Grabfeld-Rallye

Groß, Größer, Grabfeld

Es war 1982 als Ina Deder lautstark forderte: „Neue Männer braucht das Land!“ - Zwölf Jahre später besannen sich Bernd Menzel, Stefan Raab sowie eine ganze Menge Rallyeverrückter in einer feuchtfröhlichen Runde auf den alten Gassenhauer und münzten ihn auf Rallye um. Was keiner ahnen konnte: Damit legten sie den Grundstein für ein bis heute einzigartiges Phänomen.

Hier entlang: Unter anderem sorgen Albrecht Kriegsmann, Stefan Raab, Randolf Welz, Silvia Wacker Patrick Mohr und Carsten Schaad für Rallyespaß im Grabfeld

Die Frage nach der größten Rallye im Land endet häufig beim WM-Lauf. Im Prinzip ist das nicht falsch. Geht's um Aufwand und Zuschauer liegt man mit dieser Antwort immer auf der sicheren Seite. Denkt man aber nur an die nackten Starterzahlen wird es schon schwieriger. Dann kommt der AMC Bad Königshofen ins Spiel, der entspannt seine Grabfeld-Rallye aus dem Ärmel schüttelt und seelenruhig abwarten kann, ob da noch jemand mehr zu bieten hat. Im Vorjahr rollten 250 Autos über die Rampe in Sulzdorf an der Lederhecke. Im nördlichen Bayern glänzt man mit Teilnehmerfeldern, von denen andere Veranstalter heutzutage nicht einmal ansatzweise zu träumen wagen.

Doch der sonnige Erfolg ist nur die eine Seite der Medaille. Hinter den Kulissen wird dafür mächtig geschuftet. „Wenn das Wochenende rum ist, will keiner mehr eine Rallye machen“, erklärt Silvia Wacker, die für das viel gelobte Catering verantwortlich ist. Fast rund um die Uhr werden die Teilnehmer im großen Festzelt verpflegt, selbst wenn sie schon am Mittwochabend anreisen und nach dem ersten Frischgezapften verlangen. Dabei wollen nicht nur Fahrer und Mechaniker essen und trinken, rund 500 Leute sind zu dieser Zeit für die Rallye im Einsatz und verlangen ebenfalls nach leiblichem Wohl. Wer halbwegs fit in Mathe ist, kann sich leicht ausrechnen, wie viele Mäuler Silvia und ihre Crew jetzt stopfen müssen.

Wäre den beiden Initiatoren Stefan Raab und Bernd Menzel Mitte der 1990ziger-Jahre bewusst gewesen, welche Maschinerie sie eines Tages in Gang setzen werden, vielleicht hätten sie die Idee einer eigenen Rallye als Spinnerei abgetan. Aber sie waren jung, voller Tatendrang und hatten keinerlei Ahnung, was auf sie zu kommen wird. Zum Glück! Also trommelten sie 1994 in der Szene mächtig für die erste Ausgabe der „Grabfeld“. Zu dieser Zeit darb der nationale Sport halbtot vor sich hin. Viele Genehmigungsprobleme machten den Veranstaltern das Leben zur Hölle. Der Motorsportboom durch Schumi hatte noch lange keine Fahrt aufgenommen. Doch Menzel und Raab hatten mit ihrem Werbefeldzug Erfolg. Über 100 Starter kamen zum Debüt! Eine Sensation.

Mit diesem Spruch fing alles an. Bernd Menzel und Stefan Raab wollten es wissen und schufen ein einzigartiges Phänomen

Unterstützung gab es vom motorsportbegeisterten Landrat. Der hatte gut gelaunt jedem Automobilclub eine genehmigungspflichtige Veranstaltung zugestanden. „Das haben wir gleich in Anspruch genommen“, grinst Stefan Raab. Wie groß die Karawane sein würde, die anschließend durch den gesamten Landkreis zog, davon hatten die Lokalpolitiker nicht die geringste Ahnung. Prompt gab es die Anweisung, alles kompakter zu gestalten. Trotz der erfreulichen hohen Starterzahlen. „Immerhin haben wir dadurch Strecken bekommen, die sonst tabu gewesen wären“, freut sich Stefan Raab. Bemerkenswert: Zum ersten Mal werden in diesem Jahr die gleichen Prüfungen des Vorjahres gefahren, zuvor schafften es die Veranstalter immer wieder, neue Strecken auf die Beine zu stellen.

