Verbot 2008

Mousse auf Abschiedstour

Bei der Akropolis Rallye 1987, also vor genau 20 Jahren, feierte das Mousse-System sein offizielles Debüt in der Rallye-WM. Ab 2008 ist es verboten.

<strong>KEIN PROBLEM:</strong> Das Mousse-System verdaut solche Schäden

Der Premierenort hätte nicht besser gewählt werden können: Seit jeher zählt die Rallye Akropolis in Griechenland zu den härtesten Herausforderungen überhaupt im Motorsport. Vor allem die Reifen verrichten auf den erbarmungslosen, mit unzähligen Felsbrocken gesäten und von tiefen Spurrillen durchzogenen Schotterpfaden Schwerstarbeit. Reifenschäden waren hier geradezu an der Tagesordnung. Deshalb wählte das Unternehmen Michelin - zu dem heute auch BFGoodrich gehört - in der Saison 1987 exakt diese Veranstaltung, um das ATS-System (Appui Temporaire Souple) erstmals der Öffentlichkeit zu präsentieren.

 

Jean Ragnotti und François Chatroit in ihren Werks-Renault 11 Turbo fiel die Ehre zu, die revolutionäre Technologie zu ihrem Debüt zu verhelfen. Noch heute erzählen sich Augenzeugen von damals gerne die Geschichte, wie der stets zu Scherzen aufgelegte Ragnotti vor dem Start der ersten WP seine Reifen mit einem Taschenmesser traktierte. Allein der Gesichtsausdruck des Lancia-Piloten und späteren Siegers Markku Alén soll unbezahlbar gewesen sein ...

 

Was sich heute so einfach liest und in der Praxis perfekt funktioniert, erwies sich vor 20 Jahren als nicht frei von Tücken: So entsprach das aktivierte ?Mousse? 1987 lediglich einem Luftdruck von ungefähr 1,2 bar. Der Zeitverlust pro WP-Kilometer lag damit bei etwa einer Sekunde, und die Laufleistung war auf rund 30 Kilometer begrenzt. Doch selbst wenn das ATS nicht in Aktion war, kam es zu Nebenwirkungen: Die auftretenden Zentrifugalkräfte während der Fahrt, ließen den ?Mousse?-Ring sich innerhalb des Reifen bewegen. Dadurch wurden Vibrationen bis ins Lenkrad übertragen.

 

Das zusätzliche Gewicht von rund drei Kilogramm pro ?Mousse?-Ring (etwa zehn Prozent des Gesamtgewichts eines Rads) zog zudem zu eine Modifikation der Aufhängung nach sich, um die zusätzliche ungefederte Masse zu kompensieren. Auch musste mit höherem Reifendruck gefahren werden. Gleichzeitig konnten die Pneus nicht mehr mit Stickstoff befüllt werden, welcher zwar einen konstanteren Luftdruck garantiert, gleichzeitig aber durch seine speziellen thermischen Eigenschaften die Funktionsweise des Systems beeinträchtigt hätte.

 

Doch die Ingenieure von Michelin erzielten schnell spürbare Verbesserungen: Bereits 1990 entsprach das aktivierte ?Mousse? einem Luftdruck von 1,7 bar - im Vergleich zu 2,0 bar im Normalzustand des Reifens. Das System erlaubte nun eine Laufleistung von bis zu 50 Kilometer bei einer Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h. Trotzdem beschränkte sich der Einsatz von ATS zunächst auf die härtesten Schotterveranstaltungen im Kalender. Dies hing zu einem großen Teil auch mit logistischen Schwierigkeiten zusammen, denn die Kühlmöglichkeiten beim Lagern waren damals nicht in dem Umfang gegeben wie heute.

 

Nach und nach erweiterte sich das Einsatzgebiet des ATS-Systems zunächst auf alle Schotter-Rallyes, später dann auch auf Asphalt-Veranstaltungen und schließlich sogar auf Winter-Events. Lediglich die Safari-Rallye in Kenia konnte lange Zeit nicht mit Mousse-Reifen bestritten werden - obwohl sie gerade dort lange schmerzlich vermisst wurden. Die enorme afrikanische Hitze, Geschwindigkeiten von über 200 km/h und die extremen Distanzen, die im Wettbewerbstempo zu absolvieren waren, überstiegen lange Zeit die Leistungsfähigkeit des Systems. Erst in der Saison 2001 hatten die Ingenieure die Probleme vollständig im Griff - eindrucksvoll unterstrichen durch den Dreifacherfolg der Michelin Partner Tommi Mäkinen (Mitsubish Lancer WRC), Harri Rovanperä (Peugeot 206 WRC) und Armin Schwarz (Skoda Octavia WRC). Thermik, Distanz und Geschwindigkeit sind im Übrigen auch die Hauptgründe dafür, dass das ATS-System bis heute nicht für den erfolgreichen Einsatz auf der Rundstrecke adaptiert werden konnte.

 

Im Rallyesport hingegen hat die Technologie inzwischen einen Entwicklungsstand erreicht, der es den Piloten trotz eines oder mehreren Reifenschäden nicht nur erlaubt weiterzufahren, sondern sogar WP-Bestzeiten zu markieren. Die aktuelle Generation der WRC-Piloten kennt praktisch nichts anderes als Reifen mit ATS-System. Sie können sich das Fahren ohne kaum noch vorstellen. "Ich sammelte meine ersten Erfahrungen mit dem Mousse-System bei der Rallye San Remo 2001, meinem WM-Debüt im Citroën Xsara RC", erinnert sich BFGoodrich Partner Sébastien Loeb. "Als ich sah, welche Linien die anderen Fahrer fuhren, begriff ich schnell, wie ich die Vorteile des ATS optimal nutzen konnte. Auf Asphalt spürst du als Fahrer, wenn das Mousse einsetzt. Der Wagen verliert leicht an Präzision und das Heck wird etwas nervöser. Auf losem Untergrund kannst du hingegen keinen Unterschied feststellen. Es ist toll, du musst dir einfach keine Gedanken um eventuelle Reifenschäden machen."

 

Die sorglosen Zeiten sind bald vorbei: Ab der Saison 2008 verbietet das Reglement der Rallye-WM, dass zwischen Felge und Reifen feste Materialien installiert werden - das Ende der Pannensysteme in der heute bekannten Art. Das Sicherheitsrisiko von Reifenplatzern und "schleichenden Plattfüßen" wird wieder steigen, und die Piloten werden ihren Fahrstil so lange grundlegend umstellen müssen, bis die Ingenieure gleichwertige Ersatzlösungen gefunden haben - wenn es überhaupt je gelingen sollte.

 

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