Die Aufgabe, ein wettbewerbsfähiges Fahrzeug für die Rallye-Weltmeisterschaft zu entwickeln, ist äußerst komplex. Mal geduckt über topfebenen Asphalt, mal quer stehend über Eis und Schnee, mal hochbeinig über rauen Schotter – dazu hier große Hitze, dort Eiseskälte. Keine zweite Kategorie im internationalen Motorsport bietet eine solch große Vielfalt an klimatischen Bedingungen und unterschiedlichen Fahrbahnbelägen. All das muss ein Rallye-WM-Fahrzeug meistern.
Ein anschauliches Beispiel für die geforderte Flexibilität des Fahrzeugkonzepts: Zwischen Schotter- und Asphalt-Konfiguration liegen allein etwa 100 mm Unterschied in der Bodenfreiheit. Unter der Vielzahl an unterschiedlichen Bedingungen müssen Chassis und Motor ein Maximum an Effizienz leisten. Stark genug, den Belastungen standzuhalten, leicht genug, um die nötige Leistungsfähigkeit zu garantieren.
Die Volkswagen Ingenieure entwickelten in 17 Monaten auf Basis des Serien-Polo, von dem die Rohkarosserie stammt, den Polo R WRC nach dem Minimal-Prinzip. Jede einzelne Komponente wurde mehrfach auf ihre Dimensionierung und Leichtigkeit hin erprobt und während der etwa eineinhalbjährigen Entwicklungszeit stetig verbessert. Der Weg zur Präsentation des homologierten Polo R WRC für die Saison 2013 folgte einem strammen Zeitplan: Nach der Präsentation des Konzept-Fahrzeugs im Mai 2011 baute Volkswagen zunächst ein sogenanntes 0-Fahrzeug als Komponenten-Träger auf, das im Herbst 2011 seinen Roll-out in den Weinbergen von Trier absolvierte.
Die rechnergestützte Simulation des ersten Konzepts für den eigentlichen Polo R WRC begann parallel dazu. Die Volkswagen Ingenieure bereiteten sich in der Folge ein eigenes Weihnachtsgeschenk: Pünktlich am Heiligen Abend 2011 stand der erste Polo R WRC im Foyer von Volkswagen Motorsport. Das Roll-out erfolgte im Januar 2012 auf der Volkswagen Teststrecke in Ehra-Lessien, ebenso erste Tests in Schweden und Spanien. Ab März unterzogen die Techniker den Polo R WRC einer steten Überarbeitung – beispielsweise in Sachen Fahrwerkskinematik und Leichtbau. Der Aufbau dieser verbesserten Version des Polo R WRC, die bei der Rallye Monte Carlo 2013 am Start stehen wird, begann schließlich im September 2012.
Jede einzelne Komponente des Polo R WRC durchlief auf dem Weg zum Status „ready to race“ mehrere grundlegende Prozesse. Am Anfang stand die Theorie: Parametrisches Konstruieren an CAD-Systemen (Computer Aided Design) wurde von rechnergestützten Simulationen (z. B. CFD – Computer Fluid Dynamics) verifiziert und in der Praxis beispielsweise bei Windkanal-Tests und in der Klimahöhenkammer des Volkswagen Konzerns überprüft. Erst danach folgten ausgiebige Testfahrten. Eine entscheidende Rolle spielten bei der Auslegung und der Erprobung des Chassis die Ressourcen aus Wolfsburg. Die Konstruktionsabteilung der Marke Volkswagen steuerte dabei wertvolle Entwicklungsarbeit in Sachen Crashtest und Sicherheit bei. Die Erprobung des Fahrzeuges bei Wasserdurchfahrten wurde ebenfalls durch die Ingenieure der Zentrale in Wolfsburg ermöglicht.
„In der Chassis-Entwicklung spielen Erfahrungswerte eine große Rolle“, sagt François- Xavier Demaison, Technischer Projektleiter für die Rallye-WM. „Gerade was die Bodenfreiheit, die Kinematik, die Aufhängung oder die Auslegung des Differenzials angeht, kann man mit seinem Wissensschatz aus vorangegangenen Jahren Abkürzungen nehmen, ohne die sonst eine lange Simulations- und Testphase nötig wäre. So kann man sich beispielsweise bei der Dimensionierung des Unterbodens langsam von oben oder unten an das Optimum rantasten und dabei viele Kilometer investieren. Bereits zu wissen, wie stark man ein Teil konstruieren muss, spart viel Zeit.“ Unter der Regie von Volkswagen Motorsport entstand so ein Hightech-Puzzle aus insgesamt etwa 3.000 Teilen, von denen 1.360 für den Motorsport-Einsatz des Polo von Grund auf neu konstruiert wurden – Motor und Getriebe nicht mitgezählt.
