Rückblick: 1969 wurde Lancia von Fiat übernommen. Der italienische Konzern wollte vom betont sportlichen Image der Marke profitieren. Die passende Bühne hierzu blieb der Rallye-Sport, wo der kleine Hersteller bereits erfolgreich die Großen des Sports ägerte. Im Lastenheft der Lancia-Ingenieure stand nun die Entwicklung eines agilen und leichten Fahrzeugs, das es mit den Platzhirschen vom Schlage einer Alpine A110, Porsche 911 und Ford Escort aufnehmen konnte.
Anders als die Fulvia, mit der Lancia bis dato zahlreiche Rallye-Erfolge gefeiert hatte, wurde das Nachfolgemodell von Beginn an als reines Wettbewerbsgerät konstruiert. Ein gänzlich neues Prinzip im Rallye-Sport, denn bis dato vertrauten die Hersteller lediglich auf modifizierte Serienfahrzeuge.
Für die Entwicklung zeichnete Lancia-Sportchef Cesare Fiorio verantwortlich, der das ambitionierte Projekt mit viel politischem Geschick im Fiat-Konzern durchsetzte. Sowohl der Gitterrohrrahmen als auch die aus Glasfaser gefertigte Karosserie entstanden bei Bertone. Bereits knapp zwei Jahre zuvor hatte die italienischen Designschmiede auf dem Turiner Autosalon 1970 eine überaus futuristisch anmutende Studie enthüllt. Ihr Name: Stratos. Schon damals, kurz nach der Übernahme von Lancia durch Fiat, kreisten die Gedanken von Fiorio um ein neues Rallye-Fahrzeug auf Basis eben dieser Studie.
1972 war es dann so weit: Ebenfalls in Turin feierte der erste Prototyp Weltpremiere. Sein Name: Lancia Stratos HF. Der 980 Kilogramm leichte Mittelmotor-Rennwagen wurde vom 2,4-Liter-V6 aus dem Ferrari Dino 246 GT befeuert, der die Hinterräder antrieb. Anfangs mobilisierte der Sechszylinder 240 PS. 1974 legte Lancia noch einmal nach und präsentierte einen Vierventiler. Mit diesem rund 275 PS starken Motor wurde das Fahrzeug für die neue Gruppe 4 homologiert. Zunächst gab es jedoch heftige Kontroversen bezüglich der Frage, wie viele Fahrzeuge dieses Typs vom Band laufen müssten, um die Homologation zu erhalten.
Sein Rallye-Debüt feierte der Stratos bereits 1972 im Rahmen der Rallye Korsika. Allerdings handelte es sich zu diesem Zeitpunkt noch um einen reinen Prototypen, der in der Gruppe 5 an den Start ging. Der Entwicklungsträger schaffte es nicht ins Ziel: Sandro Munari musste das Auto mit gebrochener Hinterradaufhängung vorzeitig abstellen. Doch bereits wenige Monate später, Anfang April 1973, feierte die Flunder bei der Firestone Rallye in Spanien den ersten Sieg. Inzwischen hatte Cesare Fiorio mit Jean-Claude Andruet einen weiteren erfahrenen Top-Piloten zu Lancia gelotst. Der Franzose gewann mit dem Stratos im selben Jahr zwei Rallyes: die Tour de l’Aisne sowie die Tour de France Auto.
Der Stratos zählte auf Asphalt von Beginn an zu den Sieganwärtern. Erstaunlicherweise war der Hecktriebler aber auch auf losem Untergrund absolut konkurrenzfähig. 1974 bescherte Sandro Munari sich und dem Lancia bei der Rallye Sanremo den ersten WM-Sieg. Es folgte ein weiterer Triumph bei der Rideau Lakes Rallye in Kanada. Teamkollege Andruet trug sich auf Korsika in die Siegerliste ein. Am Ende der Saison eroberte Lancia mit der neuen Wunderwaffe sogar den Weltmeistertitel in der Herstellerwertung, den die Italiener in den beiden Folgejahren erfolgreich verteidigten.
1975 feierte Munari mit dem Stratos seinen zweiten Monte-Sieg – den ersten Triumph hatte der Italiener 1972 am Steuer der Lancia Fulvia erobert. Für den zweiten Saisonlauf, die Rallye Schweden, gelang Sportchef Fiorio erneut ein cleverer Schachzug: Er verpflichtete Björn Waldegard, der sein Heimspiel bereits drei Mal mit einem Porsche 911 gewonnen hatte.
Rallye Schweden mit 800 WP-Kilometern
Die Rallye Schweden 1975 führte über insgesamt 800 Wertungsprüfungs-Kilometer rund um Karlstad. Die schnellen Pisten durch die verschneiten schwedischen Wälder lockten die Crème de la Crème des internationalen Rallye-Sports an: Stig Blomqvist und Per Eklund pilotierten jeweils einen Saab 96 V4, Hannu Mikkola, Marko Alén und Erik Carlsson hielten im 124 Abarth Rallye die Fiat-Fahnen hoch, während Björn Waldegard und Beifahrer Hans Thorszelius den Stratos durch die schnellen Schneekanäle scheuchten.
Nach mehr als sieben Stunden reiner Fahrzeit bei einer atemberaubenden Durchschnittsgeschwindigkeit von 109 km/h sicherte sich Waldegard mit 1.47 Minuten Vorsprung den Sieg vor seinem Landsmann Blomqvist. Simo Lampinen auf Rang drei hatte bereits mehr als elf Minuten Rückstand. Dieser Erfolg sollte jedoch der letzte Sieg des Stratos bei einer WM-Rallye auf Schnee und Eis bleiben. 1974 konnte Jean-Claude Andruet noch das Critérium Neige et Glace gewinnen, einen Lauf zur Französischen Rallye-Meisterschaft, der ebenfalls auf Schnee ausgetragen wurde.
Am 29. August 2014 ist der große Björn Waldegard an den Folgen einer Krebserkrankung verstorben. Eigentlich hätte er wenige Tage später im Rahmen des RallyDay in Großbritannien noch einmal am Steuer seines Sieger-Stratos der Rallye Schweden 1975 Platz nehmen sollen. In den Jahren zuvor hatte Björn bei seinem Heim-Event regelmäßig das Vorausfahrzeug pilotiert und war zudem auch regelmäßiger Gast beim Eifel Rallye Festival.