Tage des Condors

Sie ist eine der berühmtesten Wertungsprüfungen der Welt, eine der höchst gelegenen und ganz sicher einer der schönsten. El Condor ist eine extreme Herausforderung für Fahrer, Motoren und sogar das Publikum. Am Wochenende wäre es wieder soweit gewesen.

3. Mai 2013

Michael Heimrich

„Es ist, als ob du auf dem Mond fahren würdest“, sagt Jari-Matti Latvala über die Königsprüfung der Rallye Argentinien. 20 Kilometer führt sie eng und gewunden durch eine Granitwüste, in der kaum eine Pflanze gedeiht. Ihren Namen hat die legendäre Strecke von dem Naturreservat in der bis zu 3800 Meter hohen Sierra de Cordoba, in dem die größten Vögel der Welt noch ungestört sind – abgesehen von einem Tag im Jahr, wenn die Rallye kommt.

Irgendwie hatte man es schon von Anfang an eilig auf dieser Straße, die als Maultierpfad vor 450 Jahren ihren Anfang nahm. Die spanischen Eroberer transportierten in großer Hast Silber aus chilenischen Bergwerken über die Anden und ihr Vorgebirge in Richtung Buenos Aires, immer in Angst vor Überfällen.

Ihr heutiges Aussehen verdankt die geschotterte Piste dem Pfarrer José Gabriel Brochero, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts stark für den Bau von Straßen und Brücken einsetzte, um der einfachen Bevölkerung das Reisen und Handeln zu erleichtern. 1912 begannen hunderte von Arbeitern unter schwierigsten Bedingungen, einen 50 Kilometer langen Weg durch eines der härtesten Felsgesteine der Welt zu hauen und zu sprengen. Sechs Jahre brauchten sie, bis die im oberen Teil nur vier Meter breite Strecke fertig war.

Pfarrer Bruchero erlebte es nicht mehr. Er starb 1914 und war so populär geworden, dass jenseits des Höhenzuges ein Ort nach ihm benannt ist. Viele Pilger benutzten die damals neue Straße, um in Villa Cura Brochero dem Helden des einfachen Volkes ihre Aufwartung zu machen. Heute ist der Nachbarort Mina Clavero deutlich bekannter. Viele Touristen kommen hierher, es ist sozusagen das Partyzentrum der Sierra de Cordoba.

Diejenigen, die sich für die andere Seite des Berges entschieden, haben es deutlich besser getroffen. Auf den 25 WP-Kilometern von Mina Clavero bis zur Passhöhe strahlt die Sonne, wärmt die Seelen der Fans, die die Staubfahnen der Autos über zehn Kilometer weit verfolgen können und die Herzen der Fotografen, die Loeb und Konsorten mit einmaligen Felsformationen auf ihre Kamera-Chips bannen.

Die Prüfung endet kurz vor der Nationalstraße. Bevor die gebaut war, wurde sie in einem Rutsch auf der anderen Seite wieder bergab gefahren. Heute sind Mina Clavero und El Condor zwei hintereinander gefahrene Prüfungen. El Condor beginnt zwei Kilometer weiter und führt ausschließlich bergab. So fällt es nicht so sehr ins Gewicht, dass die Turbomotoren hier nur noch 250 PS haben. Wegen der dünnen Höhenluft fällt der Ladedruck von normalerweise vier auf 3,5 bar, irgendwann kann die Abgasturbine einfach nicht mehr schneller drehen, um den Druckabfall auf 2.000 Metern Höhe zu kompensieren. Das hier ist das Dach der Rallye-WM. Nur die ein oder andere Prüfung in Mexiko erreicht ähnliche Höhen.

Die Motorleistung ist auch deshalb nicht so sehr von Bedeutung, weil die Strecke so schmal ist. In engen Serpentinen fräst sie sich durch den Granit. Wer nur ein paar Zentimeter von der Line abkommt, hängt sofort in massivem Gestein. Noch schmaler als die Piste sind die sechs Hängebrücken mit ihren mächtigen Steinpfeilern. Sie messen in der Breite allenfalls zweieinhalb Meter.

Erst im letzten Drittel der 16 Kilometer langen Prüfung wird die Straße deutlich schneller und breiter, weil hier die Felsen enden. Der Mehrheit der Fans ist das zu langweilig, deshalb sind sie vom Start aus in die Prüfung marschiert. Für viele ist es ein langer Marsch, denn die schönsten Stellen in der Mitte der Prüfung sind nicht durch andere Zufahrtswege zu erreichen. Wer am Vorabend schon kam, konnte sich vielleicht noch mit dem Geländewagen in eine Felsnische quetschen.

Die argentinischen Fans demonstrieren, warum sie die besten der Welt sind. Trotz des üblichen Schietwetters steht die Menge Kopf. Ein Indio-Pärchen drängt sich notdürftig unter einer Decke zusammen. Doch alle zwei Minuten stürmt die junge Frau mit den dicken schwarzen Zöpfen aus dem Unterschlupf und reckt dem nächsten Auto die Faust entgegen. „Arriba! Auf geht’s!“ schreit sie jedem einzelnen Teilnehmer entgegen.

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