Rallye DDR 1970

Pneumant-Rallye als EM-Lauf

Von 1967 bis 1972 trafen die Besten der Besten beim Kampf um die Europameisterschaft auch bei der „Rallye DDR“ genannten Pneumant Rallye aufeinander. Besonders hart sollte es 1970 kommen: Mehr Eis und Schnee als bei jeder Monte ließen nur elf von 113 gestarteten Teams das Ziel in Wertung erreichen.

Das Jahr 1970 hatte es in sich: Das Ende der Beatles, der Rücktritt von Muhammad Ali als Profiboxer und dann noch ein Winter, der nicht aufhören wollte. Das Wetter sorgte dafür, dass die zehnte Ausgabe der Pneumant alles andere als ein gemütlicher Kindergeburtstag wurde.

Dabei schienen doch alle Hausaufgaben gemacht: Der vom Allgemeinen Deutschen Motorsport Verband (ADMV) mit der Organisation betraute MC Post Berlin hatte eine rund 2.400 Kilometer lange Strecke mit Start und Ziel in Berlin festgelegt. Fahrtleiter Alfred Tolk standen mit Reifenhersteller Pneumant und der Post starke Partner zur Seite. Selbst die Männer und Frauen in Uniform waren mit im Boot: Jahrzehnte vor Erfindung von Mobiltelefon oder drahtlosem Email-Verkehr bauten die Funker der Nationalen Volksarmee mobile Stationen entlang der Rallyestrecke auf und ermöglichten so eine reibungslose Nachrichtenübermittlung. Die Volkspolizei zeigte sich bei der Sperrung öffentlicher Straßen für die Wertungsprüfungen ebenfalls sehr kooperativ. Für Max Töpke – oberster Verkehrslenker in Grün-Weiss – ein Klacks, in gleicher Mission verschaffte er schließlich auch den Radrennfahrern bei der Friedensfahrt jahrelang freie Pisten.

Ja, das gekonnte Spiel mit Gas und Bremse war in jener Zeit nicht das nur irgendwie geduldete Stiefkind im Sport-Portfolio der DDR. Das änderte sich allerdings Ende 1972: Da zogen die politisch Oberen im wahrsten Sinne des Wortes die Handbremse, staatliche Unterstützung und Anerkennung konzentrierten sich fortan vor allem auf olympische Disziplinen. Im Rallyesport nahmen ab 1973 nur noch die Werksteams von Wartburg und Trabant an weltweit ausgewählten EM- und WM-Läufen teil. Für Privat- und Clubfahrer blieben als höchste Liga hingegen die Läufe um den Pokal für Frieden und Freundschaft der sozialistischen Länder.

Von der Politik zurück zum Kampf gegen die Uhr. Der begann am Abend des 18. März traditionell mit einem Slalom in Berlin an der Storkower Allee. Die Route der 70er Pneumant hatte ihren nördlichsten Punkt einen Tag später am Werbellinsee in der Schorfheide, von dort ging es im Zickzack über den Harz bis in den Süden durch den Thüringer Wald und ins Erzgebirge. Insgesamt 18 Wertungsprüfungen, darunter zwei Slalom-, zwei Leistungs-, eine Berg-, sieben Sprint- und sechs Geschwindigkeitsprüfungen lagen vor den Teams.

Das Bordbuch notierte außerdem 35 Zeitkontrollen für die Zuverlässigkeitsfahrt. Nur wer diese innerhalb der vorgegebenen Karenz ansteuerte, konnte am Vormittag des 22. März das Ziel auch in Wertung erreichen. 140 Teams hatten für die im EM-Kalender als Rallye DDR ausgewiesene Tour genannt.

Die Liste der unter anderem aus Schweden, Dänemark, Norwegen, Italien, England, Polen, CSSR, Jugoslawien, BRD und Gastgeber DDR gemeldeten Fahrzeuge liest sich dabei fast wie ein Katalog der Autohersteller der damaligen Zeit: Trabant 601, Wartburg 311 und 353 Limousine und Tourist, Skoda MB und Octavia, diverse BMW-Modelle bis hin zum potenten 2002 Ti, Volvo Amazon und 142 S, Renault Gordini R8 und Alpine, Opel Rallye Kadett und Commodore GS, Ford mit Capri 2300 GT, 20 M RS, Lotus Cortina und Escort, Alfa Romeo 1300 GT Junior, Lancia Fulvia, Fiat 124 und 125 P, NSU TTS, Austin Mini Cooper, Moskwitsch, Mercedes 280 SE – sogar ein kleiner Honda N 600 wollte mitmischen.

