Colins Crest Arena

Das ist der Gipfel!

30.000 Promille verteilt auf 10.000 Rallye-Fans die 5.000 Lagerfeuer im Schnee abbrennen. Und das alles an einer Sprungkuppe an der keiner was sieht. Klingt bekloppt, ist aber der Zuschauerpunkt der Schweden-Rallye schlechthin: die Colins Crest Arena in der Prüfung Vargasen. Und bei einem Beklopptentreffen darf ich natürlich nicht fehlen …

<strong>ZUSCHAUERMAGNET:</strong> Die Sprungkuppe "Colins Crest" der Rallye Schweden

Wie lange mag er da wohl schon so liegen? Die Wertungsprüfung startet erst in anderthalb Stunden. Und trotzdem hat der junge Sportskamerad es geschafft, sich derartig auf- und abzufüllen, dass er jetzt regungslos im Schnee liegt. Kalt wird ihm trotzdem nicht, weil auf Höhe seines Ohrläppchens eines der unzähligen Lagerfeuer etwas mehr Temperatur spendet, als es vielleicht für ein zartes Männerohr gesund wäre. Seine Kumpels, die sich noch recht wacker in der erst durchgeweichten dann steif gefrorenen Jeans im Schneidersitz halten, nehmen keine Notiz von ihm. Schwund ist dabei, soll er halt nicht so viel trinken. Denken sich seine Freunde, aber natürlich wohlwissend, dass nur die steife Jeans ihr Umfallen bisher verhindert hat. Wenn die „Gigi-Galli-Fanclub-Polonaise“ das nächste Mal durch ihre Gruppe stapft, werden auch sie die stabile Seitenlage einnehmen.

„Chräggameista“ war ihr Schicksal. Wie das von vielen. Man glaubt es kaum, welche Massen an ratzeputz entleerten 1-Liter-Familienflaschen Jägermeister kopfüber im Schnee stecken. Es war eindeutig das Getränk 2007. Nicht mehr der Vodka wie all die Jahre, nein Chräggameista musste es sein. Für den Vodkamangel im Leergutbereich waren die Norweger verantwortlich, die dieses Mal nicht so zahlreich über Colins Crest hergefallen waren wie sonst. Weil sie ja jetzt ihre eigene Rallye haben und nicht nur an Colins Crest schmerzlich vermisst wurden. Denn eines ist klar: Genauso, wie nur die Däninnen ja eigentlich so aussehen, wie man sich Schwedinnen vorstellt, sind es eben nur die Norweger, die man bisher für die tollen schwedischen Fans gehalten hat.  

 

Aber auch mit ein paar Nachbarn weniger ist und bleibt Colins Crest eine wirklich feine Sache, die wir hier auch nicht rein auf den Alkohol reduzieren wollen (obwohl …) Die Prüfung wird sogar zweimal gefahren, wobei die erste Variante am Freitagabend in der hereinbrechenden Dunkelheit sicher die stimmungsvollere ist. All die Fahnen, Lichter, Feuer, die Bratwürste, der dichte beißende Qualm vom Holz eines frisch an Ort und Stelle gefällten Baumes (jeder macht das, ständig und überall, in Deutschland bekämen Sie dafür zwei Jahre Sicherheitsverwahrung) – es hängt einem noch nach Wochen in den Klamotten. Tatsächlich: Während ich bei der Norwegen-Rallye diese Zeilen schreibe ist es genau eine Woche her und meine Jacke muss abends leider nach wie vor draußen schlafen wegen übelsten Feuergeruches. 

Notprogramm wegen Chäggameister 

Einem engagierten Sprecher und einer elektronischen Weitenmessung ist es zu verdanken, dass man zeitweilig etwas mitbekommt vom Geschehen auf der Strecke. Denn die Rallye verfolgen ist weder einfach an dieser Stelle noch unbedingt so dringend notwendig. Mann soll schließlich feste Feiern bis zum Fallen, oder wie dieses Sprichwort heißt. Sehen kann man wegen  Menschenmassen, Bäumen, dichten Rauches und der nicht zu unterschätzenden Körpergröße eines schwedischen Waldarbeiters mit Bären-Mütze kaum etwas. Und in diesem Jahr schaltete zu allem Ungemach auch noch der Chäggameister schon bei den ersten Autos (nicht erst bei den letzten, wie sonst) das Sprachzentrum des Moderators ins Notprogramm. Dies hatte zur Folge, dass es keine englische Übersetzung der Weiten mehr gab, was besonders blöd war, da man ja kaum einen Sprung selbst erlebt hatte. Zwei Gründe dafür: Weil die Autos in ihrer Anfahrt auf die Kuppe nicht zu sehen sind und wegen des Dauergelabers des Sprechers auch niemand sie hören kann.  

