Loeb wird 40

Sebastien Loeb: Das letzte Gefecht

Der erfolgreichste Rallyefahrer aller Zeiten feiert heute seinen 40. Geburtstag. Anlass genug, um auf seine Karriere und seinen letzten WM-Auftritt zurück zu blicken.

<strong>HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH!</strong> Sebastien Loeb feiert heute seinen 40. Geburtstag

Da stehen sie nun beieinander, weil man sie genötigt hat. Das Karee mit Metallgeländern in den Katakomben der großen Sporthalle in Eckbolsheim wirkt wie ein Boxring. Die beiden Paradepferde im Stall des französischen Motorsportverbands FFSA müssen für die Kameras posieren und sie stehen ernst in das Blitzlichtgewitter blickend da, wie zwei Boxer beim Wiegen. Selbst als Sebastien Ogier für ein Foto den Arm um Sebastien Loeb legt, vermeiden beide den Blickkontakt. Sie haben hier noch eine Rechnung offen. Der Chef des FFSA lässt sich für die großartige Nachwuchsarbeit feiern. Er holt neue Talente auf die Bühne, einer heißt auch Sebastien und wird am Ende des Wochenendes die WRC3-Meisterschaft gewinnen. Mindestens fünf Autos starten im Elsass in den Farben der Trikolore. Als wolle man versuchen, dieses gewaltige Loch, das der eine am Sonntag reißen wird, mit möglichst vielen zu stopfen.

 

Aber das wird nicht gehen. Die Selbstbeweihräucherung von Herstellern, Verbänden, Mäzenen und Sponsoren über ihre Bemühungen für den Nachwuchs wirkt im Nachhinein immer so zwangsläufig, der logische Verdienst für harte Arbeit und Engagement. In Wahrheit ist es einfach so, dass ab und zu jemand geboren wird, der irgendetwas so gut kann, dass alle anderen, die sich mit dieser Sache auskennen, trotzdem keine Erklärung dafür haben. Dann fallen Worte wie überirdisch oder Magie.

 

Der Magier lächelt, als ein Reporter Sebastien Ogier neben ihm fragt, ob er ihn vermissen werde. Der neue Weltmeister ist verlegen und sagt: „Alle reden immer nur über den Zoff, den wir gehabt haben, aber es gab ja auch gute Zeiten.“ Er kann nicht wirklich sagen, welche das gewesen sein sollen, seit Ogier in seinem ersten WRC-Jahr als frisch gebackener Junioren-Weltmeister unter Freunden erklärte, dieser Loeb koche auch nur mit Wasser. Vielleicht war das Majestätsbeleidigung, aber vielleicht kann jemand so daherreden, für den der Siedepunkt einfach auch ein anderer ist als für die Normalsterblichen, die sich schon bei 70 Grad verbrühen.

 

Aber das scheint schon eine Ewigkeit her. Sebastien Ogier ist seit gestern der neue Champion. Niemand bremst ihn mehr ein, niemand kann mehr sagen, er wäre ein Großer, aber Loeb sei größer. Ogier ist in den zwei Jahren mit VW sichtlich gereift. Er ist nicht mehr der respektlose Lümmel, der am Thron rüttelt, er hat nun selbst die Krone auf dem Kopf und die erlaubt keine hektischen Bewegungen. Ogier müht sich um Respekt, und gleiches tut Loeb. Er hat unlängst gesagt, er habe kein Problem damit, von jemandem Gleichwertigen geschlagen zu werden. Als ein Reporter in der Pressekonferenz fragt, ob Ogier ein Abschiedsgeschenk für Loeb vorbereitet habe, muss Loeb wieder lachen. Es ist ein entspanntes, breites Grinsen, das Lachen eines Mannes, der abgeschlossen hat mit diesem Zirkus. „Für mich war das Buch Rallyesport eigentlich schon im letzten Dezember zugeklappt“, sagt er.

