Die Rückkehr der Nebelreiter

Röhrl und Geistdörfer zurück in Arganil

Im Jahr 1980 machten sich Walter Röhrl und Christian Geistdörfer mit dem Nebelritt von Arganil unsterblich. 33 Jahre später kehrten die Bayern für den Red-Bull-Sender Servus TV an die traditionsreiche Stätte zurück. Wir durften die Dreharbeiten als einziges Reporterteam begleiten und mit den Nebelreitern auf Spurensuche gehen.

Das Wunder von Bern 1954, Boris Beckers Wimbledon-Sieg 1985 im zarten Alter von 17 Jahren oder Sven Hannawalds unerreichter Triumph bei der Vierschanzentournee 2002 mit vier Siegen bei vier Springen. Es sind diese seltenen Momente, in denen Sportler über sich hinauswachsen und zu lebenden Legenden werden. Walter Röhrl und Christian Geistdörfer sind vor allem für ihre vier Monte-Siege berühmt, aber haben sie die größte Leistung ihrer Motorsportkarriere vielleicht nicht auf den verschneiten Alpenpässen sondern 1.500 Kilometer weiter westlich im Zentrum Portugals gezeigt?

Wir schreiben den 7. März 1980. Es ist kurz vor Mitternacht. Die Hügel der bis zu 1.400 Meter hohen Serra do Açor sind wie so oft zu dieser Uhrzeit in einen dichten Schleier gehüllt, als die Fahrer zum Start der Königsprüfung der Rallye Portugal anrollen. Arganil. Das bedeutet 42 Kilometer Schotter auf Wegen, die kaum breiter sind als ein Hummer. Links der Berg, rechts der Abhang, bis zu 100 Meter tief. Dazu Nacht und Nebel. Die Sicht ist so hervorragend, als hätte man die Windschutzscheiben der Rallyeautos aus Milchglas gefertigt. Oder anders formuliert: perfektes Röhrl-Wetter.

Obwohl sein Fiat wegen eines Unfalls mit dem eigenen Servicewagen (!) leicht angeschlagen ist, prescht der Regensburger über die längste und härteste Wertungsprüfung der Rallye, als gäb’s kein Morgen mehr. Nach vier Kilometern ziehen Röhrl/Geistdörfer am Talbot Sunbeam Lotus von Guy Fréquelin/Jean Todt vorbei und damit sich die Franzosen nicht an die Nebelkönige dranhängen können, entfernt Geistdörfer kurzerhand die Sicherung für die Rücklichter. Dann gibt es nur noch freie Fahrt für das bayerische Fiat-Duo, das sich mit deutscher Gründlichkeit auf die blinde Achterbahnfahrt durch die portugiesischen Berge vorbereitet hat. Geistdörfer hat den Aufschrieb im Vorfeld mit Zwischennoten verfeinert und Röhrl hat sich jede einzelne Kurve in sein fotografisches Gedächtnis gehämmert.

Fünf Minuten schneller als der Rest

Mit Erfolg: 35 Minuten und 14 Sekunden brauchen Röhrl/Geistdörfer für die 42-Kilometer-Blindfahrt. Björn Waldegård ist im Mercedes 450 SLC 5.0 Zweitschnellster – mit 4.58 Minuten Rückstand auf die Bestzeit. Das entspricht einem Unterschied von über sieben Sekunden pro Kilometer! Zum Vergleich: Bei der längsten WP der Rallye Portugal 2013 (Almodovar, 52,3 km) lagen 28 Teams innerhalb dieser Sieben-Sekunden-pro-Kilometer-Marge, darunter auch fünf frontgetriebene Citroën DS3 R3T.

Doch zurück ins Jahr 1980. Mit dem überirdischen Nebelritt brechen Röhrl/Geistdörfer ihren Fiat-Teamkollegen und größten Rivalen das Rückgrat. Markku Alén/Ilkka Kivimäki verlieren bei der ersten Arganil-Durchfahrt über fünf Minuten. Bei der Wiederholung der Königsprüfung dreieinhalb Stunden später sieht es zunächst anders aus. Röhrl trägt seinen Fiat 131 Abarth durch das nebellose Tal zu Beginn der Prüfung und kann Aléns Atem fast schon im Nacken spüren. Dann geht es wieder unter die Dunstglocke. Röhrl drückt aufs Gas und verpasst seinem Teamkollegen 2.48 Minuten. Entsprechend deutlich fällt das Endergebnis aus: Röhrl/Geistdörfer gewinnen die Rallye Portugal mit 14 Minuten Vorsprung auf Alén/Kivimäki.

