Erinnerung an eine Legende

Colin McRae: Einer wie keiner

Der beste Rallyefahrer aller Zeiten war er vielleicht nicht, aber möglicherweise der populärste und ganz sicher der spektakulärste. Heute vor zehn Jahren kam Colin McRae bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben. Wir blicken auf seine Karriere zurück.

Colin McRae

Wer vor dem 15. September 2007 den Namen Colin McRae im Internet googelte, fand unter den ersten 50 Einträgen kaum etwas anderes als Hinweise auf das Computerspiel gleichen Namens. Colin McRae war schon vorher ein Superstar, aber als die erste Computer-Rallyesimulation unter seinem Namen auf den Markt kam, hielt der Name McRae und damit auch der Rallyesport in so viele Wohn- und Kinderzimmer Einzug, dass ihn fast jedes Kind kannte, auch noch, als er längst aus dem WM-Zirkus verschwunden war. Doch der Reihe nach.

Im schottischen Lanark wird der mehrfache britische Rallyemeister Jimmy McRae am 5. August 1968 Vater eines Sohnes. McRae Senior hat offensichtlich starke Gene, seine beiden Söhne werden später Rallye-Profis. Colin, der Ältere, bestreitet als 18-Jähriger 1986 mit einem Vauxhall Nova (Opel Corsa) seine erste Rallye. Nur ein Jahr später gibt er in Schweden sein WM-Debüt. Mit 22 ist er bereits Ford-Werksfahrer und tritt beim heimischen WM-Lauf, der RAC-Rallye an.

Nachdem er reichlich Bestzeiten und Ford-Sierra-Wrackteile gesammelt hat, wechselt er 1991 zu Subaru und wird zwei Mal mit den Japanern britischer Rallyemeister. Anfang der 90er ist Subaru eine winzige Nischenmarke mit spießigem Ruf. Es ist Colin McRae, der diesen Zustand ändert. Mit seinen Auftritten mit dem sperrigen Legacy und seinem ersten WM-Sieg 1993 legt der Schotte das Fundament für den Kultstatus der blauen Autos.

Kult ist McRae auch bald auf den britischen Inseln. Egal ob im Fußball, Rugby oder der Formel 1, die Briten lieben Kämpfer. Männer, die schwitzen, bluten, stürzen und wieder aufstehen. Nachdem Nigel Mansell aus der Formel 1 verschwunden ist, wird McRae zum größten britischen Motorsport-Heros. Bis dahin klammerte sich die englische Rallye-Gemeinde immer noch an Roger Clark, der in den Siebzigern zwar beim ein oder anderen WM-Heimspiel glänzte, aber sonst wenig Erfolge vorzuweisen hatte.

Anders McRae. Der Highlander, den England wie dessen Heimat Schottland mühelos adoptierte, als es Erfolg versprach, beherrscht seine Kunst auf jedem Untergrund, egal ob Schnee, Schotter oder Asphalt. Dabei kommt McRae mit zwei Fahrstilen aus: quer und am quersten. Die ungestüme und kompromisslose Art Auto zu Fahren, macht McRae schon früh zum Publikumsliebling. 1994 gewinnt er zum ersten Mal den britischen WM-Lauf, ein Jahr später setzt er sich mit Siegen in Neuseeland und Wales als erster Brite die Krone des Rallye-Weltmeisters auf. Die Queen verleiht im dafür den „Order of the British Empire“.

Im Auto ist McRae eine Schau, außerhalb wirkt er mit seiner zuweilen hölzernen Art und seinem starken schottischen Akzent oft spröde. Subaru-Teamchef David Richards lässt seinen Angestellten fortan bei so ziemlich jeder Trendsportart ablichten, die gerade angesagt ist. McRae auf dem Mountainbike, McRae auf dem Surfbrett, selbstverständlich immer in Action, immer am Limit – McRae der wilde Hund, das ist ein Image, die ihm die Fan-Gemeinde gern abnimmt. Im Privatleben ist McRae ein gefürchteter Partygast. Wenn er mit Bruder Alister einen draufmacht, kommt es auch schon mal zu Handgreiflichkeiten.

McRae vs. Burns:  „Battle of the Brits“

„Was würdest du sagen, wenn dich einer mitten in der Nacht besoffen anruft, und anfängt, dich zu beschimpfen“, beschwerte sich Richard Burns Ende der Neunziger über McRae. Der junge Burns, vielleicht arrogant, aber echter Engländer und der schottische Platzhirsch, das konnte keine Männerfreundschaft werden. Der britische WM-Lauf 2001 wurde auf den offiziellen Veranstaltungsplakaten sogar zum „Battle of the Brits“ hochstilisiert. Beide versicherten an guten Tagen, dass dieser Krieg eher Showprogramm war als Realität.