Das zur Theorie. Tatsächlich standen am Nachmittag des 18. März nur 113 Renner startklar im Parc Fermé am Berliner Sportforum. Einige Teams hatten sich wohl durch die düsteren Wetterprognosen von der Teilnahme abhalten lassen. Die Rallyeleitung reagierte ebenfalls auf das drohende Eis- und Schneechaos. Klaus Harms, 1970 Stellvertreter von Alfred Tolk, erinnert sich: „Wir haben kurzfristig auf Plan B mit längeren Fahrzeiten umgestellt“. Und ergänzt schmunzelnd: „Keiner hatte jedoch daran gedacht, dies auch den Teams in den Vorauswagen zu sagen“. Die – allesamt Junior-Piloten der Wartburg-Sportabteilung – seien dann gefahren, als hätte ihnen der Teufel Feuer unterm Hintern gelegt. Und sie sollen die knapperen Zeiten auf den Langstrecken sogar geschafft haben...

Zum Geschehen bei den gewerteten Akteuren: Der vor Tausenden Zuschauern am ersten Abend absolvierte Tanz über den 400 Meter langen Parcours beim Berlin-Slalom hatte keinen großen Einfluß auf das spätere Gesamtergebnis. Auch die anschließenden fünf Runden á fünf Kilometer auf der Pneumant-Schleife, dem heutigen Autobahndreieck Spreeau im Südosten von Berlin, bedeuteten eher ein gesittetes Warmfahren. Für die am letzten Tag noch einmal zu absolvierende Leistungsprüfung galt es jedoch einen Trick zu beachten. Vize-Fahrtleiter Harms: „Ziel war es, in beiden Umläufen gleich schnell zu sein. Strafpunkte gab es für die Zeit-Differenz“. 

Für einen der vier Werks-Wartburg war dennoch bereits am ersten Abend Schluß: Vorjahressieger Egon Culmbacher fuhr in seinem verbesserten Gruppe 2-Auto größere Zündspulen. Die sorgten für so kräftige Funken, dass die Kolben durchbrannten. Culmbacher/Urban reparierten über Nacht und begleiteten die Rallye fortan als schneller Service für ihre Teamkollegen Hommel/Bork, Strehlow/Malsch und Gries/Würfel.

Am zweiten Tag ging die Rallye erst so richtig los: Schneematsch, Eisrinnen und Schlaglöcher, in denen ganze Achsen verschwinden konnten,  deuteten den morgens erneut gestarteten 108 Teams auf den Strecken nördlich von Berlin bereits an, dass diese Pneumant nur mit Köpfchen sowie Ausdauer bei Mensch und Material zu überstehen sein würde. Zum nachmittäglichen Riesenslalom auf dem Flugplatz Leipzig/Schkeuditz fehlten bereits 20 weitere Teams. Darunter auch die Deutschen Meister der DDR in der Trabantklasse: Die Leipziger Beyer/Schramm waren in einer Kurve mit einem anderen Trabi zusammengeknallt, dessen Fahrerin einem Schlagloch ausweichen wollte und ihnen deshalb auf der falschen Straßenseite begegnete. Zum Glück waren – wie bei allen Unfällen dieser Rallye – nur die Autos kaputt.

Die Nacht zum 20. März forderte weitere Opfer. Im Harz reduzierte sich das Feld bei geforderten Durchschnittsgeschwindigkeiten von bis zu 72,5 km/h auf spiegelglatten Serpentinen auf 58 Wagen, die es noch über die Bergprüfung bei Kelbra am Kyffhäuser schafften. Sechs von ihnen verpassten allerdings eine Durchfahrtskontrolle in Artern und schieden ebenfalls aus. Zur anschließenden sechsstündigen Zwangspause an der Raststätte Hermsdorfer Kreuz lagen die Schweden Lannsjö/Sundin auf einem Opel Rallye Kadett in Gruppe2-Trimm vorn, ihnen im Nacken saßen die Polen Komornicki/Mystkowski auf einer der schnellen Renault Alpine, dahinter die Norweger Skogstadt/Paulsen im bayrischen Kraftpaket BMW 2002 Ti. Alle drei sollten das Ziel in Berlin jedoch nicht erreichen.

Dafür kam Schnee, Schnee und nochmals Schnee. Schon vor Oberhof säumten meterhohe weiße Wälle die Straßen, die Wegweiser zum Panorama-Hotel schauten kaum noch oben raus. Das Wiesbadener Team Herbert Heuser/Siegfried Dörr dachte sich bei dessen Anblick noch: Wenn ausfallen, dann bitte hier. Prompt ging ihr Wunsch in Erfüllung, denn beim Räderwechsel in unmittelbarer Nähe brachen am Opel Commodore ein paar Radbolzen. Während ein zufällig haltender Fahrer eines Service-Barkas aus Zella Mehlis in heimatlicher Werkstatt neue Bolzen drehte, nahmen Heuser/Dörr tatsächlich im Panorama Quartier. Ganz in der Nähe erfolgte übrigens der Start zur Prüfung über die Schmücke. Die war so zugeweht, dass erst mehrere zu Hilfe gerufene sowjetische Panzer eine Spur freiwühlen mussten. Einer davon schlidderte dabei selbst von der Piste und vergrub sich so tief, dass er erst nach der Schneeschmelze viele Tage später geborgen werden konnte...

