WM-Finale

Der Fluch von Margham Park

Die Rallye Großbritannien sorgte schon immer für gewaltige Geschichten über Siege und Niederlagen. Wir blicken zurück auf drei Jahrzehnte voller Jubelfeiern und Jammertäler.

1987

Es wäre ja alles noch erträglich gewesen, wenn Markku Alén, der Don Quichote der WM, nicht ein Jahr später schon wieder eine unüberwindliche Windmühle vor sich gehabt hätte. Wieder stand Juha Kankkunen im Weg, dieses Mal war man bei Lancia Teamkollegen im ersten Jahr des Gruppe-A-Zeitalters, wo die Italiener mit dem Delta HF ein Auto gebaut hatten, dass kein anderer schlagen konnte. Die drei Lancia-Recken Alén, Kankkunen und Massimo Biasion reisen allesamt mit Titelchancen nach Großbritannien.

Teamchef Fiorio, der schon in Monte Carlo Kankkunen zum Halten zwang, um Biasion den Sieg im Fürstentum zu verschaffen, will den Einruck vermeiden, er würde einem Landsmann den Titel zuschanzen, und so darf Biasion gar nicht starten. Es bleiben die beiden Finnen, und Kankkunen meint wenig optimistisch, dies sei seine sechste RAC-Rallye, „und bei den ersten fünf habe ich mich jedes Mal überschlagen.“ 

Stattdessen rollt sich aber Alén schon auf einer der Micky-Mouse-Prüfungen am ersten Tag ab, der zweite Ausflug ins Grüne folgt auf Prüfung 31, bis er sich im Kielder Forest ein drittes Mal in einen Graben wirft. Alén rennt im Dunkeln los, um Hilfe zu holen, trifft ein paar Schotten und schreit: „Quick! Quick! You come and bring friends!“ Doch auch die Freunde in der Not halfen nichts. Kankkunen gewinnt locker und ist der erste, der seinen WM-Titel erfolgreich verteidigen kann, für Alén dagegen war es die letzte Chance. Er tummelt sich zwar noch bis in die frühen Neunziger in der WM, doch ein Titelaspirant ist der Mann, der seit Mitte der siebziger Jahre zur absoluten Weltklasse gehörte, nie wieder. 

1991

Juha Kankkunen wendet noch ein weiteres Mal in einem Herzschlagfinale das Schicksal zu seinen Gunsten. Er fährt wieder für Lancia, der Spanier Carlos Sainz für Toyota. Dessen Celica-Motor verliert Wasser und Sainz die Nerven. Der Spanier rutscht raus. Der Wechsel eines Zylinderkopfes dauert im Normalfall eine Stunde, die Toyota-Mechaniker schaffen es in einer halben, doch auch das ist zu lange. Juha Kankkunen ist zum dritten Mal Weltmeister.

1992

Erstmals kabbeln sich drei Fahrer um den Titel. Die Kontrahenten sind (Wie könnte es anders sein?) Juha Kankkunen und Didier Auriol auf Lancia, sowie Carlos Sainz im Toyota. Die Punktesituation ist ganz einfach: Wer von den dreien gewinnt, ist Weltmeister. Und abgesehen von 1990, wo Sainz seinen ersten Titel schon vorzeitig klarmachen konnte, hat der Madrilene einmal Glück auf der Insel. Nachdem Kankkunen rausfliegt und Auriol mit Motorschaden strandet, hat er den zweiten Titel in der Tasche. Wer nun glaubte, endlich wäre der Spanier endgültig auf die Sonnenseite des Rallye-Lebens gewechselt, sah sich schwer getäuscht. Das Schicksal legt dem Iberer noch einige harte Prüfungen auf.

1994

Sainz hat bei Subaru kein schlechtes Jahr gehabt, aber er kann nur Weltmeister werden, wenn Lancia-Mann Didier Auriol in Wales höchstens Fünfter wird. Sainz sieht plötzlich zersägte Baumstämme auf der Straße. Die Sabotage-Hindernisse kann er zwar umschiffen, aber anschließend ist die Konzentration futsch. Ein paar Kilometer später fliegt er ins Unterholz, Auriol feiert seine einzige Weltmeisterschaft, für Sainz kommt es noch dicker. 

1995

Sainz kommt punktgleich mit Subaru-Teamkollege Colin McRae zum Finale. „Ich habe die besseren Nerven“, tönt der Schotte, der schon im Vorjahr sein Heimspiel gewann. Nachdem die Mitsubishi-Konkurrenten Tommi Mäkinen und Kenneth Eriksson aus dem Rennen sind, ist die Marken-WM für Subaru nicht mehr in Gefahr, beide Piloten dürfen angreifen. 

McRae verliert nach einem Steintreffer und Reifenschaden zwei Minuten. Sainz dagegen hat den Kopf woanders, denn sein künftiger Arbeitgeber Toyota ist wegen technischer Manipulationen für zwei Jahre gesperrt worden, außerdem überhitzt sein Motor. Dennoch liegt er vorn, als McRae bei seiner Aufholjagd wieder einen Stein trifft und ein Rad amputiert. Trotz der Dreirad-Fahrt hat er in der Prüfung nur zwei Sekunden auf Saniz verloren, was diesen fassungslos macht. Auf der letzten Prüfung des Samstags geht McRae vorbei, schlägt Sainz am Sonntag 5:1 und ist zum ersten Mal Weltmeister. Um ein Haar hätte das auch zwei Jahre später geklappt, aber es kommt anders.

