über). Und die dritte Frage war dann wenigstens ein bisschen spannend: Ja, Vale will die Dakar fahren, wenn er mal zu alt ist zum Motorradfahren. Und Le Mans vielleicht auch. Aber eben erst, wenn er richtig richtig alt ist. Sonst ist es ja anscheinend eine Wettbewerbsverzerrung. Denn er ist ja schneller als alle anderen auf der Welt. Vielleicht.

 

Wie gut wir es im Rallye-Sport haben zeigte dann noch mein Klagelied, welches ich ob dieser obskuren Pressevorführung einem Kollegen aus der Moto GP-Welt aufgesungen hatte und er mich erstaunt anguckte: „Wie, ich versteh nicht was Du meinst. Das war doch total normal. Läuft bei ihm immer so. Drei Fragen, tschüss!“ Na dann, Augen auf bei der Berufswahl!

Für Zuschauer ist das aber alles wurscht, die können ein prima Abschlusswochenende in einer wirklich schönen Gegend erleben. Mein Tipp: Freitag an die Strecke und das Fahrerlager durchstöbern. Damit ist man wirklich einen Tag beschäftigt und es ist noch nichts los. Samstag das Städtchen Monza angucken und mal ein bisschen über die Dörfer gurken. Vielleicht abends noch mal an die Strecke, es wird dort auch im Dunkeln gefahren! Und Sonntag auf die Tribüne und sich bestens unterhalten lassen.

Man muss auch nicht mitschreiben oder aufpassen, wer gewinnt ist eh klar ;-)

Quelle: rallye 01/02 2017

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