Rallye Deutschland

Baumholder-Special: You’re in the Army now

Zugegeben, nie gedient. Untauglich, befand die Bundeswehr bei der Musterung. Aber man sieht sich im Leben immer zwei Mal. 35 Jahre später steht der verschmähte Rekrut vor den Toren des Truppenübungsplatzes Baumholder – und er ist schwer bewaffnet.

Laut Navi folgt hinter der nächsten Kurve das Tor. Bevor die Hauptwache in Sicht kommt, noch schnell die beiden blauen Tasten am Lenkrad aktiviert. Das Sportfahrwerk ist vorgespannt, das computergesteuerte Front-Differenzial ebenso in Alarmbereitschaft wie Einspritzung und Drosselklappenanlage. Dazu die Custom-Funktion aktiviert, die aus dem ohnehin schon sonoren Bass der doppelläufigen Auspuffanlage ein tiefes Knurren aus einem sehr, sehr großen Kellergewölbe sendet. Wir wollen bei der kämpfenden Truppe mit voll aktiviertem Waffensystem anrollen. Betont lässig surrt das Seitenfenster runter. „Guten Morgen, wir wollen zum Kommandant.“

Oberstleutnant Tobias Kirchner würde sich nicht unbedingt als Petrolhead bezeichnen, hat aber durchaus eine einschlägige Vergangenheit als Vergaserfriseur an seiner 150er. Der Mann hat nicht nur die nötigen Schulterklappen, sondern vor allem auch die Schlüssel für die Schranken in eine der exklusivsten Spielwiesen für Autotester.

Respekt vor Baumholder

Das Wort Baumholder lässt Rallyefans wohlige Schauer über den Rücken rieseln, „Panzerplatte“ können auch die fremdsprachlich Unbegabtesten unter den WM-Stars unfallfrei aussprechen. Mögen tun die besten Drifter der Welt das 12.000 Hektar große Areal südlich von Idar-Oberstein aber allenfalls, wenn ihnen auf der Mammutprüfung mal eine Bestzeit gelungen ist, der Rest fürchtet sich auf den knüppelharten Betonpisten zu Recht vor Plattfüßen und den Hinkelsteinen am Wegesrand, die sogar übermütige Panzerfahrer stoppen können.

Geblendet von der hellblauen Kriegsbemalung „Performance Blue“ stoppt ein Zulieferer der Truppe vor der Kommandantur und zeigt mit vorgerecktem Kinn auf den Hyundai i30: „Kann der was?“ Schon süß, wie er versucht, witzig zu sein und sein Toyota-SUV anzupreisen. „Leistung? Ich sag mal zwei, zwei, zwei.“ Soll heißen: 222 Pferde unter der Haube, womit er sich in seinem bulligen Kasten beim Autoquartett ziemlich auf der sicheren Seite wähnt. Wie sagte doch der berühmte Militärstratege Sunzi aus China schon vor 2.500 Jahren in seinem noch heute legendären Standardwerk von der Kunst des Krieges: „Kenne deinen Feind.“

Übersetzt in die automobile Moderne heißt das konkret: Zwei, sieben, fünf. Zu den 275 PS, die der Zweiliter-Turbo mit 1,2 bar Druck ohne jede Mühe entwickelt, wären noch die 353 Newtonmeter Drehmoment zu erwähnen, mit der die vier Hochleistungskolben an der Welle kurbeln. Per Feuerknopf lässt sich für sieben Sekunden die Overboost-Funktion aktivieren, mit Nachbrenner sind es dann sogar 378 Newtonmeter, die wie bei einem Diesel schon bei rund 1.700 Touren anliegen.

Das Drehzahllimit liegt bei knapp 7.000 Umdrehungen, aber das Thema können wir getrost vernachlässigen. Da verhält sich der i30 wie sein böser Bruder i20 WRC: Leistung ist immer da. So lässt sich der Viertürer für eine Sportlimousine erfreulich schaltfaul bewegen, was zuweilen schon fast schade ist, denn am Einrasten der Gänge im knackigen Sechsganggetriebe kann man sich gar nicht sattfühlen und -hören. Meist aber reicht einfach der Tritt auf den Pinn, und schon schiebt der aufgeladene Direkteinspritzer den 1,5-Tonner unaufgeregt und mit Nachdruck vorwärts.

