WM 2015

Mexiko: Atmosphärische Störung

Das Leben eines Rallye-Turbomotors ist ohnehin kein Spaß. Die Turbine ständig hysterisch glühend, der Vierzylinder wegen des Restriktors immer in Atemnot. Und dann dreht man ihm in Mexiko auch noch die Sauerstoffzufuhr ab.

Dass Rallyefahrer ständig nach mehr Leistung krakeelen, verursacht keinem gestandenen Ingenieur mehr schlaflose Nächte, denn die Sucht nach immer mehr Power ist bei Piloten genetisch bedingt und niemals zu befriedigen. Doch einmal im Jahr jammern die Lenkrad-Mimosen noch schlimmer über lustlose Kolben und träge Kurbelwellen; nämlich immer dann, wenn es nach Mexiko geht. Die Hochebenen von Leon beherbergen die höchsten Prüfungen der Saison. Einige Strecken führen über mehr als 2.700 Meter über dem Meer, die Leistung der hoch gezüchteten World Rally Cars schrumpft beträchtlich zusammen.

Nun könnte man meinen, im Zeitalter der Supercomputer und entsprechender Aufladung sollte ein moderner Motor auch Naturphänomenen wie vermindertem Luftdruck gelassen gegenüber treten, und im Prinzip könnte er das auch weitgehend, wenn da nicht der Luftmassenbegrenzer wäre.

Jeder WRC-Motor muss durch ein 33 Millimeter schmales Rohr atmen. Auf Meereshöhe reicht das bei einem Hubraum von 1,6 Litern für rund 320 PS und ein Drehmoment von mehr als 430 Newtonmeter. Zweieinhalb Kilometer höher bleiben davon gerade noch rund 220 Pferdestärken übrig. Der Leistungsverlust entsteht dadurch, dass der Turbolader in der dünnen Atmosphäre weniger sauerstoffhaltige Luft in die Brennräume schaufeln kann. Dementsprechend liefern die Einspritzdüsen auch weniger Benzin und so sinkt die Leistung.

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Ganz hilflos stehen die Superhirne der Technikabteilungen dem Luftverlust freilich nicht gegenüber. Entscheidend für die Befindlichkeit des mit bis zu 150.000 Umdrehungen pro Minute rotierenden Turbo-Schaufelrades ist die Steuerung des Wastegate-Ventils, das bei zunehmender Drehzahl des Motors beginnt, Teile des Abgasstroms am Lader vorbeizuführen. Bleibt das Wastegate länger geschlossen, lassen sich Ladergeschwindigkeit und Ladedruck weiter hochhalten, doch als Instrument zur Höhenakklimatisierung fällt diese Maßnahme aus. Am Ende ist der Auspuff der begrenzende Faktor, der bei zu hohem Abgasdruck zum Nadelöhr wird und Widerstand leistet. Zudem steigt mit wachsender Turbinengeschwindigkeit die Reibung. So entsteht ein doppelter Leistungsverlust. Davon abgesehen wäre eine solche Maßnahme äußerst ungesund für den Motor: Der Turbolader könnte explodieren.

WRC auf R3-Niveau

Um sich dem Sauerstoffmangel nicht kampflos zu ergeben, leisten die Motorenmänner akribische Feinarbeit. Bis zu zwei Wochen verbringen sie allein auf dem Motorenprüfstand, um ihre Vierzylinder gegen Luftdruckschwankungen zu wappnen. Dabei geht es nicht nur um große Höhen. In Wales kann der Luftdruck je nach Wetter zwischen 1.030 und 980 Millibar schwanken. Auch das wirkt sich schon aus. Am Ende werden für diverse Luftdrücke eigene Motoreneinstellungen im Steuergerät gespeichert. Diese Mappings können Fahrer und Ingenieure vor Ort verändern.

Trotz dieser Maßnahmen liegt der Leistungsverlust auf den höchstgelegenen Wertungsprüfungen immer noch bei etwa 30 Prozent. „Du spürst das vor allem, wenn du bergauf durch tiefen Boden fährst, wo der Motor richtig ziehen muss“, sagt Jari-Matti Latvala. Während die Fahrer klagen, ist das Manko für die Ingenieure längst kein Grund, in Frustration auszubrechen. Ohne ihre Feinarbeit läge die Leistungseinbuße bei bis zu 40 Prozent. Mit 200 PS wäre ein 1,35 Tonnen schweres World Rally Car (inkl. Fahrer, Beifahrer und Reserverad) im mexikanischen Hochland schwächer als ein R3T auf Meereshöhe.

Natürlich wird die Luft nicht nur für die Motoren dünner, auch die Fahrer atmen mit jeder Zwerchfell-Bewegung weniger Sauerstoff ein. Doch macht sich dieser Effekt bei der Lenkarbeit kaum bemerkbar. Rekordchampion Sebastien Loeb meinte einst lapidar: „Da denke ich überhaupt nicht drüber nach. Schließlich müssen wir keinen Marathon laufen, sondern nur Auto fahren.“

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