Rallye-WM

Trick 17b - Die Taktik-Spielchen in der Rallye-Weltmeisterschaft

Wollte Hyundai-Teamchef Andrea Adamo in Portugal zu faulen Tricks greifen? Fakt ist: Die Geschichte unseres Sports ist voll von derartigen Taktik-Spielchen.

Audi quattro Rallye-Weltmeisterschaft

Dass es am Saisonende auf jeden Punkt ankommen kann, musste unter anderem M-Sport leidvoll erfahren. 2009 fehlte Ford-Speerspitze Mikko Hirvonen in der Endabrechnung ein einziger Punkt auf Sebastien Loeb. So nah sollte er dem Dauer-Champion aus dem Elsass nie wieder kommen.

Besonders bitter war dabei, dass es Malcolm Wilson in der eigenen Hand gehabt hätte. In Sardinien wartete Fords damalige Nummer zwei, Jari-Matti Latvala, vergeblich auf die Ansage seines Chefs, dem in der WM besser platzierten Teamkollegen den Sieg zu überlassen. Latvala durfte gewinnen und zehn Punkte einstreichen, Hirvonen bekam für den zweiten Platz acht Zähler. Citroën machte es im weiteren Saisonverlauf besser. Bei der Rallye Catalunya hatte Dani Sordo die große Chance, vor heimischem Publikum seinen ersten WM-Sieg einzufahren. Loeb und Sordo fighteten um jede Sekunde, bis der Spanier am letzten Tag von Teamchef Olivier Quesnel eingebremst wurde und Loeb kampflos zehn Punkte mit nach Hause nehmen durfte.

Dass es sich lohnen kann, die WM schon in der Frühphase einer Saison im Blick zu haben, bewies Peugeot im Jahr 2000. Bei den ersten vier WM-Läufen punktete einzig Schotter-Ass Marcus Grönholm ordentlich, Gilles Panizzis Konto stand dagegen noch auf null. In Spanien erhielt der Franzose kurz vor Schluss die Order, eine Minute zu früh zu stempeln. Grönholm rückte von Platz sechs auf fünf vor und durfte sich über einen zusätzlichen Punkt freuen. Im Finale verschaffte ihm das einen kleinen psychologischen Vorteil: Grönholm musste beim Heimspiel seines Kontrahenten Richard Burns (Subaru) nur Fünfter statt Vierter werden. Durch Platz zwei erfüllte er das Ziel und wurde erstmals Weltmeister.

Audi stockt die Truppe auf

1983 griff Audi im Duell mit Lancia zu einem anderen taktischen Mittel. Im ersten Jahr der Gruppe B wurde eine Klasse nur dann gewertet, wenn mindestens fünf Teams in eben dieser an den Start gingen. Die weite Reise nach Argentinien hatten nur Audi und Lancia eingeplant, doch die im kalten Südamerika favorisierte Audi-Mannschaft traute ihrem Kontrahenten aus Italien nicht. Wenn Lancia seine beiden 037 kurzfristig zurückziehen würde, dann ginge Audi auch leer aus. Also stockte Audi seine Mannschaft kurzfristig auf fünf (!) Autos auf: der Kenianer Shekhar Mehta und Lokalmatador Luis di Palma durften in Trainingsautos Platz nehmen. Audi holte zwar einen Vierfachsieg, der WM-Titel ging aber nach Turin.

Dabei war es eigentlich keine deutsche Spezialität, auf Quantität zu setzen. Das war vielmehr eine Tugend der Italiener, die es bei der Rallye Sanremo auf die Spitze trieben. So auch 1977. Damit WM-Rivale Ford möglichst wenige Punkte aus Italien entführt, versorgte das Abarth-Werksteam das halbe Land mit Werksautos. Vier Fiat 131 und vier Lancia Stratos mit Turiner Kennzeichen nahmen die Mischrallye in Angriff und verwiesen den besten Escort auf Platz fünf. Mission erfolgreich: Fiat wurde in jenem Jahr Weltmeister.

Mit Teamorder und großer Mannstärke zum Sieg – dieses Rezept scheint also aufzugehen. Doch auch die richtige Startposition war schon immer ein Schlüssel zum Erfolg. Möglichst weit hinten loszufahren war aber nicht immer von Vorteil. Die Monster der Gruppe B wurden meist noch im Ein-Minuten-Takt losgelassen und fuhren daher oft im Staub des Vordermanns. Das Straßenfeger-Dasein war hier noch das geringste Übel. Es sei denn, man verschaffte sich durch einen kleinen Trick etwas mehr Luft nach vorn.

Röhrl hält absichtlich an

1984 in Portugal wurde das auf die Spitze getrieben. Wieder begann Audi mit den Spielchen. Die nach einem Unfall abgeschlagenen Röhrl/Geistdörfer stempelten an einer ZK absichtlich so früh, dass sie sich direkt vor Teamkollege Hannu Mikkola einsortierten. Die Bayern starteten in die Prüfung, stoppten aber nach wenigen hundert Metern und warteten dort so lange, bis Mikkola vorbeigefahren war. Der Finne hatte dadurch zwei Minuten Abstand zum Vordermann und praktisch (staub-)freie Fahrt.

Die Lancisti waren wütend, mussten aber machtlos mit ansehen, wie Mikkola die Führung eroberte. Auf der letzten Etappe, die Mikkola als Erster in Angriff nahm, setzten sie allerdings noch einen drauf und ließen gleich zwei 037 am Straßenrand parken, um Markku Alén zu helfen. Der Kniff reichte jedoch nicht, um den Quattro noch von der Spitze zu verdrängen.

Schlitzohr Geistdörfer

Für die ideale Startposition griffen die Teams mitunter zu gewagten Mitteln. Schlitzohr Christian Geistdörfer soll sich bei der Sanremo 1983 eine Minute Luft nach vorn verschafft haben, indem er seinen Gurt aushängte und den Zeitnehmer so zum Abbruch des Starts brachte. Seb Loeb täuschte 2011 in Jordanien sogar einen Defekt vor und Petter Solberg lamentierte bei derselben Rallye: „Statt sich aufs Fahren zu konzentrieren, checken wir Splitzeiten und kalkulieren, wie wir eine günstige Startposition bekommen.“

Damals trat übrigens ein gewisser Sebastien Ogier die Flucht nach vorn an, fuhr ein Polster von 30 Sekunden heraus und gewann. Ganz ohne Tricks und Spielchen. Auch so geht’s natürlich.

QUELLE:  rallye - Das Magazin 03|04 2018

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