"Ihr Opfer"

Der Tacho reicht bis 300, auch wenn der Topspeed bei 250 anliegt. Scheint, als ob man sich bei Hyundai noch Ziele gesteckt hat. Der i30 N ist das bisher schärfste Schwert, das Korea geschmiedet hat, wobei man selbst hin- und hergerissen ist, ob der 14. Buchstabe des Alphabets für das gewaltige Entwicklungszentrum Namyang stehen soll, wo alle Hightechwaffen des Konzerns entstehen, oder für den Nürburgring, wo man allein mit diesem Modell 480 Runden abgespult haben will, was auf der Nordschleife rund 10.000 Kilometer ausmacht und etwa 180.000 Kilometern auf gewöhnlicher Straße entsprechen soll.

So gestählt steigt nicht nur beim Hersteller das Selbstbewusstsein beträchtlich. Du siehst dich bei der Anfahrt über die Autobahn umzingelt von Truppenangehörigen der zwei US-Kasernen, für die Ford offensichtlich ein ganzes Containerschiff voller Ford Mustangs in Old Europe angelandet hat und denkst beim Blick in den Rückspiegel: „Ihr Opfer.“

Doch alle Allmacht-Fantasien schwinden, als Kommandant Kirchner seinen Toyota Hilux mit Doppelkabine und Hardtop auf das Übungsgelände lenkt und der berühmte Aussichtsturm in Sicht kommt, den alle Deutschland-Rallye-Besucher schon an seiner Silhouette identifizieren können. Es ist etwas völlig anderes, mit Rennwurst im sitzend Anschlag klugscheißend auf dem Grashang zu sitzen und sich über einen wahlweisen Mangel an Talent oder Courage auszulassen, oder selbst hinterm Steuer zu sitzen, während der Fotograf mit 300-Millimeter-Zoom auf Selbstfahrlafette sagt: „Mach mal.“ Und dann wirft er noch lässig ein „ruhig ein bisschen spektakulär“ hinterher.

Die dicken Klötze, die Panzerfahrer disziplinieren sollen und die Fahrbahnränder säumen, hast du als Zuschauer als Betongirlanden betrachtet, die fetten Findlinge, die den Kettenrabauken das Abkürzen verleiden sollen, gehören schon seit den guten alten Tagen der Hunsrück-Rallye zur Baumholder-Folklore. Aber düst du an den Quadern entlang auf die gezackten Brocken zu, kommen sie dir vor wie der aufgesperrte Rachen eines gigantischen Reptils, das so tut, als ob es schläft, aber in Wahrheit urplötzlich nach dir schnappt.

Das erste Schreckenserlebnis kommt schon früh, oben auf dem Gipfel der Platte, wo die wie bei den WRC 235 Millimeter fetten Pirelli P Zero an einem 90-Grad-Abzweig ins Schwimmen geraten und die solide gegossene Fahrbahnbegrenzung immer formatfüllender ins Bild wandert, bis die Vorderachse dann doch noch Haftung findet. Das ist eine der Tücken von Baumholder. Auf dem Papier ist hier auf Schießbahn 38 alles asphaltiert, in Wahrheit liegt auf der Betonoberfläche der Fahrbahn nicht selten Staub oder irgendeine Schmiere vom letzten Regenschauer, die dich ruckzuck gegen etwas ganz und gar Unnachgiebiges rutschen lassen.

Panizzi kommt dir in den Sinn - mit Schlüsselbeinbruch beim Testen im Peugeot 206. Oder 2004 Petter auf dem Dach. Hätte Konstrukteur Christian Loriaux in seinem Schwerpunktabsenkungs-Wahn nicht kurz zuvor den Beifahrersitz um einiges tiefer im Auto einbauen lassen, der einsneunzig lange Beifahrer Phil Mills wäre vermutlich einen Kopf kürzer gewesen. Solberg war im Subaru in der ersten Kurve abgeflogen, im Regen mit kalten Reifen.

Zum Glück, heute strahlt der Lorenz über Wiesen und Wäldern, erst am Nachmittag soll der Feind von Westen anrollen. Der Fotograf mahnt zur Eile, ein Tief mit Blitz und Donner ist im Anmarsch. Trotz trockener Piste kostet es ein bisschen Überwindung, nach der langen Geraden entlang der kleinen Platte den leichten Linksknick hinter dem Tornado-Wrack voll zu nehmen.

