Der neue Weltmeister

Sebastien Ogier: Das Ass im Ärmel

Es war eine Karriere im Eiltempo. Kaum hatte Sebastien Ogier in seiner Heimat Frankreich unter 10.000 Bewerbern eine Nachwuchssichtung gewonnen, holte er innerhalb von nur drei Jahren den Junior-Weltmeistertitel. Wenig später katapultierte er sich ins Citroën-Werksteam und wurde dort Sebastien Loeb so gefährlich, dass ihn der Rekordchampion nur noch per Vertrag ausbremsen konnte. Ogier wechselte zu Volkswagen und holte bereits im Debütjahr des Polo R WRC den Titel.

<strong>CHAMPION:</strong> Sebastien Ogier ist der neue Weltmeister

Sebastien Ogier hatte nichts, außer seinem Können, das er beim Rallye Jeunes der FFSA zeigen konnte. Das mittlerweile legendäre Nachwuchsprogramm des französischen Verbandes ebnet jenen mittellosen Talenten den Weg, die nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren werden. „Ogier sei der beste Fahrer gewesen, den er bei dieser Sichtung je gesehen hat“, wird FFSA-Präsident Jaques Regies später zitiert werden. Das neuentdeckte Talent darf 2006 und 2007 auf Kosten des Verbands den Peugeot 206 Cup fahren und gewinnt diesen im zweiten Jahr. Ein Ergebnis, das selbst Superstar Sebastien Loeb nicht schaffte.

Ogier hat Mechaniker gelernt, um dem Motorsport nahe zu sein. Geld hat er nie gehabt. Seine Mutter ist Sekretärin, sein Vater fährt Heizöl aus. Als Praktikant landete er in einem Rallyeteam und seitdem ließ es ihn nicht mehr los. Der Mann aus dem südfranzösischen Gap ist wie viele große Nachwuchsleute ein Multitalent. 2005 wurde er französischer Meister in der exotischen Kegelvariante Boule Lyonais. Daneben liebt der ausgebildete Skilehrer den Schnee aber während seine Kumpels beim Après-Ski die Wände beben lassen, pflügt Ogier mit dem Auto über verschneite Straßen und merkt irgendwann, dass er dieses besondere Gefühl am Lenkrad besitzt. Die erste Sichtung des Rallye Jeunes vergeigt er noch in Führung liegend, "weil ich eine Kegel umfuhr", doch ein Jahr später geht er unter 10.000 Bewerbern als Sieger hervor. Die FFSA rüstet ihn 2008 mit den nötigen finanziellen Mitteln aus und im März feiert Ogier sein WM-Debüt im Citroen C2 S1600. Er zahlt das Vertrauen prompt mit dem Junior-Sieg in Mexiko zurück. Die Rallyewelt nimmt den Namen Ogier erstmals bewusst war, spätestens, als er im Herbst auf Korsika den „kleinen“ WM-Titel klar macht, steht fest, hier wächst der nächste große Sebastien heran, der eines Tages seinen berühmten Namensvetter ablösen könnte. 

Quesnel ebnet den Weg

Seine Tauglichkeit für höhere Aufgaben bewies Ogier bereits kurze Zeit später. Während die Weltelite im winterlichen Wales über mangelnde Traktion klagte, fuhr der Franzose, erstmals im C4 WRC sitzend, Bestzeit. Kurz danach flog er zwar ab, aber nun waren auch die letzten Zweifler verstummt. Citroën-Sportchef Oliver Quesnel bastelte entgegen aller bisherigen Richtlinien seiner Firma umgehend an einem Kundenteam, damit der neue Super-Seb in den eigenen Reihen gehalten werden konnte. Doch dann passierte das, was die Citroën-Strategen nicht planen konnten. Die Fehlerquote von Ogier stieg zum Saisonbeginn 2009 rasant an. Statt zählbarer Erfolge gab es jede Menge Schrott. "Ich wollte zu schnell zu viel und habe einige Fehler gemacht", gibt Ogier rückblickend zu. "Mein Glück war, dass man bei Citroen an mich glaubte." Sportchef Quesnel nahm den Druck heraus und sicherte ihm trotz der vielen Ausfälle die weitere Saison zu. Sofort stabilisierten sich die Leistungen seines Schützlings, dem es im Mai 2010 erstmals gelingt, am Stuhl von Sebastien Loeb zu sägen. Bei seiner Neuseeland-Premiere schrammt er nur knapp am ersten WM-Sieg vorbei, den holt er sich bereits wenige Tage später in Portugal. Zum ersten Mal hat er Loeb besiegt und noch wichtiger, er hält die Eintrittskarte zum Citroën-Werksteam in seinen Händen! Keine zwei Wochen nach dem Portugal-Sieg schiebt Sportchef Quesnel Dani Sordo für die restlichen Schotterrallyes ins Junior-Team ab und befördert Ogier in die Werksmannschaft.