2001, das war das Jahr, in dem Colin McRae noch einmal hätte Weltmeister werden können. Vier Fahrer hatten vor dem Finale in Wales Chancen auf den Titel. Tommi Mäkinen riss sich ein Rad ab, Carlos Sainz flog von der Straße, blieben noch McRae und Burns. Weil er eine Ansage von Beifahrer Nicky Grist falsch verstand, flog McRae im hohen Bogen in die Büsche und machte Burns zum Weltmeister. „Du musst zuhören, was ich sage“, schimpfte Grist. Das Verhältnis des Schotten und des Walisers war längst zur Zerreißprobe geworden. 2003 trennten sie sich nach einem weiteren Abflug in Neuseeland. „Es gab einfach zu viele Fehler“, sagte McRae und holte zeitweilig seinen früheren Beifahrer Derek Ringer zurück ins Cockpit, aber auch diese Zusammenarbeit funktionierte nicht mehr reibungslos.

Mit den immer ausgefeilteren Autos und der neuen Generation Fahrer vom Typus Marcus Grönholm oder Sébastien Loeb kommt der wilde Fahrstil des Colin McRae aus der Mode. Eine saubere Linie ist gefragt, kein wildes Herumschmeißen des Autos. Zudem belohnt das der Formel 1 entnommene Punktesystem Ankommer. Wer regelmäßig sein Auto abrollt, spielt im WM-Kampf keine Rolle.

Im Bemühen, den Jungen zu folgen, überfährt McRae manches Mal sein Auto. 2001 hat er sich bei einer heftigen Landung auf dem Dach das Jochbein gebrochen. Es ist das erste Mal, dass er sich bei einem Rallye-Unfall ernsthaft weh tut. 2002 fliegt er wieder in Korsika von der Straße, dieses Mal ist der kleine Finger der linken Hand gebrochen, und die britische Regenbogenpresse verbreitet, McRae wolle sich den Finger amputieren lassen, damit ihn ein langer Behandlungsprozess nicht am Kampf um den Titel hindere. Die Geschichte ist eine Ente, McRae startet in Spanien mit einer Schiene am Finger.

Nach den zwei heftigen Unfällen ist der schnelle Schotte nicht mehr derselbe. Er fährt immer noch wild, doch auf Asphalt ist er nicht mehr wirklich konkurrenzfähig. Er zerstört immer noch Autos, aber er deckt die Gegner nicht mehr mit dem üblichen Bestzeiten-Hagel ein. Den Ruf, ein völlig kopfloses Vollgastier zu sein, trägt McRae allerdings zu unrecht. Drei Mal gewinnt er die Safari-Rallye in Kenia und beweist, dass er mit Köpfchen fahren und sehr wohl mit dem Material haushalten kann.

Keine Chance gegen Loeb

Nach fünf Jahren bei Ford wird McRae im Herbst 2002 Opfer seines eigenen Gehalts. Teamchef Malcolm Wilson entlässt ihn und Teamkollege Carlos Sainz, weil Jahressalärs von vier bis fünf Millionen Dollar nicht mehr ins Budget passen. Es war McRae, der zusammen mit Juha Kankkunen in den frühen neunziger Jahren anfing, die Fahrergagen in Formel 1-ähnliche Höhen zu treiben. Mit Vater Jimmy als Manager galt das schottische Duo als beinhartes Doppel in Vertragsfragen.

2003 bekommt McRae noch einmal ein gutes Angebot von Citroën, aber er steht klar im Schatten des neuen Superhelden Sébastien Loeb und Routinier Carlos Sainz. McRae tut, was er immer tat: Kämpfen. Doch viel mehr als ein paar vierte Plätze sind nicht mehr drin. Sportchef Guy Fréquelin nimmt ihm einige Abflüge übel und sortiert McRae zum Saisonende aus.

So wollte McRae nicht gehen, aber ein wenig müde war er schon. Schließlich hatte er schon vor seinem 35. Geburtstag 14 Jahre als Rallye-Profi hinter sich. Er verhandelt mit Skoda, und versucht für sich und seinen neuen Schützling Kris Meeke jeweils einen Vertrag für eine halbe Saison auszuhandeln. McRae ist zweifacher Vater, 16 WM-Läufe sind ihm wie vielen anderen Kollegen zu viel. Skoda hat Interesse, aber McRae ist ihnen zu teuer und Meeke wollen die Tschechen nicht. Der Deal scheitert.

Plötzlich hat McRae Zeit. Zeit das zu tun, was er sonst immer schon ausprobieren wollte. Er fährt 2004 mit einem Ferrari 550 Maranello die 24 Stunden von Le Mans und schlägt sich beachtlich. Bei Jordan hat er schon im Jahr zuvor einen Formel 1 getestet, und nun schlägt er Michael Schumacher ein Duell mit Formel 1 und Rallye-Auto vor, doch der Deutsche geht nicht darauf ein.

