WM 2018

Nicky Grist: „Evans kann M-Sport-Kapitän werden“

Bei seinem Heimspiel in Wales holte sich Elfyn Evans seinen ersten WM-Sieg. Nicky Grist, Ex-Beifahrer von Colin McRae, analysierte am Wochenende als Experte für Red Bull TV die Lage und fasst seine Eindrücke zusammen.

„Was für eine bemerkenswerte Wales Rally GB 2017. Ich war nicht in meiner früheren Rolle als Beifahrer unterwegs, sondern als Gast-Reporter von Red Bull TV. Ein Job, den ich wirklich genossen habe. Es hat großen Spaß gemacht, mit Chefreporter Mike Chen und dem ganzen Team zu arbeiten. Abgesehen davon: Diese Rallye werden wir wohl alle so schnell nicht vergessen. 

Zuallererst: Glückwunsch an Elfyn Evans. Der erste WM-Sieg, und das Ganze bei der Heim-Rallye – viel besser geht’s nicht. Naja, vielleicht doch. Wenn du Sébastien Ogier bist und gerade zum fünften Mal in Folge die Weltmeisterschaft gewonnen hast ...

Wie auch immer, ich komme schließlich selbst aus Wales. Für mich und meine Landsleute drehte sich am Wochenende alles um Elfyn Evans. Ich habe ihn zum Beispiel am Samstag auf der Wertungsprüfung „Gartheiniog“ verfolgt, die wir bei Red Bull TV live übertragen haben. Er ist mit einem Riesen-Selbstvertrauen ans Werk gegangen, das ließ die ganze Sache geradezu einfach aussehen. Ich erinnere mich an meine Zeit als Beifahrer von Colin McRae. Wenn du alles unter Kontrolle hast, kommt das Tempo praktisch von ganz alleine. Trotzdem musste sich Elfyn natürlich von Prüfung zu Prüfung neu konzentrieren. Und genau das hat er perfekt getan. 

Elfyn hatte bei diesen speziellen Bedingungen offensichtlich einen kleinen Vorteil aufgrund der DMACK-Reifen, die aus der Spitzengruppe nur er gefahren ist. Aber das soll seinen Erfolg nicht schmälern, diesen Vorteil nutzen und am Ende ins Ziel kommen musste er trotzdem. Ich denke, dieser Sieg hat seine Position für die Vertragsverhandlungen mit M-Sport gestärkt. Teamchef Malcolm Wilson hat für 2018 bereits Ott Tänak verloren. Falls Sébastien Oger nicht bleibt, bietet sich Elfyn als neuer Mannschaftskapitän geradezu an. 

Ogier musste für seinen fünften Weltmeistertitel wirklich hart arbeiten, und die Wales Rally GB bildete darin keine Ausnahme. Im Gegensatz zu ihrem Teamkollegen Elfyn Evans taten sich Ogier und Tänak am Samstag schwer. Statt um die Führung zu kämpfen, hatten sie alle Hände voll damit, sich gegen Andreas Mikkelsen und Jari-Matti Latvala zu wehren. Ogier ist dies gelungen, und man konnte im Ziel sehen, wie viel ihm der erneute Titelgewinn bedeutet.

Großen Verdienst an Ogiers fünftem Titel haben M-Sport und Teamchef Malcolm Wilson. Man darf nicht unterschätzen, wie groß die Herausforderungen und Anstrengungen für ein privates Team sind, gegen die offiziellen Werksmannschaften zu bestehen. Das schnellste Auto hatte dieses Jahr möglicherweise Hyundai. Trotzdem hat M-Sport sie geschlagen. Weil M-Sport die Details besser im Griff gehabt hat, die am Ende über einen WM-Titel entscheiden. Kein Zweifel, Ogier hat M-Sport auf ein neues Niveau gebracht.

Interessant wird, wie sich Ogier für 2018 entscheidet. Ogier ist Weltmeister, und er will auch nächstes Jahr Rallyes gewinnen. Dazu braucht er natürlich das richtige Auto. Aber auf diesem Level fährt man nicht mehr zum Spaß, also muss auch der finanzielle Rahmen stimmen. Theoretisch könnte er sich auch sagen: Ich habe alles erreicht, was ich erreichen wollte, ich höre auf. Aber so, wie ich Ogier als Sportler kenne, ist das nicht wirklich eine Option. Er weiß, dass er es immer noch drauf hat. Ich denke, er wird auch nächstes Jahr seinen Titel verteidigen wollen.   

In welchem Team er das tun wird, hängt möglicherweise einzig und allein von der Ford Motor Company ab. Sollte das Unternehmen zumindest einen Teil der Kosten bei M-Sport übernehmen, hätte Malcolm Wilson bessere Möglichkeiten, das Auto weiterzuentwickeln und sein Team auf dem aktuellen Niveau zu halten. Falls Ford nicht einsteigt, wird Wilson wohl zumindest Probleme haben, Ogier zu halten. Dann müsste er für 2018 gleich zwei Fahrer ersetzen. Das ist für keinen Teamchef eine ideale Situation.

Aber zurück zur Wales Rally GB. Thierry Neuville, der große Titelrivale von Sébastien Ogier, hat wirklich alles versucht. Dabei hat seine Rallye mit einem Schock begonnen. Noch bevor die erste Wertungsprüfung gestartet war, hatte bereits eine Zehn-Sekunden-Zeitstrafe bekommen. Verständlich, dass Thierry deswegen sauer war. Beim Versuch, diese Sekunden wieder reinzuholen, hat er es an der einen oder anderen Stelle übertrieben. Aber die Bestzeit auf der letzten Wertungsprüfung am Freitag hat ihn wieder aufgebaut. Am Samstag und am Sonntag hat er sich von Rang vier auf Rang zwei verbessert. Bei Neuville lief es in dieser Phase eindeutig besser als bei den Konkurrenten.     

Auch für Jari-Matti Latvala und Toyota verlief die Rallye nicht ganz so wie erwartet. Das Auto ist offensichtlich schnell. Aber bei den Bedingungen in Wales war wohl das Fahrverhalten etwas merkwürdig. Die Fahrer hatten Probleme, die Ideallinie zu treffen. Aber ich möchte das Team nicht zu heftig kritisieren. Toyota ist neu in der Weltmeisterschaft. Da ist es normal, dass man ein paar Probleme hat. Ich denke, die Mannschaft hat über Winter eine Menge Arbeit.

Eine weitere Sache, die mich an der Wales Rally GB wirklich beeindruckt hat, war die unglaubliche Anzahl von Zuschauern. Es war phantastisch, so viele Menschen am Rande der Wertungsprüfungen zusehen – so wie in den guten alten Tagen! Das war wirklich ein ganz spezieller Sieg, der erste eines Fahrers aus Wales. Elfyns Leben dürfte in nächster Zeit etwas stressig werden.“

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