Aber die Zusammenarbeit von Loeb und Ogier stand unter keinem guten Stern. Auf der einen Seite der erfolgreichste Rallyefahrer aller Zeiten, auf der anderen der junge, aufstrebende Teamkollege, der ihm erstmals gefährlich werden konnte. Bei der Akropolis-Rallye kam es zum ersten großen Knall. Ogier bekam Schützenhilfe vom Team und konnte dadurch Loeb besiegen konnte. Eine Majestätsbeleidigung! Aber beide Fahrer wurden von Quesnel gleichwertig eingestuft. Jeder bekam die gleiche Unterstützung. Doch Loeb wollte sich das nicht mehr länger bieten lassen. Er verlangte als klare Nummer-1 behandelt zu werden. Geschickt nutzte er seine Vertragsverlängerungen mit Citroën aus und ließ sich den entsprechenden Status zusichern. Im Sommer verkündete er kurz vor der Rallye Deutschland seinen Verbleib bei Citroën und wenig später musste Ogier die neuen Verhältnisse erkennen. Frühzeitig gab das Team eine Stallorder zu Gunsten von Loeb aus. Ogier machte seinem Ärger unverblümt Luft. Öffentlich meckerte er über die Stallregie und griff direkt Sebastien Loeb an. "Er heult beim Vorstand und ich muss bremsen", polterte der jüngere Seb. Der ältere Seb bellte prompt zurück: "Es wäre besser, wenn er sich ein anderes Team suchen würde."

Loeb drängt Ogier zu Volkswagen

Das tat Ogier wenige Wochen später. Zwar hatte er noch einen Citroën-Vertrag für 2012, "doch ich hatte keine Lust mehr, die zweite Geige hinter Loeb zu spielen. Ich mag diese Politik nicht. Ich will nur die Chance haben, fair zu kämpfen und meinen Speed zu zeigen." Es blieben zwei Optionen: Ford und Volkswagen. "Für meine Entscheidung habe ich mir viel Zeit gelassen", sagt Ogier. Bei Ford konnte man ihm wochenlang keine Garantien für ein Werksengagement geben, hatte aber mit dem Fiesta WRC ein konkurrenzfähiges Auto zur Verfügung. Volkswagen lockte mit einem mehrjährigen Programm, Ogier müsste aber ein Jahr zurückstecken, weil der Polo R WRC erst ab 2013 einsatzbereit ist. Möglicherweise ist Loeb bis dahin zurückgetreten. Ogier hätte dann keine Möglichkeit mehr, der Fahrer zu sein, dem es gelingt, die einmalige Titelserie des Rekordweltmeisters zu beenden. Für den erfolgshungrigen Angreifer ein enorm wichtiger Aspekt. Was sollte er tun? 

Das fürstliche Salär von Volkswagen dürfte einen Ausschlag gegeben haben, für Ogier war es aber auch "die Aussicht, hier etwas Großes und Langfristiges aufzubauen. Ich bin nun sozusagen von Null an ein Teil dieses Projektes. Das hat mich schon gereizt." Im November konnte ihn der damalige VW-Sportchef Kris Nissen als Werksfahrer offiziell bekannt geben. 2012 bestritt Ogier in Vorbereitung auf den WM-Einstieg die komplette Saison mit einem Fabia S2000. Parallel dazu ist er als Testfahrer neben Carlos Sainz und Dieter Depping verantwortlich für die Entwicklung des Polo R WRC. Ein Job, den er perfekt erledigt hat, wie die einzigartige Erfolgsbilanz in der Premierensaison des deutschen World Rally Cars beweist.

Ogier gewinnt im Februar erst als zweiter Nicht-Skandinavier die Rallye Schweden. Insgesamt holen Ogier und Co-Pilot Julien Ingrassia bis dato sechs Siege in 2013; der Sieg zuletzt in Australien ist der insgesamt 13. ihrer Karriere und der dominanteste der Saison. Kurze Zeit später holt er sich in Frankreich vor heimischen Publikum zum ersten Mal den Weltmeistertitel und löste Sebastien Loeb nach neun Jahren als Champion ab. „Als kleiner Junge habe ich mit meinem Vater in meiner Heimat Gap die Autos und Top-Fahrer bei der Rallye Monte Carlo bestaunt – und jetzt bin ich mit Julien selbst Rallye-Weltmeister. Verrückt“, jubelte Ogier. Ob sein Titel weniger wert ist, weil Loeb keine volle Saison bestritt? „Mein Titel ist genauso viel wert wie seiner im letzten Jahr, als ich nicht dabei war“, grinst Ogier.

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