Dabei werben das adaptive Fahrwerk und das aktive Frontdiff mit zielsicherer Unterdrückung allen Untersteuerns, die Stabilitätskontrolle soll theoretisch das Heck im Zaume halten, aber tatsächlich muss die elektronische Hilfstruppe selbst bei wilden Manövern kein einziges Mal ausrücken, um die Nachhut wieder einzufangen. Beeindruckt von all den Spaßtasten sagt Oberstleutnant Kirchner: „So was gibt es hier alles?“ Dabei ist der ranghöchste Soldat in Baumholder alltäglich gewohnt, die Kollegen mit modernster Lenkwaffentechnik aus kilometerweiter Entfernung kühlschrankgroße Löcher in Tanklastwagen schießen zu sehen.

Aber schon Sunzi betont: Nicht Größe und Bewaffnung eines Heeres sind entscheidend, sondern Beweglichkeit und kluge Entscheidungen. Und so empfiehlt es sich wie beim World Rally Car, dem Fahrwerk einen Rest Geschmeidigkeit zu erhalten. Maximale Härte führt bei den vielen Abzweigen nur scheinbar zu bester Agilität, sicher aber zu einem Mangel an Traktion und ermüdendem Material. Vor allem auf die Räder ist achtzugeben, der i30 rollt auf 19-Zoll-Felgen und Sportreifen, die nur unwesentlich dicker sind als die Isolierschicht eines Starkstromkabels.

Die großen Walzen zeigen zusammen mit den 345 Millimeter großen Bremsscheiben erfreulich viel Wirkung beim Vernichten kinetischer Energie. Und siehe da, der i30 hat immer noch ein zusätzliches Gimmick parat: Das über die Custom-Taste aktivierbare „Re-Matching“ sorgt beim Runterschalten automatisch für bassige Zwischengasstöße.

So langsam wird hier ein Schuh draus. Mit ausgeschaltetem ESP werfen wir uns Heck voraus in die breite Kehre Rechts bergab, die schon oft den Auftakt zum Räuber- und Gendarm-Spielen mit Stoppuhr gab. Es gibt auf diesem 15 mal 15 Kilometer Spielplatz für Großkaliber so viel Kilometer Straße, dass du die komplette Deutschland-Rallye nur in Baumholder fahren könntest. 14 Dörfer machte die Reichswehr in den dreißiger Jahren platt. Wir rollen im Pfadfinder-Modus durch den Busch. Grünbach, einst knapp 400 Einwohner, macht seinem Namen heute alle Ehre. Nur ein paar klägliche Mauerreste sind noch sichtbar, überwuchert wie Maya-Tempel im Regenwald. Auf dem Friedhof sind noch eine Handvoll Gräber zu sehen. Gestorben 1913, steht auf einer rostigen Platte. Zwischen den zu Staub Zerfallenen ragen ein halbes Jahrhundert alte Bäume in den Himmel.

In die Senke zum Grünbach führen wie in viele andere entlegene Winkel nur Schotterpfade. Nicht auszudenken, man könnte hier auch noch toben. Aber auch in den zugänglicheren Regionen mangelt es nicht an Übungsplatz, 1974 organisierte Henning Wünsch für seine Hunsrück-Rallye eine Schnitzeljagd über 92 Kilometer. Es gab einen Start und ein Ziel und dazwischen nur ganz, ganz viele Richtungspfeile.

Der Rekord, aufgestellt 1976, liegt bei 112 Kilometern für eine Prüfung, das sind Dimensionen, die man von der Safari-Rallye kannte. Apropos wilde Tiere: Im Zentrum des Geländes, wo keiner hindarf, weil dort die Granaten einschlagen, brüten noch seltene Schwarzstörche, wurden Luchse und Wildkatzen gesichtet, äst das Damwild und wühlen die Wildschweine. Aber drumherum könnten wir doch auch noch ein bisschen die blaue Sau rauslassen.

Der Fotograf zeigt wieder zum Himmel, die ersten Wolken sind aufgezogen. Der Kommandant und sein Fahrer haben unserem Treiben vom Rand der Platte zugeschaut und sind zu höflich, um zu drängeln, aber auch sie wollen dann mal los. Es ist Wochenende, und Flinten-Uschi, wie die „heute-show“ Ministerin von der Leyen liebevoll diffamiert hat, verfügte schon beim Amtsantritt, dass die Work-Life-Balance ebenso mit Klauen und Zähnen zu verteidigen ist, wie die Republik mit der Waffe. Also noch ein wehmütiger Blick in den Rückspiegel, dann geht es zurück Richtung Lager Aulenbach. Ach Herr Oberstleutnant, sie haben doch diese Schranken-Schlüssel. Sind das alles verschiedene oder nur einer. Kann ich mir den mal angucken?

TEXT Markus Stier
FOTOS Sascha Dörrenbächer

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