1997

Mitsubishi-Fahrer Tommi Mäkinen hat eine schlimme Grippe. Der Teamarzt kann ihm keine starken Medikamente verabreichen, weil der Finne sonst wegen Dopings aus dem Verkehr gezogen würde. Die Rallye-WM hat das Punktesystem der Formel 1 übernommen. Nur die ersten Sechs können zählbare Resultate einfahren, und ein sechster Platz und der damit verbundene eine WM-Punkt würde Mäkinen reichen. Doch die Nase läuft, und die Kupplung rutscht.

Nachdem Teamkollege Richard Burns abgeflogen ist, übernimmt Titelkonkurrent McRae die Führung, die er auch nicht mehr abgibt. Mäkinen muss Rang sieben vermeiden, denn bei Punktgleichheit wäre McRae Weltmeister, denn er hat einen Sieg mehr. Doch Mäkinen hält mit letzter Kraft Platz sechs und gewinnt mit einem Punkt seine zweite WM. Die Feier fällt aus, Mäkinen legt sich sofort ins Hotelbett.

1998

Wieder ist Mäkinen im Hotel und dieses Mal kerngesund aber unglücklich. Nachdem er auf der Superspecial in Milbrook auf einer Öllache ausgerutscht ist und an einem Betonklotz ein Rad abgestreift hat, würde der Mitsubishi-Star am liebsten vorzeitig abreisen, doch bei Konkurrent Sainz könnte ja etwas schief gehen, also muss Mäkinen für etwaige Feierlichkeiten greifbar bleiben. 

Der Finne glaubt nicht an ein Wunder. Sainz hat nur zwei Punkte Rückstand, ihm reicht im Toyota Corolla ein vierter Rang. Die starken britischen Gegner Burns und die Gebrüder McRae haben sich bereits eliminiert, und Teamkollege Auriol plagen Kupplungsprobleme. Um ja nichts zu riskieren, lässt auch Sainz seine Kupplung tauschen, lässt sich hinter den Ford von Bruno Thiry zurückfallen und hält Rang vier.

Die Sonne scheint auf das Schloss von Margham Park, nur auf Sainz scheint sich nicht. Drei Kilometer vor dem Ziel der letzten Prüfung der letzten Rallye des Jahres leuchtet plötzlich eine Warnlampe auf. Der Motor ist totkrank. Sainz schleppt sich noch drei Kilometer weiter, es sind noch 350 Meter bis zum Ziel, da haucht der Corolla in einer Rauchwolke sein Leben aus.

Sainz dreht sich um und geht in den Wald, um zu weinen.

Nachdem Beifahrer Luis Moya den Brand gelöscht hat, schlägt er plötzlich mit dem Feuerlöscher auf den Zylinderkopf ein. Danach schreitet er scheinbar seelenruhig zum Kofferraum und feuert seinen Helm durch die Heckscheibe. Sainz dreht sich um und geht in den Wald, um zu weinen. Nüchterne Zeitgenossen diskutieren später, ob Angestellte, die vor aufgestellten TV-Kameras Produkte ihres Arbeitgebers beschädigen, tragbar sind, aber so können nur Menschen reden, die eine solch epische Niederlage noch nie erleiden mussten. 

Tommi Mäkinen steht derweil mit gepackten Koffern an der Rezeption, als das Handy klingelt. Es ist sein Bruder und Mäkinen schimpft: „Das ist nicht lustig“, bis der ihm versichert, Sainz sei wirklich ausgefallen. Mäkinen ist wieder Weltmeister, und wird es auch ein Jahr später wieder sein. Carlos Sainz dagegen hat auch in den Jahren 2001 und 2003 noch Titelchancen, doch es soll einfach nicht sein.

2001

Es ist vielleicht das seltsamste aller WM-Finals. Erstmals haben mit Sainz und McRae (Ford), Burns (Subaru) und Mäkinen (Mitsubishi) gleich vier Fahrer Titel-Chancen, doch der ultimative Vierkampf ist schon am ersten Tag beendet. Mitsubishi hat nach all den Gruppe-A-Jahren erstmals ein World Rally Car gebaut, das sich als Gurke erweist. Der Tomminator amputiert sich früh ein Rad und ist raus, Sainz rutscht in eine Zuschauer-Gruppe und verletzt 15 Menschen. Ford zieht seine Autos daraufhin zurück.

Es bleiben die Erzfeinde McRae und Burns, deren Duell der Veranstalter im Vorfeld als „Battle of the Brits“ auf Plakaten ordentlich angeheizt hat. Doch die Schlacht der Briten ist blitzschnell vorbei. McRae hat eine Ansage von Beifahrer Nicky Grist falsch gehört und aus einer Links Drei eine Links Vier gemacht. Nach mehreren Überschlägen ist der Ford zerstört und der Subaru auf Burns der einzige Titelaspirant allein auf weiter Flur. Dem Engländer reicht Rang vier, und den hält er bis ins Ziel. Mit nur einem WM-Sieg wird Burns Weltmeister.

