Am einfachsten hatte es Citroën. Die erfolgsverwöhnten Franzosen konnten bei der Entwicklung ihres neuen World Rally Cars aus dem Vollen schöpfen – nicht nur finanziell. Während man sich bei den Entwicklungspartnern der Werkskonkurrenz von Ford und Mini auch Gedanken um einen Super2000-Ableger machte, ging Citroën keinerlei Kompromisse ein. Alles drehte sich einzig und allein um die WRC-Version des neuen DS3. Ford und Mini nutzen für ihre World Rally Cars deutlich mehr Teile aus der sogenannten FIA-Kit-Liste, welche die erlaubten Modifikationen für den Umbau eines S2000 in ein WRC erlaubt. Weil die FIA aber kein neues World Rally Car homologiert, ohne davon mindestens einen S2000-Ableger gesehen zu haben, griff Citroën-Chefingenieur Xavier Mestelan-Pinon höchstpersönlich zum Schraubenzieher. "Wir haben uns nicht einmal die Mühe gemacht, einen Heckspoiler des Peugeot 207 am DS3 anzubringen. Ich habe einfach den Heckflügel und die Frontschürze am DS3 WRC abgenommen. Fertig war unser S2000-Basis für die FIA-Zulassung", beschreibt der französische Daniel Düsentrieb den letzten Schritt zum DS3 WRC. Anschließend verschwand der einzigartige DS3 S2000, der so nur im Homologationsblatt abgebildet ist, wieder in den geheimen Werkhallen von Citroën Racing.
Die optischen Unterschiede zu den Vorgängern sind gewaltig. Eine ganze Fahrzeugklasse liegt zwischen DS3 und C4, oder Fiesta und Focus. "Die neuen Autos sind zwar kleiner geworden, aber wir durften sie auch 20mm breiter machen", erklärt Mestelan-Pinon. Die geänderten Dimensionen führten zu einem noch dramatischeren Auftritt. "Mir gefällt unser neues Auto ungemein. Es ist einfach sexy", lobt Weltmeister Sebastien Loeb die Arbeit der Designer. Fast schon überproportional groß thront der riesige zweistufige Heckflügel auf dem DS3. Auch bei Ford erinnert das Leitwerk an den alten Focus, Mini greift in der Entwicklung vorerst auf alte Subaru-Teile zurück. Hinzu kommt eine geänderte Frontschürze. Das war es dann aber auch mit den optischen Unterschieden zwischen WRC und S2000. Zu wenig, befinden einige gewichtige Kritiker. Die Top-Autos müssen auf den ersten Blick als diese erkennbar sein und zwar auch für Otto-Normalbürger.
Die FIA scheint die hausgemachte Nähe und das daraus resultierende Wiedererkennungs- und Vermarktungsproblem zwischen WRC und S2000 erkannt zu haben. In Paris laufen bereits die Verhandlungen, die aktuelle S2000 in naher Zukunft aufs Abstellgleis zu fahren und dafür eine oft debattierte und schwächer motorisierte R4-Variante zu etablieren. Ausufernde Kosten verhindern bereits die weitere Verbreitung, hinzu kommt die Ungewissheit bei der Kundschaft, was mit den S2000 der ersten Generation, die von einem Zwei-Liter-Sauger angetrieben werden, passiert. Alles deutet daraufhin, dass der Mini S2000 mit 1.6-Turbo der letzte seiner Art werden könnte. Wenn er denn überhaupt großflächig ins Rollen kommt. Der Weltverband hat bereits Kontakt mit den Herstellern, allen voran Mini-Partner Prodrive aufgenommen, wie man diese Kuh vom Eis bekommt. Die englische Motorsportschmiede will einen großen Teil der Entwicklungskosten über das Kundengeschäft refinanzieren. Stolze 100 Stück will man in den kommenden Jahren verkaufen. Bei 25 Autos hätte man die Entwicklungskosten wieder reingeholt. Auch bei M-Sport wird das Treiben um die S2000-Zukunft argwöhnisch beäugt. Zwar trat man beim Saisonauftakt bereits mit neun Fiesta WRC an, doch dies war erst der Anfang von einem gross aufgelegtem Verkaufsprogramm, mit dem auch ein Teil des Budgets vom Ford-Werkseinsatz gedeckelt wird.