Doch damit nicht genug: Nebel so dicht wie Watte sorgte für Sichtweiten um die zehn Meter – der bei Halbzeit auf Platz zehn liegende Wartburg-Werksfahrer Peter Hommel griff genervt  zur Sonnenbrille, um nicht schneeblind zu werden.  Sein Copilot Günter Bork stöhnte: „Wenn das so weiter geht, kommt wahrscheinlich keiner an.“ Zwei andere Eisenacher setzten die Prophezeiung gleich in die Tat um: Die bis dahin bestplatzierten DDR-Starter Günter Gries/Harald Würfel rollten ihren Werks-Wartburg auf der Schmücke ab. Sie kamen zwar wieder auf die Räder und fuhren zunächst ohne Front- und Seitenscheibe weiter. Später aber schieden sie im Duett mit dem Trabant-Werksteam Landgraf/Sachse durch Überschreiten der Karenzzeit dennoch unverschuldet aus – ein entgegen kommender Kombi musste in einer Waldschneise nahe Schleiz erst 1,5 Kilometer rückwärts fahren, um ihnen Platz zu machen.

Es war wie beim Spiel mit den zehn kleinen Negerlein: Einer nach dem anderen geriet zeitlich ins Minus und damit ins Aus, darunter mit Franz Galle/Jochen Müller auch ein weiteres Werksteam im Serien-Trabi. Der schnelle Privatfahrer und Jürgen Hellmann hatte da seinen Gruppe2-Wartburg mit gebrochenem Rahmen ebenfalls längst abgestellt. Nationalmannschaftskollege Jürgen Sparwald („Wir konstruieren und bauen vom Dreispeichenlenkrad bis zu Dämpfern und Auspuffanlage fast alles selbst“) verbuchte mit seinem verbesserten Wartburg bei der sibirischen Variante einer Rallye DDR auch nur Spesen. Und vom Himmel stürzte weiter der Neuschnee, vielerorts ließen sich komplett zugewehte Straßen auf dem Weg über das Erzgebirge zurück nach Sachsen nicht mehr passieren. Nur noch etwa 15 Autos liefen am späten Abend des 20. März im Reifenwerk Riesa ein. Von ehemals weit über 100! Ihnen müssen die letzten paar hundert Kilometer nach Berlin über flaches Land wie ein vorösterlicher Picknick-Ausflug vorgekommen sein.

Abschließende fünf flotte Runden auf der Pneumant-Schleife, das erlösende Parc Fermé praktisch schon vor Augen. Und das vorher nicht für möglich Gehaltene war passiert: Hommel/Bork hatten ihren nur 50 PS starken Serien-Wartburg mit kontrollierter Attacke noch an allen Konkurrenten vorbei zum Gesamtsieg gezaubert. Vielleicht war es garnicht so schlecht, dass Hommel im Dienst des MC Post Berlin kurz vor Beginn der Pneumant die gesamte Strecke nochmals zur Kontrolle des Bordbuchs abfahren konnte. Platz zwei ging an die Polen Smorawinski/Zembrzuski in einem BMW 2002 Ti, die Schweden Casselsjö/Olsson machten das Podium dank der schnellsten Zeiten auf den Sonderprüfungen in ihrem Ford Capri 2003 GT komplett.

Besonderen Beifall verdiente sich das Ehepaar Frieder und Gisela Kramer - bei ihrer erst zehnten Rallye lieferten die Zwickauer Clubfahrer mit ihrem Gruppe 2-Trabant auf Gesamtrang neun eine sensationelle Leistung ab. Den Klassensieg bei den verbesserten Tourenwagen bis 850 Kubikzentimeter holten sich allerdings die Trabi-Werkspiloten Asmus/Piehler. Andere wie Polens Rallye-As Sobislav Zasada waren der schwersten aller je gefahrenen Pneumant Rallyes hingegen fern geblieben. Und ein gewisser Walter Röhrl? Der verdiente seine Brötchen damals noch als Chauffeur beim Oberfinanzdirektor im Ordinariat von Regensburg – seine Zeit als Profi begann erst im darauf folgenden Jahr. Was hätte er wohl unter solchen Bedingungen ausgerichtet?

Ergebnis Rallye DDR 1970

01. Hommel/Bork (DDR), Wartburg 353, 256,67 Strafpunkte
02. Smorawinski/Zembrzuski (Polen), BMW 2002 TI, 293,87
03. Casslesjö/Olsson (Schweden), Ford Capri 2003 GT, 451,70
04. Strehlow/Malsch (DDR), Trabant 601, 635,39
05. Asmus/Piehler (DDR), Trabant 601, 651,16
06. Nowicki/Komorowski (Polen), Renault Gordini R7, 875,81
07. Nielsen/Lind-Isaksen (Norwegen), BMW 2002 TI, 899,32
08. Ullmann/Lange (DDR), Trabant 601, 970,97
09. Kramer/Kramer (DDR), Trabant 601, 1385,78
10. Ehrlich/Schöne (DDR), Wartburg 311, 1720,40
11. Suhr/Hiddel (DDR), Wartburg 353, 1778,81

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