2003

Noch einmal in der Historie können sich vor dem letzten Wochenende vier Fahrer Hoffnungen machen. Doch dieses Mal wird es zum Drama noch eine Tragödie geben. Vier Tage vor der Rallye wird Richard Burns am Steuer seines Porsche auf der Autobahn plötzlich bewusstlos. Der daneben sitzende Markko Märtin steuert das Auto sicher an den Straßenrand. Burns wird zur Untersuchung ins Krankenhaus geschickt, später stellt sich heraus dass der Engländer an einem Hirntumor leidet, der ihn das Leben kosten wird. 

Loeb wird verdonnert, seinen Xsara sicher ins Ziel zu bringen.

Peugeot-Sportchef Corrado Provera lässt Burns nicht starten, damit bleibt der Dreikampf Sainz, Sébastien Loeb (beide Citroën) und Petter Solberg (Subaru). Nachdem im Sainz-Xsara die Onboard-Kamera durchbrennt, verliert der Spanier wieder einmal die Konzentration und baut einen Unfall. Es bleibt das Duell der Junioren. Doch Citroën-Sportchef Guy Fréquelin will unbedingt der Konzernschwester Peugeot den Marken-Titel abknöpfen. Er verdonnert Loeb, seinen Xsara sicher ins Ziel zu bringen. Als sich der junge Elsässer einmal mit den Reifen vergreift, setzt sich Solberg ab. In Margham Park, wo Sainz einst heulend in den Wald ging, jubelt nun der Norweger. Er ist mit einem Punkt Vorsprung Weltmeister, und es ist gut, dass er so ausgiebig gefeiert hat, denn danach gibt es für niemanden mehr etwas zu feiern. Die Ära Loeb ist angebrochen und der Franzose wird so schnell kein WM-Endspiel mehr verlieren. 

2006

Selbst als er nach einem Mountainbike-Unfall die letzten vier Läufe mit gebrochenem Schlüsselbein auslassen muss, gewinnt Loeb im nur halboffiziellen Kronos-Citroën die WM, denn Kontrahent Marcus Grönholm holt zwar planmäßig Siege in  der Türkei, Neuseeland und auch in Wales, aber beim vorletzten Lauf in Australien war der Ford-Pilot rausgesegelt. Für sein Team tut ihm der dumme Unfall sehr leid, für seine Titelchancen nicht. Er hält Loeb für den würdigeren Weltmeister und wollte nicht abstauben. Niemand weiß, ob sich Grönholm anders entschieden hätte, wäre ihm klar gewesen, dass ihm Loeb ein Jahr später ein grausames Karriereende bescheren würde. 

2007

Grönholm fährt seine letzte Saison und liefert sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Loeb. Er schlägt ihn um drei Zehntelsekunden in Neuseeland. In Japan fliegen beide ab, dann geht es erstmals nach Irland. Am ersten Morgen krankt Loebs Citroën C4 an einem defekten Stoßdämpfer, doch der Elsässer verliert nur wenig Zeit. Grönholm dagegen verliert die Kontrolle und segelt mit seinem Ford Focus breitseits in eine Mauer. Pöltzlich hat Loeb komfortable sechs Punkte Vorsprung, die er mit einem lässig eingefahrenen dritten Rang in Wales mühelos in den vierten Titel ummünzt. „Schade. Ich hätte gern zum Abschluss noch einen dritten Titel gewonnen“, hadert Grönholm. Die Enttäuschung des langen Finnen in Ehren, aber was soll da erst ein Carlos Sainz sagen?

2009

In einem hochdramatischen Finale setzt sich Sebastien Loeb gegen Mikko Hirvonen durch und holt erneut den Titel, damals zum sechsten Mal in Folge. Bis zur Halbzeit war das Titelrennen zwischen den beiden Kontrahenten völlig offen, doch dann versagten die Nerven des Herausforderers, der ohne ersichtlichen Grund plötzlich 25 Sekunden auf Loeb einbüßte und bei einer harten Landung die Halterung der Motorhaube und die letzte Titel-Chance vernichtet.

Während man bei Citroën ausgelassen den Titel von Loeb feierte, zermarterte man sich bei Ford den Kopf. Teamchef Malcolm Wilson musste sich plötzlich unangenehmen Fragen über die gewählte Taktik gegenüberstellen. War es richtig Latvala auf Sardinien gewinnen zu lassen, oder hätte man sich wie Citroen voll auf einen Fahrer konzentrieren sollen und Hirvonen die Punkte zuschustern müssen? Doch Wilson wollte sich auf keine Diskussion einlassen. „Ich würde alles wieder so machen!“, stellte er klar. Hirvonen verkniff sich Kritik an seinem Chef: „Am Ende hatten wir beide die gleiche Chance als wir zum Finale kamen und er war eben schneller. Ende der Ansage.“

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