In Frankreich sieht man das Thema entspannt. Bekanntermaßen konzentriert sich Citroën voll auf den Werkseinsatz. Die Kundenfahrzeug für Petter Solberg, Kimi Räikkönen und Peter van Merksteijn hakt Sportchef Olivier Quesnel als Übergangshilfe für die gebeutelte Rallye-WM ab. "Stehen diesen Fahrer andere Modelle zur Verfügung, dreht es sich bei uns nur noch um die beiden Werksautos", kündigte der Franzose mit Blick auf die Mini-Rückkehr und den möglichen VW-Einstieg an.
Nicht nur die Größe der Autos schrumpfte, auch der Hubraum des Motors wurde von zwei auf 1.6 Liter reduziert. Das neue, auf dem Konzept des „Weltmotors“ (Global Race Engine) basierende Reglement, erlaubte den Herstellern jedoch neue Freiheiten. Weil das neue Triebwerk nicht mehr zwingend auf einem Serienblock basieren musst, konstruierte Citroën Racing erstmals einen eigenen Motor. "Damit war sicher gestellt, dass wir nicht nur genügend Leistung haben, sondern auch die gewünschte Zuverlässigkeit erreichen", erklärt Cheftechniker Mestelan-Pinon. Der Franzose bestätigt, dass trotz der Reduzierung des Hubraums um 25 Prozent die Leistung des neuen 1,6-Liter großen Motors deutlich näher am Zweiliter-Vorgänger liegt, als erwartet. „Den Verlust an Leistung und vor allem Drehmoment versuchen wir mit höheren Drehzahlen und etwas niedrigerem Fahrzeuggewicht zu kompensieren.“
Eine ganz neue Aufgabenstellung für die Motorsportler ist die im Serienbau längst etablierten Direkteinspritzung. "Wir Motorsportler wurden erstmals mit Benzindirekteinspritzung konfrontiert und mussten feststellen, dass es sich dabei um eine sehr komplizierte Technologie handelt – wir betraten komplettes Neuland. Keiner von uns wusste, wie er nun mit Drücken bis 200 Bar umgehen musste", schilderte Ford-Technikguru Christian Loriaux, der die Motoren-Aufgabe zum größten Teil in die Hände des französischen Spezialisten Pipo Moteurs gab. Mestelan-Pinon bestätigt: „Rein vom Wettbewerb her macht diese Technologie kaum Sinn. Aber es ist richtig und gut, solche Systeme einzusetzen und voran zubringen, wenn auch erstmal nur aus Marketingsicht.“ Ford selbst warf seine globale Forschungskompetenz mit in die Waagschale. So beteiligten sich neben dem US-amerikanischen Powertrain Research and Innovation Centre auch die Motorenentwicklung des britischen Technikzentrums in Dunton, sowie das Ford Forschungszentrum Aachen an der Konzeption des neuen Wettbewerbs-Vierzylinders. Mestelan-Pinon weiter: "Durch die Direkteinspritzung haben wir viel Arbeit. Da Rennmotoren meist unter Volllast drehen, können wir auch noch keine Verbrauchsvorteile erkennen. Mit fortschreitender Entwicklung wird das sicherlich kommen, denn ein kleinerer Turbomotor mit weniger Leistung sollte auch weniger Sprit verbrauchen. Doch im Moment ist das nicht unsere Priorität. Deshalb ist unser Tank auch genauso groß wie im C4. Wir konzentrieren uns noch voll auf die Zuverlässigkeit."
Der enorme Aufwand in der Motorenentwicklung wird nicht ohne Grund betrieben. Die FIA hat noch einmal die Bedingungen für den Einsatz verschärft. Sechs statt bisher drei Rallyes muss ein Triebwerk künftig sechs aushalten. "Leider waren wir während der Erprobung nicht in der Lage, die Haltbarkeit der Motoren wirklich auszutesten, weil das endgültige Reglement erst spät von der FIA verabschiedet wurde", klagt Mestelan-Pinon. Citroën schaffte es zwar rund 10.000 Kilometer mit dem Auto abzuspulen, aber genügend Zeit für ausgiebige Tests auf dem Prüfstand blieb nicht. Die Erhöhung der Laufzeiten hält Mestelan-Pinon dennoch für den richtigen Weg: "Auch wenn wir bei der Entwicklung mehr Geld ausgegeben haben, wir brauchen jetzt weniger Motoren in der Saison. Die Gesamtkosten sinken."