Nicht nur jedes Jahr anders, auch jedes Jahr besser sollte die Rallye werden. Das hatten sich Bernd Menzel und Stefan Raab fest vorgenommen. Vor allem die Siegerehrung sollte den grandiosen Schlusspunkt setzen. Bei der Metz-Rallye sieht Raab erstmals, wie der Sieger auf die Bühne fährt. Die Halle tobt und ihm wird bewusst, das brauchen wir auch! Nur noch besser. Raab baute eigenhändig die erste Rampe und überzeugte seine Mitstreiter, dass man in die großen Drei-Liter-Sektflaschen wie in der Formel1 investieren muss. „Das kostet uns zwar 150 Euro und sorgt für eine große Sauerei, aber alle sind happy.“

Stefan Raab ist sich sicher: „Die Siegerehrung sorgt bei uns für den Kick. Man braucht ein klares Merkmal das die Leute anlockt. Schotter haben wir leider nicht, also musste etwas anderes her.“ 

Mittlerweile hat man ein Umfeld geschaffen, das von vielen Fahrern als einzigartig in der deutschen Szene bezeichnet wird. „Bei der Gestaltung unserer Rallye orientieren wir uns immer am Teilnehmer“, so Silvia Wacker. „Am Freitagabend gibt es die Papierabnahme, wir haben ausreichend Campingmöglichkeiten direkt am großen Festzelt und sind bekannt als Familienrallye.“ Es sind die vielen Kleinigkeiten, die das Grabfeld-Flair ausmachen. „Bei hohen Temperaturen gibt es am Ziel natürlich Getränke für Fahrer und Beifahrer. Dafür sind die Leute dankbar“, meint Silvia Wacker weiter. „Aber wehe wenn etwas nicht klappt. Dann bekommen wir es gleich massiv aufs Butterbrot geschmiert.“

Harsche Kritik an der Grabfeld-Rallye gibt es wenig. Aber es herrschte in den letzten Jahren nicht immer eitel Sonnenschein. 1997 kam es bei der vierten Ausgabe zu einem tödlichen Unfall. Die Starterzahlen sackten anschließend auf unter 60 Teams ab. Der Tiefpunkt. „Bis heute ist es immer unsere schlimmste Sorge, dass bei unserer Rallye etwas passiert. Wir sind stets heilfroh, wenn das letzte Auto im Ziel ist. Bis dahin kannste fast nichts essen“, sagt Stefan Raab. Irgendwann wendete sich das Blatt wieder. Die Teams strömten ins Grabfeld und die Motivation der Truppe kehrte zurück.

Albrecht Kriegsmann ist Chef über gefühlte 1.000 Schilder. Wenn er wöllte, könnte er halb Deutschland umleiten

Im April beginnen die Planungen für die Mammutveranstaltung der 200er-Szene. Bernd Menzel ist der Kopf der Mannschaft, der sich um die Genehmigungen kümmert. Albrecht Kriegsmann ist Chef vom Materiallager in Sulzdorf und Herr über unzählige Schilder jeder Art. Ein so großes Starterfeld verlangt nach verschiedenen Prüfungen, doppelte Strecken sind ausgeschlossen, sonst gibt es Stau. „Die Prüfungen werden am Freitagabend aufgebaut, sonst ist der Ablauf am Samstag nicht zu schaffen“, erklärt Albrecht Kriegsmann. „Unsere hohe Starterzahl hat uns recht früh zum Umdenken gezwungen. Nur eine Prüfung wird doppelt gefahren.“ Ein Mörderaufwand. Bis zu 100 Personen sichern eine einzige Strecke ab. Damit man so viele Leute überhaupt zusammen bekommt, müssen die Grabfelder bei so vielen anderen Rallyes befreundeter Clubs mithelfen, wie sie später selbst Helferclubs benötigen. „Es wird aber immer schwieriger, genügend Leute zu finden“, stöhnt Albrecht Kriegsmann.

