Heute vor 10 Jahren

Rallye Portugal 2011: Der Abstauber

Ein Weltmeister im Blindflug, dahin darbende Fords und jede Menge Diskussionen um die Reifen - Wir blicken auf die Rallye Portugal 2011 zurück.

Man konnte Mitleid mit ihm haben. Vor der Lichtschranke der letzten Prüfung parkte Petter Solberg seinen Citroën DS3 und hockte wie ein Häufchen Elend neben dem teuren Stück Technik, das die vorbeirauschende Konkurrenz immer mehr einstaubte. Der Norweger war den Tränen nahe. Vier Reifenschäden an einem Tag hatte selbst seine Laune kapitulieren lassen. Ersatzreifenlos musste Solberg in Sichtweite des Etappenziels die Fühler strecken und die fälligen zehn Strafminuten warfen ihn ins Nirwana des Klassements zurück. Warum es ihn so oft erwischte, konnte sich Solberg nicht erklären. "Vielleicht liegt es an meinem Setup. Vielleicht an meiner Fahrweise. Keine Ahnung“, zuckte der Blondschopf mit den Schultern.

Auch einem anderen Weltmeister war die gute Laune vergangen. Und zwar gründlich. Sebastien Loeb kochte förmlich vor Wut. Wild gestikulierend erreichte er das Ziel der neunten Prüfung. "Er hat mir meine Rallye kaputtgemacht!", tobte der sonst so beherrschte Champion. Im Zielfeuer der Loebschen Attacke stand Mikko Hirvonen. Der Finne hatte sich ein paar Minuten zuvor einen Plattfuß eingehandelt und diesen auf der Strecke gewechselt. In Rekordzeit tauschte Hirvonen das Rad und schaffte es, noch vor Loeb wieder auf die Strecke zu kommen. Der hatte in der Zwischenzeit den zwei Minuten Startabstand aufgeholt und klebte nun in der Staubfahne Hirvonens fest. Alle Versuche, den Finnen per Funkspruch auf die Seite zu bitten, scheiterten. Ford-Teamchef Malcolm Wilson sah keinen Grund, seinen Fahrer einzubremsen, schließlich hatte dieser wieder volle Fahrt aufgenommen. "Das gehört zu diesem Sport dazu", mauerte Wilson.

Loeb verlor über 30 Sekunden und im Ziel die Beherrschung. "Jetzt ist alles vorbei. Ich kann höchstens noch Dritter werden. Ein toller Schachzug von denen", echauffierte er sich weiter. Loeb war so sauer, dass er Hirvonens Auto vor den Augen der Reporterschar mit seinem DS3 absichtlich rammte. "Ich kann ihn verstehen. Ich würde mich genauso fühlen", zeigte sich Hirvonen trotz des unnötigen Remplers verständnisvoll. "Aber ich habe nichts falsch gemacht. So etwas kann jedem von uns passieren." Kurze Zeit später hatte sich Loeb wieder beruhigt und entschuldigte sich bei Hirvonen: "Ihn trifft keine Schuld. Aber sein Team hätte anders handeln können."

Der Wutausbruch von Loeb hat einen simplen Grund: Sebastien Ogier. Seinen Teamkollegen nimmt der siebenfache Champion verdammt ernst. Möglicherweise ist Ogier der erste Fahrer, der nach vielen Jahren in der Lage ist, Loeb aus eigener Kraft zu schlagen und das Hirvonen-Manöver spielte ausgerechnet dem Rivalen im eigenen Stall in die Hände. Wie sehr sich die beiden Citroën-Piloten belauern und unter Druck setzen hatte bereits Mexiko gezeigt. Teamchef Olivier Quesnel leierte in der Folge gebetsmühlenartig herunter, dass beide Fahrer sein Vertrauen und freie Fahrt genießen. Nur der Markentitel darf bei aller Konkurrenz nicht in Gefahr geraten. Ogier übernahm zwar in Portugal rasch die Führung, doch am Abend packte er genau wie Loeb die Taktik-Keule aus. Das Citroën-Duo ließ sich absichtlich auf Platz drei und vier zurückfallen, um am Samstag einen Startplatzvorteil zu haben. Die Konkurrenz von Ford fühlte sich überrumpelt und setzte anschließen alle Hoffnung in den nächtlichen Regen, der den losen Staub auf den Prüfungen binden würde.