Entscheidender als die reine Leistung ist im Rallyesport das Drehmoment. Hier verliert der neue 1.6-Turbo klar das Rennen gegen seinen Zweiliter-Vorgänger. "Wir fahren nur noch mit 2.5 bar Ladedruck und der Lufteinlass schrumpfte von 34 auf jetzt 33 mm. Das Drehmoment wurde quasi halbiert und diesen Unterschied merken die Fahrer natürlich sofort", sagt Mestelan-Pinon. Wie gewohnt hält sich Citroën mit offiziellen Zahlen zurück. Gibt man bei der Motorleistung mit 300 PS noch die gleiche Zahl an, wie die Konkurrenz von Ford, so stehen lediglich 350 Nm (DS3) beeindruckenden 450 Nm (Fiesta) gegenüber. Man darf davon ausgehen, dass sich beide Triebwerke auf Augenhöhen begegnen.
Mit besonderer Spannung erwartet die Szene den Mini-Motor. Logischerweise will sich Konzernmutter BWM in ihrer Paradedisziplin keine Blöße geben. Der bayerische 1,6-Turbo hat bereits ausgedehnte Prüfstandsläufe hinter sich und bekommt nun im Auto unter der Ägide des von der Mercedes-Formel-1-Mannschaft zu BMW Motorsport gewechselten Dirk Raabe den letzten Schliff. Der BMW-Motoren-Mann mit privater Rallye-Erfahrung lässt es dabei nicht nehmen, sich bei den Tests neben Kris Meeke zu setzen, um im Wettbewerbstempo zu erfahren, welche spezifischen Anforderungen zum Beispiel beim Ansprechverhalten, oder dem nutzbaren Leistungsbereich an „sein“ Treibwerk gestellt werden. Gilt der Mini WRC aus den Händen von Prodrive-Technikdirektor David Lapworth und seinem Chefingenieur Dave Wilcock nach einer ersten Bestandsaufnahme durch die Konkurrenz eher als konservatives Fahrzeug, so wird BMW beim Motor alle Register ziehen.
Doch nicht nur beim Triebwerk trat die FIA kräftig auf die Kostenbremse. Unter anderem untersagte der Weltverband die Verwendung von leichten aber extrem teuren Materialien. Dennoch dürfen die Autos 30 Kilo leichter sein, als ihre Vorgänger. "Für uns ist es kein Problem unter dem Gewichtslimit zu bleiben. Schwieriger ist es, den Schwerpunkt so tief wie möglich zu bringen. In einem kleineren Auto ist einfach weniger Platz, um die Teile optimal zu platzieren. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf die Fahreigenschaften", lässt sich Mestelan-Pinon erneut in die Karten schauen. Der für den Ford Fiesta verantwortliche M-Sport-Obertechniker Loriaux bläst ins gleiche Horn: „Beim Minimalgewicht sind wir gut dabei und versuchen mit unterschiedlich dicken Unterbodenplatten möglichst dicht an das jeweilige Gewichtslimit zu kommen.“
Ein nicht unerwünschter Nebeneffekt der neuen Regeln: Die Spitze rückt nach der Abrüstung wieder zusammen, ein bestehender Entwicklungsvorsprung verpufft. Das macht die Rallye-WM wieder interessanter für mögliche Neueinsteiger, die sich nicht mehr einer Citroën-Übermacht stellen und möglicherweise unterordnen müssen.