 

Loeb hat uns betrogen. Betrogen um die vermutlich spannendste Weltmeisterschaft aller Zeiten. Was für eine ultimative Schlacht wäre das gewesen, hätte der erfolgreichste Autofahrer aller Zeiten noch ein volles Jahr drangehängt. Der absolute Superstar gegen den unzweifelhaft kommenden. Zwei Männer, die auf keinem Untergrund eine wirkliche Schwäche haben. Das mit gigantischem Aufwand und größter Akribie antretende VW-Team gegen die unangefochtene Weltmeistertruppe von Citroën. Dass VW mit acht Saisonsiegen ein so lockerer Durchmarsch gelang, lag in erster Linie an der schwächelnden Fahrerriege der Franzosen. Ein zeitweilig total verunsicherter Dani Sordo, und ein völlig neben sich stehender Mikko Hirvonen konnten bei den meisten Rallyes nur die Plätze verwalten, die die Spitze übrig ließ. Mit ziemlicher Sicherheit wäre der Titelkampf mit einem Loeb im vollen Saft nicht schon im Elsass entschieden worden, sondern auf Spitz und Knopf in Wales. Und mit Sicherheit hätte zwischen den beiden Sebs nicht dieses Maß an Güte und Friede geherrscht wie es jetzt der Fall ist.

 

Man respektiert sich: Sebastien Loeb und sein Nachfolger Sebastien Ogier

 

Wir müssen noch ein Wort verlieren über die Gedemütigten und Abgehängten. Oft hat man Loeb vorgeworfen, er habe es ja leicht gehabt, gegen all die Leichtgewichte seiner Ära. Immerhin den langen Marcus Grönholm, zweifacher Weltmeister und achtfacher Finnland-Sieger lässt man noch als ebenbürtig gelten. Doch der große Finne biss sich am kleinen Franzosen die Zähne aus. Er gewann gegen ihn Schlachten, aber nie den Krieg. Es sollte nicht vergessen werden, wie Loeb als Lehrling bei Citroën anfing und nach einer Saison die Superstars McRae und Sainz in Rente schickte. Ein Petter Solberg galt in den späten Neunzigern als das Riesentalent. In Loebs erster Saison durfte der Norweger ein einziges Mal Weltmeister werden, weil Loeb zugunsten der Marken-WM von Teamchef Guy Fréquelin zurückgepfiffen wurde.

 

Im Vorbeigehen zerstörte Loeb Egos und Karrieren. Dani Sordo galt Mitte des vergangenen Jahrzehnts als neuer Überflieger. Würde man Loeb aus den Siegerlisten löschen, hätte der Spanier 15 WM-Siege auf dem Buckel - einen mehr als Walter Röhrl. In einer Welt ohne Loeb würde Mikko Hirvonen hinter dem mit 41 Siegen und mindestens vier WM-Titeln einsam die Statistik anführenden Grönholm mit 32 WM-Erfolgen den zweiten Rang belegen. Der auch in Finnland nie als Siegertyp anerkannte Mann aus Jyväskylä wäre mindestens zweifacher Titelträger. Tapfere Männer wie Chris Atkinson hätten schon WM-Siege erobert und müssten nicht um ein Cockpit betteln. Ein Francois Duval hätte sich 2005 mit Toni Gardemeister um den WM-Titel gebalgt und wäre vielleicht der erste belgische Weltmeister geworden.

 

Aber das ist natürlich alles nur graue Theorie. Belgien hatte mal einen Radfahrer, den nannte man den Kannibalen, weil Eddy Merckx niemandem freiwillig etwas übrig ließ. Wie soll man Loeb dann nennen? Er hat praktisch jede zweite seiner WM-Rallyes gewonnen. Bei 70 Prozent aller Starts stand er auf dem Podium. Und trotz seines unfassbaren Tempos fiel er allenfalls bei einer von zehn Rallyes aus. Für das große Finale hat das Team sich eine besondere Lackierung einfallen lassen. Auf mattschwarzem Grund sind in fetten goldenen Ziffern die Rekorde des Sebastien Loeb aufgeprägt: Die Neun für neun WM-Titel in Folge, die 78 für die Zahl seiner Siege. Die 116 für all seine Treppchenplatzierungen. Und dann wären da in den Annalen noch 1619 Punkte und 896 Bestzeiten, Siege bei 23 verschiedenen Rallyes. Es schien ein perfektes Auto fürs Museum, ein heiß begehrtes Objekt für Sondereditionen für Modellautosammler.