Zwar gibt es immer ein „Maarcuus GGGGGröööööööiiiiinhouuuuullllllm“, welches auf den herannahenden Fordpiloten aufmerksam machen soll, dieses lief in 2007 aber leider um zehn Sekunden zeitversetzt, so dass man wusste, wenn der Name Grönholm gerufen wird, ist der gute Marcus schon wieder fast im Servicepark. Das macht aber gar nichts. Der wahre Fan hat einen guten Platz mit perfekter Campingausrüstung sowie Muttis Leiter – die für das gute Sonntagsgeschirr oben hinten im Küchenschrank – und darum sowieso alles gesehen. Und der Rest vom Fest hätte Marcus Grönholm nicht mal mehr erkannt, wenn er neben ihnen gestanden hätte. Wenn sie überhaupt jemals wussten, wer Marcus Grönholm ist. 

Trotzdem muss man sagen: Alles absolut friedlich, kein Streit, keine Ohrfeigen, alle sind und bleiben bis zum von der Freundin und deren Freundin beidseitig gestützten nach Hause Wanken handzahm. Und selbst der Heimweg wurde dieses Mal erleichtert. Wer wollte, konnte sich auf einem selbstgebauten Anhänger mit aufgeschraubter Bierzeltbank hinter einem Quad hängend zwischen Parkplätzen und Arena transportieren lassen. Klingt abenteuerlich und war es auch. 

Ähnlich gewagt ist auch die alljährliche Kappensitzung. Je schräger der Hut desto besser. Wenn gleich auch viele dabei vergessen, dass der Deckel ja ursprünglich ihren Schädel vor (noch) schlimmeren Schäden durch die Kälte schützen sollte. Mein persönlicher Favorit war der blaue Feuerwehrhelm von Käpt’n Subaru, aber mit meiner Zipfelmütze steht mir überhaupt keine Meinung zu. 

 

Gar nicht so einfach war es übrigens herauszufinden, warum denn die Colins-Crest-Arena Colins-Crest-Arena heißt. Arena, ok, weil es, obwohl mitten im Wald gelegen, schon einen stadionartigen Charakter hat. Crest bedeutet Gipfel, das ist mit dem Handbuch „Deutsch-Englisch für Schwedenreisen und andere Trinksportarten“ auch noch herauszufinden. Aber warum Colin? War Colin etwa der zweite Hund mütterlicherseits des ersten Bürgermeisters von Vargasen, der exakt an dieser Stelle zum ersten Mal so putzig sein Beinchen hob? Oder war es etwa ein alkoholisch endversorgter Rothaar-Colin aus dem großen Britannien,  der völlig aus dem Häuschen und den Klamotten geraten war und dem johlenden Volk abwärts rutschend seinen kleinen Engländer präsentierte? Sicher auch, aber nicht ganz die Lösung. 

Gut, die meisten Befragten tippten zu Recht auf Colin McRae als Namenspatron. Nur: warum? Um das herauszufinden gingen meine Recherchen wirklich bis hinauf zur FIA und wieder runter über die Veranstalter und quer durch die Reihen der altgedienten Journalisten und Fotografen. Herausgefunden hat es dann glücklich der Pressechef der Schweden-Rallye Hakan Toner für mich, der selbst viele fragende Gesichter zurückgelassen hatte. Also: 1995 war es, als Colin McRae dem Hügel nach einem gar nicht mal so weiten Satz seinen Namen gab. Und zwar weil es dem Sprung vielleicht etwas an Weite, auf keinen Fall aber an Quere fehlte. Denn bei einer Landung quer auf Eis und einer kurz darauf folgenden Rechtskurve bedeutet dies entweder das sichere Ableben oder aber eben ein derart extravagantes hin- und her reißen des auf der Flucht befindlichen Subarus, welches einem später einen Berggipfel mit eigenem Namen einbringt. Dabei fällt mir auf: Was ist eigentlich aus Günther Matterhorn und Friedel Zugspitze geworden? Weiß jemand was?

Ach ja: Gesprungen wurde dieses Jahr ja auch noch. Den weitesten Satz machten mit 35,9 Metern Thomas Schie/Göran Bergsten im Ford Focus. Und Manfred Stohl/Ilka Minor waren im OMV-Citroen auf Rang zwei oder drei. Aber da sehen Sie es: Ich weiß es schon nicht mehr. Weil ich es nicht gesehen habe. Und gehört schon gar nicht. Und ich war wirklich nüchtern. Aber wie gesagt: Colins Crest ist eben nicht so wirklich Rallye gucken. Das ist mehr Rallye erleben. 

Ich gehe nächstes Jahr wieder hin. Vielleicht mal ohne Auto. Und dafür mit einer Flasche Echt Stonsdorfer.  Damit steche ich alle aus. Und vielleicht verträgt das ja auch der junge Freund am Lagerfeuer besser. Ich weiß ja, wo er liegt …

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