Nun, 33 Jahre später, kehren Röhrl/Geistdörfer als zweifache Weltmeister und „Rallyefahrer des Millenniums“ an den Ort ihres historischen Triumphs zurück. Grund: Der Red-Bull-Sender Servus TV will mit dem Magazin „Ring frei für die Speedgang“ vor Ort auf Spurensuche gehen und das Geheimnis des legendären Nebelritts lüften. Wie konnte ein Team so viel schneller sein als der Rest der Welt?

Auf den ersten Blick machte es den Eindruck, als hätte Servus TV für den geplanten 12-Minüter über die bajuwarischen Nebelreiter keine Kosten und Mühen gescheut. Das Filmteam reiste mit fünf Mann nach Portugal, darunter auch Rallye-Kultfilmer Helmut Deimel. Das Equipment – zwei Kameras, Schiene, Kran und sogar eine fliegende Kameradrohne – wurde in zwei Vans verstaut. Und das Dienstfahrzeug von Röhrl und Geistdörfer – ein Fiat 131 Abarth – ließen die Österreicher extra aus Bergheim bei Köln herbringen. 2.000 Kilometer pro Strecke. Aber Helmut Deimel klärte uns schnell auf: „Für so eine Produktion ist der Aufwand sogar eher gering, da habe ich schon ganz andere Nummern erlebt.“

Walter Röhrl - Arganil-Special

Happy birthday, Walter Röhrl

Gepostet von Rallye-Magazin am Dienstag, 6. März 2018

Bei dem weitgereisten Fiat 131 Abarth handelte es sich um ein fast vollwertiges Gruppe-4-Rallyeauto, das den Fans von der Rallye Deutschland oder dem Eifel Rallye Festival bekannt sein dürfte. Einziger optischer Makel für den geplanten Dreh: Besitzer Enzo Michelini hatte es nicht in den traditionellen weiß-blauen Werksfarben von der Rallye Portugal 1980 lackiert sondern dem Röhrl-Auto von der Sanremo desselben Jahres nahempfunden – und da musste der Regensburger nach einem Streik im Fiat-Werk in einem schneeweißen 131er starten. Zu seinem ersten Weltmeisterauto hat Röhrl naturgemäß eine gute Beziehung: „Der Fiat war besonders auf Asphalt ein tolles Rallyeauto, das war der Verdienst des Rennfahrers Giorgio Pianta“, beschreibt Röhrl. „Aber es war auch das physisch schwierigste Auto, du musstest richtig arbeiten im Cockpit.“

Die Reise in die Vergangenheit fing bereits mit der Wahl des Hotels an. Der prunkvolle Bussaco Palace gefiel wohl nicht nur seinem Erbauer, dem portugiesischen König Carlos I., als Jagdschloss. Er bot anscheinend auch für die Jagd nach Bestzeiten ideale Voraussetzungen. Röhrl und Geistdörfer stiegen beim Training für die Arganil-Prüfungen meist hier ab. Beim „Nebelritt reloaded“ nahm das Schlosshotel sogar eine Doppelrolle als Unterkunft und Filmset ein. Im idyllischen Hofgarten zwischen wohlgestutzten Hecken ließen Röhrl und Geistdörfer die Rallye Portugal 1980 noch einmal Revue passieren: das große Duell mit Markku, den sie als Teamkollegen schätzten, den Zwischenfall mit dem Servicewagen und natürlich die wilde Fahrt durch den Nebel.

Doch nicht nur die Nebelreiter schwelgten in Erinnerungen. Während Röhrl/Geistdörfer mit den TV-Kameras sprachen, wanderte ein Portugiese in nervöser Neugier auf und ab. Sein T-Shirt entlarvte ihn schließlich – ein Mini Cooper S, das Rallyeschild der Monte und eine finnische Flagge bedeckten Brust und Bauch. Der Mann kam aus der Gegend, hatte früher als kleiner Junge schon die Fiats hier in diesen Gärten stehen sehen und nun mitbekommen, dass Röhrl und Geistdörfer wieder da sind. Selbst im entfernten Portugal sind die Weltmeister nicht vor Autogrammjägern sicher …

Röhrl/Geistdörfer waren also zurück und am nächsten Tag sollten sie zum ersten Mal seit 1985 (Platz 3 im Sport Quattro) auch die Königsprüfung wieder befahren. Der erste Blick aus dem Fenster stimmte euphorisch: Die Berge hängen im Nebel, genau wie früher! Jetzt müssen wir aber schnell los, oder? „Quatsch, bei so einem Wetter kann man nicht filmen“, gab Helmut Deimel Entwarnung. „Wir legen am Computer einen Filter drüber, damit es nach Nebel aussieht.“ Die mangelnde Sicht ist auch der Grund, warum es von der Arganil-Prüfung 1980 praktisch kein Foto- oder Videomaterial gibt.