Bereits Ende 2009 hatte Citroën Racing den ersten DS3-Testträger fertiggestellt. Unter der Haube schlug zwar ein gedrosseltes Zweilliter-Herz, weil die FIA mit dem neuen Motoren-Reglement nicht aus den Hufen kam. Dafür hatten die Franzosen zu diesem Zeitpunkt die neuen Aufhängungen, das geänderte Getriebe und die komplette Kraftübertragung entwickelt und zur Erprobung freigegeben. Im Juli 2010 bekam der DS3 WRC endlich auch den neuen 1.6-Liter Turbo verpasst. Die Konkurrenz von Ford begann im März mit den Testfahrten des Fiesta WRC, musste aber nach einem ersten Outing von Mikko Hirvonen auf Sardinen schnell feststellen, dass der Zweiliter-Turbomotor null-komma-null mit dem S2000-Getriebe harmonierte und vertagte (auch wegen der aktuellen WM-Schwäche des Focus) die breit angelegte Testphase auf den Sommer. „Wir konnten für unsere Arbeit auf umfangreiches Datenmaterial des Fiesta S2000 zurückgreifen“, sagt Loriaux. Ab August stand auch M-Sport der neue 1.6-Turbo von Ford zur Verfügung. Nach Dauertest und Belastungsfahrten von M-Sport-Junior Matthew Wilson, ging im Frühherbst die Erprobung in ihre heiße Phase über. Zusätzliche Tests auf Schotter und Asphalt wurden angesetzt, selbst für die einzige Winterrallye in Schweden wurde fleißig Kilometer geschrubbt. Loriaux stolz: "Vor dem Saisonstart hatte der Fiesta WRC bereits 11.000 Kilometer im Wettbewerbstempo zurückgelegt."
Bei der Konkurrenz von Citroën dürfte dies schon auf Grund der sechs Monate längeren Testphase deutlich mehr gewesen sein. Mini beginnt nach einer ersten Standortbestimmung mit dem ersten Prototyp im Vorjahr erst im Februar mit einem ausgiebigen Fahrprogramm. Vor allem von Neuverpflichtung Dani Sordo, der bis zum Sommer aktiv in die Entwicklung des Citroën DS3 eingebunden war, erhofft man sich viele nützliche Informationen. Prodrive steht bei der Mini-Entwicklung nicht nur unter reichlich Erfolgs- sondern auch enormen Zeitdruck. Im Mai muss die endgültige Spezifikation des Motors bei der FIA vorliegen, anschließend friert der Weltverband die Entwicklung für drei Jahre ein. Nur zehn Änderungen, sogenannte Joker, sind insgesamt erlaubt. Fünf davon verfallen nach dem ersten Jahr. Auch beim Getriebe zieht die FIA die Daumenschrauben an. Zulässig ist die Homologation von entweder zwei Gang- und einer Gesamtübersetzung, oder umgekehrt. Citroën und Ford haben diesen Rahmen bisher nicht voll ausgeschöpft und jeweils nur eine Gang- und Gesamtübersetzung homologiert. Beide Lager wollen noch die ersten Schotterrallyes abwarten, um mehr Erfahrung mit den neuen Autos zu haben.
"In der Vergangenheit haben wir das Getriebe konstruiert und von Xtrac bauen lassen. Jetzt kommt es von Sadev und die Regeln verlangen, dass es homologiert werden muss und von andere Rallyeteams gekauft werden kann", erklärt Xavier Mestelan-Pinon. "Das neue Reglement verbietet außerdem den Einsatz eines Mitteldifferentials, was wir für eine schlechte Idee halten. Wenn man die Handbremse zieht, muss man den Kraftfluss zur Hinterachse immer unterbrechen. Also mussten wir ein spezielles System entwickeln, damit dies auch ohne Mitteldiff geschieht. Die Kosten für diesen zusätzlichen Aufwand sind jedoch mindestens genauso hoch. Das Kind hat quasi nur einen anderen Namen bekommen."
Die Zeiten des semiautomatischen Schaltens per Lenkradwippe ist ebenfalls vorbei, der Fahrer muss die sechs Gänge mit dem Schalthebel des sequentiellen Getriebes wieder manuell wechseln. Angesichts der technischen Abrüstung ist sich Loriaux sicher: "Die Fahrer müssen wieder mehr arbeiten, und öfter das Lenkrad loslassen. Das fahrerische Talent rückt ab sofort stärker in den Vordergrund."