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40 Jahre Gruppe-B: Als Blomqvist zu Audi kam

Die Rallyewelt vor vierzig Jahren: Ein neues Reglement („Gruppe B“) hatte zu einer Radikalisierung der Rallyeautos geführt, später gern auch „Monster“ genannt. Am radikalsten war das Konzept von Allrad und Turbo, 1981 von Audi eingeführt. Zwei Jahre später stieß Stiq Blomqvist zu den Ingolstädtern. 

1983 trat Audi als amtierender Weltmeister und Titelverteidiger an. Längst hatte sich der Sieg der Quattro-Idee auch schon im übergeordneten Sinn herausgestellt. In den Entwicklungsabteilungen fast aller Automobilwerke wurde an Allrad-Pkws gearbeitet und der internationale Rallyesport stand unter dem Druck, auf Audi zu reagieren, sich irgendetwas einfallen lassen zu müssen. Vier verschiedene Wege dieses Reagierens waren erkennbar.

Erstens. Voller Einstieg in die Allrad- und Turbotechnik. Peugeot hatte schon Ende 1981 genug von Audi gesehen, um zu wissen, wo es in den kommenden Jahren lang gehen würde. Daher besaß Peugeot 1983 schon ein ziemlich fertiges Auto, den 205 Turbo 16.

Zweitens. Sterbenlassen eines bereits fertig entwickelten Autos. So geschah es dem Ford RS 1700 T, der zu einer Zeit konzipiert worden war, als Fords starker Aberglaube, Allrad sei im Motorsport nicht tauglich, noch feste Wurzeln hatte. Inzwischen musste man einsehen, dass herkömmliches Layout keinen Rallyesieger mehr hervorbringen könne. Ford begann mit einer eigenen Allrad-Entwicklung, dem 200 RS. 

Drittens. Die Zwischenlösung, allerdings brillant. Lancias Typ 037 („Lancia Rally“) war nun ausgereift und eine derart kompromisslose Rennmaschine fernab jedes Serienprodukts, dass sich vorerst der noch fehlende Allradantrieb wettmachen ließ. Da Lancia aber bei einer weiteren Quattro-Eskalation nichts mehr zuzusetzen haben würde, waren die Tage des 037 von vornherein gezählt, parallel dazu arbeitete Lancia ja schon an seinem Vierrad-Delta. Immerhin: Der Lancia Rally war für dieses Jahr noch eine prächtige Waffe, zumal in den Händen von Walter Röhrl und Markku Alén.

Viertens. Letztes Ausschöpfen der konventionellen Möglichkeiten (Opel Manta 400, Nissan 240 RS) beziehungsweise Aufrüstung durch Aufladung (Toyota Celica Turbo). Auch diese Firmen arbeiteten schon an Allradmodellen, hatten aber noch kein grünes Licht von ihren Konzernen. 

Das Audi-Team sah sich jedenfalls stärkeren Gegnern als im Vorjahr gegenüber und nahm neben Hannu Mikkola und Michèle Mouton einen neuen Spitzenmann unter Vertrag: Stig Blomqvist. Er fuhr absolut königlich und brachte durch seinen aggressiven, spektakulären Fahrstil - auch mit Allrad, da erst recht - eine neue optische Dimension. Michèle war vom neuen Kollegen begeistert und akzeptierte ihn sofort als höheres Rallyewesen, von dem sie nur lernen könne. Sie nützte später jede Gelegenheit aus, um bei Tests oder im Training neben Stig sitzen zu können. 