Ganz anders als bei der Chassis-Entwicklung ging Volkswagen bei der Konstruktion des etwa 300 Einzelteile umfassenden Motors für den Polo R WRC vor: dem etwa 315 PS starken 1,6-Liter-TSI-Triebwerk. Das automatisierte Wechselspiel aus CAD-Konstruktion und gleichzeitiger Simulation durch CFD-Prozesse führte unter anderem zur idealen Ausgestaltung der Einlasskanäle.
Die Motorenentwicklung bei Volkswagen Motorsport überprüfte im Zuge der Entwicklung alle Optionen, die das Reglement erlaubt, und simulierte ihre Abhängigkeiten voneinander. „Der Motor für die Rallye-WM ist in ganz hohem Maß mit elektronisch gestützten Entwicklungsmethoden konstruiert worden, um Entscheidungen abzusichern“, so Dr. Donatus Wichelhaus, Leiter der Motorenentwicklung von Volkswagen Motorsport. „Dabei war die Mitarbeit von unseren Kollegen aus Serie und Forschung von Volkswagen eine große Hilfe. Sie kam uns vor allem bei automatisierten Entwicklungsschritten bei der Konstruktion – etwa von Einlass-Geometrien – zugute.“
Die Ingenieure um Dr. Wichelhaus überprüften im gesamten Prozess eine breite Basis an unterschiedlichen Lösungen. Zwei verschiedene Hub-Bohrungs-Verhältnisse, drei verschiedene Zylinderkopf-Konzepte, neun verschiedene Einlasskanal-Geometrien, unzählige Varianten von Injektoren sowie zwei verschiedene Ventildurchmesser wurden überprüft und die jeweils beste Lösung für das endgültige Aggregat ausgewählt.
Technische Daten Volkswagen Polo R WRC
Motor
Bauweise Reihen-Vierzylinder-Motor mit Abgasturbolader und
Ladeluftkühlung, quer vor der Vorderachse angeordnet
Hubraum 1.600 cm3
Leistung 232 kW (315 PS) bei 6.250 U min–1
Drehmoment 425 Nm bei 5.000 U min–1
Luftmengenbegrenzer 33 mm (FIA-Reglement)
Motormanagement Bosch
Kraftübertragung
Getriebe Sequenzielles Sechsgang-Renngetriebe, quer angeordnet
Achsantrieb Permanenter Allradantrieb mit starrem Durchtrieb zwischen
Vorder- und Hinterachse, Lamellensperrdifferenziale an Vorder und Hinterachse
Kupplung Hydraulisch betätigte Zweischeiben-Sintermetall-Kupplung
Fahrwerk
Vorder-/Hinterachse McPherson-Federbeine, Dämpfer von ZF
Federweg Ca. 180 mm bei Asphalt, ca. 275 mm bei Schotter
Lenkung Zahnstangenlenkung mit Servo-Unterstützung
Bremsanlage Rundum innenbelüftete Scheibenbremsen (Ø 355 mm bei
Asphalt vorn; bei Schotter vorn und hinten Ø 300 mm)
Aluminium-Bremssättel (vier Kolben rundum)
Felgen Größe 8 x 18 Zoll für Asphalt, 7 x 15 Zoll für Schotter
Reifen Wettbewerbsreifen von Michelin
Chassis/Karosserie
Aufbau Nach FIA-Reglement verstärkte Serien-Stahlkarosserie
Maße und Gewicht
Länge/Breite/Höhe 3.976/1.820/1.356 mm
Spurweite 1.610 mm
Radstand 2.480 mm
Mindestgewicht 1.200 kg
Fahrleistungen
Beschleunigung 0–100 km/h in ca. 3,9 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit Bis ca. 200 km/h (je nach Getriebe-Übersetzung)