 


Sanremo 2001: Sebastien Loeb startet erstmals im Xsara WRC

 

Es kam dann anders, und das ist das zweite Mal, dass uns Loeb betrogen hat. Wenn es schon nicht eine ganze Saison Hauen und Stechen geben sollte, dann wenigstens diesen letzten großen Kampf. Seb gegen Seb - die beiden Franzosen auf französischem Boden zum großen Finale. Aber schon vor seinem letzten Abgang hat der frühere Leistungsturner die Erwartungen nach unten geschraubt. Schließlich habe er seit fünf Monaten nicht mehr im Rallyeauto gesessen, und daher könne man keine überirdischen Taten von ihm erwarten.

 

Ogier grinste schief und hielt die Tiefstapelei für eine Finte, gleiches hofften die über 100.000 Fans, die trotz herbstlichem Schietwetter die Weidenzäune der Vogesen bevölkerten. Auf einem Hügel hatte jemand Lautsprecher von der Größe von Kühlschränken postiert, aus denen pausenlos Hymnen liefen, die verschiedene Bands im Laufe des Jahrzehnts über den großen Champion komponiert hatten. In jeder Kurve fanden sich Schlachtenbummler mit roten T-Shirts, auf denen Loeb und Elena und Merci standen und die Nummer Neun für neun triumphale Jahre in denen sich die Grande Nation wieder groß fühlen konnte, wenn das schon bei der Tour de France, in der Formel 1, dem Fußball, den Wirtschaftszahlen und der Weltpolitik nicht mehr der Fall ist. In Haguenau standen Zehntausende an den Betonbarrieren, um wie im Vorjahr einem Triumphzug beizuwohnen, als Loeb die neunte WM vor dem Rathaus seiner Heimatstadt feierte.

 

Aber Loeb kam nicht mit dem schwarz-goldenen Auto, und es ist die Frage, ob dieses je im Museum stehen wird oder den Vitrinen der Sammler, denn es ist kaputt. Vordergründig liegt es daran, dass Loeb sich an diesem letzten Sonntag seiner Karriere immer noch als Rallyefahrer begriff, und als solcher müsse man eben manchmal was riskieren, und das kann dann auch mal schiefgehen. In einer schnellen Rechts, die er in der fünften Welle in Angriff nahm, schmierte auf feuchter Piste das Heck weg, und der DS3 landete kopfüber in den Büschen. Noch bevor das Wrack richtig zum Liegen kam, fragte der Abgeflogene seinen Nebenan: „Wie geht’s?“ „Gut“, antwortete Daniel Elena, und wäre es nicht eigentlich ein trauriger Moment gewesen, wäre diese Konversation als beeindruckender Ausdruck von Coolness gewesen, ein echter Schenkelklopfer.

 

So blieb ein schales Gefühl. Der DS3 ist ein schwer zu beherrschendes Auto, wenn die Abstimmung nicht hundertprozentig passt. Das ist einer der Gründe, warum Dani Sordo so sehr an sich zweifelte, und warum Mikko Hirvonen so aussieht, als hätte er das Autofahren verlernt. Loeb hatte ebenfalls Mühe, erst kämpfte er mit Übersteuern, dann drehte er sich ganz profan in einer Kehre. Nachdem er das Fahrwerk umbauen ließ, untersteuerte das Auto. Seit Jahr und Tag ist klar, dass es im Oktober gern im Elsass regnet. Loeb hatte nur im Trockenen getestet, und das nicht einmal einen vollen Tag. Er gab zu, er sei selbst schuld, weil er spät dran war mit dem eigenen Hubschrauber, und das Wetter war nicht gut, und er konnte nicht starten, und so weiter. Besonders reuevoll wirkte er nicht, und manch französischer Journalist warf ihm vor, dafür, dass ihn Citroën auf Händen trage, hätte man ein wenig mehr Engagement erwarten können.

 

Weil Loeb eben der Loeb ist, war er bis zum Ausfall trotzdem bei der Musik, nur fünf Sekunden fehlten ihm auf den führenden Jari-Matti Latvala, der auf Asphalt immer stärker wird und der dem Mann Rosen streut, der ihm so manchen Sieg verhagelt hat: „Er hat uns alle auf ein anderes Niveau gezwungen“, sagt der immer so ehrliche Finne. Die Attacke am Sonntagmorgen war als Überraschungsangriff gedacht, wie ihn Loeb schon oft vorgeführt hat, um der Gegnerschaft den Zahn vom Sieg zu ziehen. Dass es schief ging, ist sehr schade, aber irgendwie auch tröstlich.