Tatsächlich konnte sich Spitzenreiter Jari-Matti Latvala am Samstag zunächst an der Spitze behaupten, doch dann begann das Desaster für Ford. Erst war es der eingangs erwähnte Reifenschaden von Hirvonen, dann brach auf der vorletzten Tagesprüfung eine Antriebswelle im Fiesta von Latvala. Als auf der letzten Prüfung auch noch ein Reifenschaden dazukam, war der Finne endgültig raus aus dem Rennen um den Sieg. Auch für Hirvonen sollte das Finale des zweiten Tages kein gutes Ende nehmen. Plötzlich knackte die hintere Aufhängung seines Autos (WP13).  "Ich habe keine Idee warum das passiert ist", erklärte Hirvonen. "Wir waren nicht draußen und haben nirgends angeschlagen." Anders als am Morgen stoppte Hirvonen diesmal und ließ den nachfolgenden Loeb vorbeiziehen. "Jetzt ging es fair zu. Mikko wartete am Straßenrand", schilderte Loeb, der sich angesichts eines Rückstands von einer halben Minute wenig Hoffnung auf den Sieg machte. An der Spitze hatte sich Ogier eingenistet, der problemlos durch den Tag kam. "Er müsste schon arg patzen. Wir sind einfach zu weit weg", meinte Loeb.

Vielleicht hätte sich der Franzose ein wenig Lebenshilfe von Petter Solberg holen sollen, denn eins verliert das Stehaufmännchen aus Norwegen nie: Seine Motivation! Mit einer beeindruckenden Fahrt kämpfte sich Solberg aus dem Nirwana der Zeitentabelle wieder nach vorne und erreichte am Ende den sechsten Platz. "Ich gebe niemals aus. Das gilt auch für meine Weltmeisterschaft", konnte Solberg am Sonntag wieder deutlicher strahlen. Bruder Henning nervten in Portugal nicht nur Reifenschäden, sondern wieder einmal die anfällige Technik seines Fiestas. Ob Fehlzündungen, Turboprobleme, oder Servoschaden, der Norweger bekam die volle Packung. Fast schon ein Wunder, dass er hinter Kimi Räikkönen und Frederico Villagra noch Neunter wurde. Auch Mads Östberg brachte der Auftritt in Portugal wenig Glück. Schon auf der zweiten Prüfung wurde das Getriebe seines Fiestas in zwei Teile zerrissen. Zwar ging er am Samstag wieder ins Rennen, aber eine defekte Servolenkung (WP11) stoppte die Aufholjagd. Zu diesem Zeitpunkt rollte auch Armindo Araujo aus. Bis dahin hatte der Portugiese für ein famoses Debüt des neuen Mini S2000 gesorgt. Angetrieben von einem 1,6-Liter-Turbo fuhr sich Araujo bis auf Platz sieben der Gesamtwertung nach vorn.

An der Spitze lieferten sich die Werksfahrer ihren letzten Schlagabtausch. Der Sieg auf der neu eingeführten Power-Stage scheint mittlerweile eine Prestigesache zu sein, die zusätzlichen WM-Punkte nimmt man als Zugabe beiläufig mit. Hirvonen lag bei den ersten Zwischenzeiten vorn, dann brach erneut die hintere Aufhängung. Latvala setzte alles daran, um die Citroëns wenigstens hier zu bezwingen, doch Loeb und Ogier stachelten sich so sehr an, dass auch dieser Sieg nach Frankreich ging. Loeb setzte die letzte Bestzeit und zog mit Hirvonen in der WM-Wertung gleich. Den Sieg in Portugal musste er diesmal Ogier überlassen. Dem war die Freude über den Erfolg deutlich anzumerken: „Wir sind wieder da!“

Nach der Rallye wollte sich Michelin nicht den schwarzen Reifenpeter zuschieben lassen. Man habe erst sehr spät mit der Entwicklung anfangen können und dann wollten die Teams so schnell wie möglich die neuen Pneus haben, hieß es aus Frankreich. Selbstbewusst fügte man hinzu: „Obwohl die Autos in diesem Jahr weniger Leistung haben, waren die Fahrer mit unseren Reifen auf einigen Prüfungen schneller als im Vorjahr.“ - Citroën und Ford dürften diese Einschätzung nur bedingt teilen. Immerhin versprach Michelin, dass man in Kürze einen verbesserten Reifen bringen würde.

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