Also Nebelritt ohne Nebel. Auch gut. Dafür wurde der Weg vom Hotel nach Arganil authentisch zurückgelegt. Geistdörfer packte seine Original-Unterlagen von 1980 aus und dirigierte uns, so gut es mit dem alten Material ging, ins Örtchen Arganil. Dass mittlerweile eine Schnellstraße gebaut war, mit der wir statt anderthalb Stunden nur 45 Minuten gebraucht hätten, ging leider nur dem letzten Fahrzeug in unserem Konvoi auf. Dort wäre die Dame aus dem Navi vor lauter „Bitte wenden“ fast an ihren eigenen Worten erstickt.

Also Arganil: Jene Wertungsprüfung, die bis zum WM-Aus der ursprünglichen Rallye Portugal im Jahr 2001 befahren wurde, wenn auch in verkürzter Distanz von 14,27 Kilometern. Röhrl/Geistdörfer begaben sich von dem 7000-Einwohner-Ort, in dem früher der Service nach der WP stationiert war, sofort auf Erkundungstour. Bei der Rückkehr zeigte sich Röhrl beeindruckt: „Das kann nit i g‘wesen san, der damals g’fahren ist“, sagte der Regensburger beim Entfalten seines 1,96 Meter langen Körpers. Ob diese Einschätzung daran lag, dass er sich die Highspeed-Jagd bei Nebel und Dunkelheit vorgestellt hat, oder dass er erst jetzt – bei strahlendem Sonnenschein – festgestellt hat, welche Abhänge sich links und rechts neben der Straße auftun, bleibt aber sein Geheimnis. „Bestimmte Ecken erkennt man auch nach 33 Jahren wieder. Aber ich war überrascht, dass es so schnell dahinging. Im Rallyeauto hat man schnell mal 130, 140 km/h drauf.“

So schnell ging’s beim „Nebelritt reloaded“ freilich nicht dahin, zumal die Straßen für den Dreh nicht gesperrt wurden. Röhrl/Geistdörfer trugen den Fiat 131 Abarth zur Freude des Besitzers im ersten oder zweiten Gang über die WP Arganil – mal im Windschatten des Kamerawagens, mal mit TV-Kamera an Bord oder mal war die Linse von außen auf sie gerichtet. Von der Mittagszeit bis in die Abendstunden rollten Röhrl/Geistdörfer über die Strecke, als würden sie gerade einen neuen, noch detaillierter Aufschrieb der WP erstellen. Trotz des Kriechtempos erregte der brüllende Fiat in den Dörfern entlang der Strecke schnell die Aufmerksamkeit. Im Ort Salgueiro, eines der optischen Highlights der WP Arganil, saßen schon bald fünf Damen im gesetzteren Alter, die wiederum kein optisches Highlight waren, auf einer Bank und beobachteten das Schauspiel: Röhrl/Geistdörfer fuhren durch die Spitzkehre, drehten um, fuhren wieder nach oben, drehten wieder um und so weiter. In Salgueiro steht die Zeit so still, man hätte der Szenerie glatt abgekauft, dass wir uns im Jahr 1980 befinden, wenn am Straßenrand keine Clios und Ibizas gestanden hätten.

Beim Abfahren der WP Arganil wurden wir aber immer wieder daran erinnert, dass die historische Fahrt von Röhrl/Geistdörfer doch schon 33 Jahre her ist. Rund die Hälfte der alten Streckenführung ist mittlerweile asphaltiert (möglicherweise sogar aus EU-Fördermitteln?). Außerdem bimmelt es sogar mitten im portugiesischen Wald laut und deutlich. „Ich weiß noch, wie mühsam die Kommunikation mit dem Team damals war“, beschreibt Christian Geistdörfer. „Die WM-Läufe waren eine irre logistische Herausforderung, alles wurde minutiös geplant. Wir hatten zwar Funk, aber man konnte sich ja nie so richtig darauf verlassen. Jetzt hat man überall Handy-Empfang. Da merkt man, wie sich die Welt verändert hat.“

Doch auch im Jahr 2013 ist die Herausforderung „Arganil“ noch spürbar. Die geschwungenen Straßen, die sich um die Hügel der Serra do Açor schlängeln, sind alle noch vorhanden und kaum breiter als vor 30 Jahren. Dazu kommen die Abhänge. Ein Verbremser an der falschen Stelle und das Auto begibt sich in den Sinkflug. Die WP Arganil würde auch heutzutage noch eine exzellente Weltmeisterschaftsprüfung abgeben – mit Asphalt, Schotter und zur richtigen Tageszeit auch mit ohne Sicht.

QUELLE:  rallye - Das Magazin 05|06 2013
AUTOR: Sebastian Klein
FOTOS: McKlein

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