Mit Nissan bestreitet er 2004 die Rallye Dakar, ein Kindheitstraum, seit er die Wüsten-Rennerei im Fernsehen sah. Als Sportler ist er der entspannteste McRae, den es je gab. Das soll aber nicht heißen, dass ihm sein Ehrgeiz abhanden gekommen ist. Seine Wüsten-Karriere nimmt McRae exakt mit der gleichen Methode in Angriff wie seinen WM-Einstieg: mit lauten Paukenschlägen. Mit Beifahrerin Tina Thörner gewinnt McRae zwei Etappen. Ein Jahr später holt er wieder zwei Etappensiege und geht sogar kurz in Führung, doch wieder mal endet sein Auftritt mit einem Überschlag. Der finanziell angeschlagene Nissan-Konzern benutzt den Ausfall, um angeblich mangels Erfolg das Dakar-Projekt zu beenden.

Der Traum vom eigenen Rallyeauto

Prompt stampft McRae sein eigenes Projekt aus dem Boden. Elektronisch geregelte Allradantriebe und Turbomotoren waren ihm in der Rallye-WM schon lange ein Gräuel. McRae träumte schon zur Jahrtausendwende von Heckantrieb und ordentlich röhrenden 2,5 Liter-Saugmotoren. „900 Kilo, 300 PS. Das wäre ein Ding“, sagt er und lässt ein eigenes Rallyeauto entwickeln, das keiner Marke angehört, in kein Reglement passt, und bis heute nur als Prototyp existiert.

Auch wenn McRae in seinen letzten WM-Jahren nicht mehr der Erfolgreichste war, die Rallye-Szene fehlte ihm und er fehlte der Rallye-WM. Dementsprechend ist die Ankündigung, dass McRae im Herbst 2005 beim britischen WM-Lauf für Skoda an den Start geht ein Riesending. Es war wie ein Puzzle-Teil, in dem immer ein Stück fehlte. Nun ist McRae wieder da, mit ihm auch Nicky Grist und die Szene wieder komplett. „Dieser Sport braucht Colin McRae“, hatte Chefvermarkter David Richards schon bei dessen Abgang 2003 gesagt. Dass der Skoda kein Siegerauto ist und McRae nur Siebter wird, stört keinen. Stattdessen herrscht allenthalben Freude, dass der Schotte nun auch in Australien antreten darf. Dort ist er noch einmal der, den die Fans so lieben. Mit angefetzter Karrosse treibt er den aussichtslosen Fabia auf einen sensationellen zweiten Rang. Platz drei wäre in Reichweite, doch dann scheidet er nach einem simplen Kupplungsschaden wegen Zeitüberschreitung aus.

Ein einziges Mal kehrt er noch in die WM zurück – 2006 als Vertretung für den verletzten Sébastien Loeb im Kronos-Team. Doch seit fast drei Jahren ist er außer bei den zwei Skoda-Ausflügen nicht mehr gegen die Weltbesten angetreten. Teamchef Marc van Dalen ist enttäuscht. Bis zum Ausfall mit Lichtmaschinenschaden liegen McRae und Grist im Citroën Xsara nur auf Rang sieben.

Auch wenn er seit 2002 keine großen Resultate mehr geliefert hat, liebäugelt McRae immer wieder mit einer Rückkehr in die WM. Offiziell zurückgetreten ist er nie. Immerhin zieht er mit einem Cockpit im BMW X3 des X-raid-Teams für 2007 wieder ein gutes Dakar-Engagement an Land.

Doch dazu kommt es nicht mehr. Am 15. September 2007 stürzt McRae mit seinem Sohn Johnny und zwei Freunden der Familie im eigenen Hubschrauber auf seinem Grundstück bei Lanark ab. Alle vier Insassen kommen ums Leben. Der 39-jährige McRae hinterließ seine Frau Alison und seine Tochter Holly Jane. Dem Rallyesport hinterließ er einen WM-Titel, 25 Weltmeisterschaftserfolge und unzählige tolle Erinnerungen und Bilder in den Köpfen der Fans.

„Colin McRae – Sein Leben am Limit“

„Colin war rundrum ein klasse Kerl“, sagte F1-Fahrer David Coulthard. „Ich war stolz auf ihn als einen schottischen Landsmann an der Spitze des Motorsports“, fasste Jackie Stewart zusammen. Christian Loriaux, der als Ingenieur bei Subaru und Ford mit ihm zusammenarbeitete, sagte: „Colin war ein Freigeist, er war uns ist mein größter Held.“ Diese drei Vollblut-Motorsportler sind nur drei der vielen Menschen, die im McKlein-Buch „Colin McRae – Sein Leben am Limit“ ihre persönlichen Erlebnisse mit der schottischen Rallye-Legende schildern. Neben den Anekdoten von Familie und Freunden enthält das Werk ein Best-of aller McKlein-Bilder des „fliegenden Schotten“ – auf und abseits der Rallye-Prüfungen. „Colin McRae – Sein Leben am Limit“ ist im gut sortierten Fachhandel erhältlich oder auf www.rallywebshop.com

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