Stig Blomqvist: Der Mann, der zur Sicherheit am Gas bleibt, denn man weiß ja nie, was passieren kann. Fast aufreizend, schlampig wirkend, lässt er den Hintern des Quattro raushängen, als sei es ein wildgewordener Escort der siebziger Jahre. Stig hatte schon vor 15 Jahren die Gabe gehabt, ein untersteuerndes Auto, den legendären Saab 96, zum Driften zu bringen, denn wenn man die Dynamik des Wagens durch fahrschulmäßige Manöver - etwa: Bremsen - beeinträchtigte, brauchte der kleine, mäßig talentierte Motor viel zu lange, um wieder auf die Sprünge zu kommen. Das gilt jetzt, bei dreifacher Leistung, auch für den Turbo, der Drehzahl braucht und jenen dankt, die ihm auch in der Kurve das Gas nicht abdrehen. Für Stig ist ein anderer Aspekt allerdings noch wichtiger: „Ich fühle mich einfach nicht sicher, wenn ich nicht quer in der Ecke stehe.“ Und so zieht er diese artistische, von Walter Röhrl als altmodisch angesehene Fahrweise bis zum Exzess durch: Voller Swing und Freude am Improvisieren, in lächerlichen Winkeln auf großzügig ausgeschmierter Linie, Fontänen von Dreck hinter sich herziehend. 

Michèle kam auch mit Hannu nach wie vor sehr gut aus, bloß zwischen den beiden Mannsbildern gab es von Anfang an Spannungen, und Teamchef Roland Gumpert hatte ganz schön zu tun, um seinen Wanderzirkus auf Marschlinie zu vergattern. Diese Linie sollte natürlich zu zwei Weltmeistertiteln führen, Markentitel für Audi sowieso, plus den für einen Fahrer. Es wurde zwar nie offiziell zugegeben, aber tatsächlich war Mikkola von Anfang an für den Titel vorgesehen. Michèle hatte 1982 ihre große Chance gehabt. Blomqvist würde sie später kriegen. Von seiner Klasse her war Mikkola als Weltmeister sowieso längst fällig, außerdem hatte er die Verdienste der Quattro-Pionierzeit. 

Blomqvist kannte das Jahresziel und hatte es akzeptiert. In der Praxis fiel es ihm dann nicht so leicht, zweimaliges Zurückgepfiffen werden (Schweden und Finnland) innerlich zu verarbeiten, äußerlich blieb er sowieso cool und redete so wenig wie immer. Jedenfalls war es für Gumpert schwierig, die beiden zu koordinieren. Wenn es heikel wurde, bat man Michèle um ihre Dienste, die vertrug sich mit Beiden und konnte Stig auf eine nette Art friedlich stimmen. Auf jeden Fall saß die Rivalität zwischen den beiden Männern tief, und sie hatten einander privat nicht viel zu sagen. 

Auch in ihrem Lebensstil waren sie einander recht verschieden: Hannu hatte seine wilden Jahre, die tatsächlich wild waren, eindeutig hinter sich, war Familienmensch geworden, rührte keinen Tropfen Alkohol an, lebte gesund und sportlich, innerhalb des Teams blieb er freundlich distanziert. Blomqvist, Jahrgang 1946 und somit vier Jahre jünger als Hannu, hatte die eigenen wilden Jahre voller Schwung prolongiert und feierte recht standhaft manches Fest, oft auch im Kreis der Audi-Mechaniker, die ihn dafür liebten und als ihren Kumpel verehrten.

Eigentlich war 1983 ein Jahr zum Abräumen, zum Abkassieren, denn die prinzipielle Quattro-Überlegenheit war, abgesehen von trockenen Asphaltprüfungen, erdrückend. Trotzdem wurde es zu einem seltsamen Auf und Ab, einer eigenartigen Saison. Wenn die Audi-Leute am Ende des Jahres nach Erklärungen suchten, warum sie den Marken-WM-Titel knapp verpasst hatten, war die Rede von den blöden Kleinigkeiten. 

Für die Saison 1984 warten auf Audi ein neuer Motor und das kurze Auto („Sport“), aber auch neue Gegner. Stig Blomqvist, der ehemalige Schweiger, längst ein Weltmann, wurde bei der Audi-Siegesfeier um eine Antwort auf den Trinkspruch gebeten, der ungefähr gelautet hatte „und nächstes Jahr, da stecken wir sie alle ein“. Er wollte nicht so recht ans ganze nächste Jahr denken, hatte eher jenen Abend im Sinn, seinen Abend, hielt eine Riesenflasche Champagner in der Hand, blickte wohlgefällig auf die Festgemeinde und sagte: „Fürs erste brauchen wir mehr Flaschen.“ 

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