 

Der letzte WM-Sieg: Sebastien Loeb und Daniel Elena gewinnen in Argentinien

 

Es zeigt, was Loeb immer über sich gesagt hat: Dass er auch nur ein Mensch ist. Und das bedeutet, dass ein Mann, der 39 Jahre alt ist und nach 13 Jahren als Werksfahrer eigentlich mit seinem Leben als Rallye-Profi abgeschlossen hat, nicht einfach nach seinem ersten Rundstreckensieg im McLaren den Schalter umlegen und nach fünf Monaten Pause kurz vorbeischauen und alle niedermachen kann. Die Konkurrenz schläft nicht, und in diesem halben Jahr ist aus einem Sebastien Ogier ein souveräner Champion geworden und aus einem als Nachwuchshoffnung betrachteten Thierry Neuville der gefragteste Mann des Rallye-Zirkus. Vom jungen Belgier erhofft man sich nicht weniger als dass er verhindert, dass nach einem Jahrzehnt Loeb nun ein Jahrzehnt Ogier folgt. Hirvonen, der um seine Karriere zittern muss, sagt: „Ich habe keine Sorge, dass es nicht genügend andere schnelle Leute gibt.“

 

Dass Citroën Loeb nicht nötigen konnte, länger zu testen zeigt, dass der Glaube, das Ruder in der Marken-WM noch herumreißen zu können, umgekehrt proportional zur Ehrfurcht vor der Ikone Loeb ist. Es wäre vielleicht anders gekommen, hätte die Geheimoperation Deutschland-Rallye geklappt. Loeb und Citroën verhandelten über einen fünften Einsatz, aber als sich Loeb endlich vier Wochen vor dem Start in Trier dazu entschloss, war es zu spät. „Wir konnten in der kurzen Zeit einfach kein Auto für ihn aufbauen“, sagt Teamchef Yves Matton.

 

Durch seinen Ausfall in Straßburg hat Loeb Citroëns letzte echte Chance auf die Marken-WM vereitelt, aber der Frust hält sich in Grenzen, denn anders als den Rallye-Fans bleibt Loeb seinem Arbeitgeber ja erhalten. „Ich sehe ihn nicht mehr bei den Rallyes, aber dafür in der Tourenwagen-WM“, sagt Matton. Marken-Chef Frédéric Banzet gibt zu: „Es wird schon seltsam sein ohne ihn, nach all den Jahren. Wir hatten so viele großartige Momente zusammen. Aber hoffentlich gibt es noch weitere solcher Augenblicke im Rennsport.“ Dem Team geht es wie Loeb: Nach dem letzten WM-Titel im Elsass 2012, dem Champagner, dem goldenen Lametta, vermischt mit Tränen, gab es nichts mehr zu toppen, und man hat sich intern mit dem Scheiden des Superhelden längst abgefunden.

 


Auf zu neuen Ufern: Sebastien Loeb startet künftig in der WTCC

 

Die größte Sorge der Roten nach dem Unfall war nicht der Punktestand, sondern das Publikum in Haguenau. Auch wenn der in der Schweiz residierende Loeb zugibt, dass er sich nur selten in die alte Heimat verirrt, hat die Stadt gerade ein nagelneues Sportzentrum gebaut, das seinen Namen tragen wird. „Wir versuchen, etwas auf die Beine zu stellen“, sagt Pressechefin Marie-Pierre Rossi am Sonntagmittag mit ernster Miene, als ginge es um Leben und Tod. Na ja, zumindest ging es um die Live-Übertragung im Fernsehen. Am Ende hatte man ein Cabriolet aufgetrieben, schwarz wie eine Staatskarosse. Obwohl das Auto nur ein kleiner Citroën DS3 ist, kam im Pariser  Élysée -Palast vermutlich Neid auf. So wie Loeb da saß, lässig und doch würdevoll, milde lächelnd und den Spalier stehenden Massen zuwinkend, sah er aus wie ein wahrer Präsident.

 

Quelle: rallye - Das Magazin, Ausgabe 11/12 2013

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