Und es wird immer teurer! So eine große Veranstaltung kostet richtig viel Geld. Mit rund 50.000 Euro kalkuliert man im Grabfeld. Weil es sich um eine strukturschwache Region handelt, hatte die Rallye auch noch nie einen richtigen Sponsor. Doch Not macht bekanntlich erfinderisch. Das Geld was für die Rallye gebraucht wird, muss bei der großen Abschlussparty verdient werden. Je besser es Samstagnacht läuft, umso besser startet man ins nächste Jahr. „Wir wissen genau, ob die einzelnen Positionen etwas bringen, oder Verluste machen. Es ist noch nie gelungen, die Kosten der Rallye allein durch die Startgelder annähernd abzudecken“, erklärt Stefan Raab. Nicht nur die 14 Feuerwehren wollen bezahlt werden, hinzu kommen Krankenwagen, Streckenposten, und, und, und. Eine Reduzierung des erreichten Niveaus käme jedoch für niemanden in Frage. „Entweder wir machen die Rallye so, wie man die Grabfeld kennt, oder wir machen sie nicht mehr“, sind sich alle einig.

Durch den ständigen Sparzwang entstehen allerdings auch Lösungen, mit denen kaum einer gerechnet hatte. „Weil die Auswertung richtig viel Geld kostet und wir das nicht haben, entwickelten wir unser eigenes System“, erklärt Stefan Raab. Über einen Bekannten lernte er Matthias Seifert kennen und zusammen entwickelte man ein Online-Nennungssystem. „Wir waren die ersten“, fügt Stefan Raab nicht ohne Stolz hinzu. „Der riesige Papierstapel mit Nennungen war endlich weg von meinem Schreibtisch.“ Die Sache wurde kräftig ausgebaut und mittlerweile stehen drei Laptops pro Prüfungen mit UMTS-Modem zur Verfügung. Wie bei den ganz großen Rallyes tickern die Zeiten vollautomatisch und in Echtzeit ein.

Wenn die ersten Ergebnisse kommen, beginnt die Anspannung bei unseren Helden ein wenig nachzulassen. „Oft genug kommt der Moment, wo wir alles hinschmeißen wollen“, beschreiben die Grabfeld-Macher jene anstrengenden Wochen vor der Rallye. Alle sind beruflich extrem eingespannt, die Organisation der Rallye fällt komplett in die Freizeit. Freunde und Familie müssen Verständnis haben, selbst wenn sie für die Durchführung zwangsassimiliert werden. „Wenn wir es schaffen, den jetzigen Level zu halten, dann ist es gut. Mehr geht nicht“, so Silvia Wacker.

Wünsche gibt es noch einige. Die Erlaubnis für einen Shakedown am Freitagabend wäre toll, aber der DMSB blockt. „Dabei sind doch die 200er-Fahrer froh, wenn sie ihre Autos mal testen können“, zeigt sich Stefan Raab verständnislos. Auch die erlaubte Länge der Rallye würde er gerne auf mindesten 40 Wertungskilometer erhöhen. Auch hier lässt der Motorsportbund nicht mit sich reden. Ebenso wenig bei der Zulassung von teuren Autos. „Doch die dürfen nicht verbannt werden. Wir brauchen die komplette Bandbreite“, fordert man im Grabfeld. „Reglementmäßig stecken wir in einer Sackgasse. Leute mit Top-Autos müssen dabei sein, egal ob es ein World Rally Car, GT oder Super2000 ist. Damit präsentiert man seine Rallye nach außen.“

Trotz des vielen Stress und Ärger blickt man im Juni voller Stolz auf die Nennliste, die täglich anwächst. Die 100er-Marke überspringt man problemlos. Eine magische Grenze, die andere gar nicht erreichen.  Ob der Grund darin liegt, dass es zu viele Rallyes in Deutschland gibt? „Der Markt regelt es von allein“, ist Stefan Raab überzeugt. „Wenn ich nur 40 Autos für meine Rallye habe, muss ich mir überlegen, ob es überhaupt Sinn macht.“ 

Nach einem Wochenende mit wenig Schlaf ist unserer Grabfeld-Truppe nach Vielem, aber sicher nicht nach Rallye. Es dauert noch ein paar Tage, ehe das riesige Festzelt wieder abgebaut ist und Ordnung geschafft wurde. Vor dem beschaulichen Sulzdorf an der Lederhecke liegen nun ein paar Monate Ruhe. Bis in den Köpfen einiger rallyeverrückter Einwohner die nächste 'Grabfeld' entsteht. 

Quelle: rallye - Das Magazin, Ausgabe 7/8 2011

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