Vom Unfallfahrer zum Champion

Oleg Gross – Der Mann hinter dem Aufstieg von Ott Tänak

Ott Tänak ist neuer Rallye-Weltmeister. Doch sein Weg nach oben war steinig und von vielen Rückschlägen geprägt. Und ohne den Unternehmer Oleg Gross wäre der Titel womöglich weiterhin in Frankreich geblieben. Die ganze Geschichte.

Viele hatten Ott Tänak bereits als Crash-Piloten abgeschrieben, doch ein Mann glaubte fest an ihm

Ott Tänak wuchs auf der Insel Saaremaa auf und fuhr dort mit 16 Jahren seinen ersten Rallyesprint im Scirocco seines Vaters Ivar Tänak, der selbst einst Rallyefahrer war und ihn in früher Kindheit mit dem Rallyesport in Verbindung brachte. 2003 gewann er die Junior Wertung der Estonian Folkrace und 2005 die Junior Wertung der estnischen Rallyesprint Serie.

Markko Märtin, der sich nach seinem Rückzug als aktiver Fahrer eine kleine Firma mit dem Namen MM Motorsport aufgebaut hat, entdeckte das große Talent in ihm und konnte mittels mehrerer Sponsoren dem damals 20-jährigen Tänak 2008 eine komplette estnische Meisterschaft ermöglichen, die er prompt gewann. Von seinem Talent begeistert und überzeugt unterstützte fortan der Lebensmittelhändler Oleg Gross den weiteren Werdegang des Übertalents.

Gross hat sich 1985 noch zu Sowjetzeiten mit Cleverness und Geschick seine erste inoffizielle Selbständigkeit mit einer Hühnerfarm aufgebaut. In den späten 80er Jahren verschärfte sich trotz Perestroika und Glasnost die Versorgungslage. Gross fand eine weitere Lücke im System und überführte Ladas aus Sibirien in die damalige Estnische Sowjetrepublik. Offiziell waren all seine selbständigen Aktivitäten nicht erlaubt aber wurden schlussendlich geduldet, weil er damit Versorgungslücken der Planwirtschaft schließen konnte.

Sein selbst erarbeitetes kleines finanzielles Polster war die Grundlage für den Start in die neuen Möglichkeiten des Unternehmertums nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der daraus folgenden Unabhängigkeit Estlands. 1992 eröffnete er sein erstes Lebensmittelgeschäft mit fünf Mitarbeitern, die alle aus der eigenen Familie kamen. Als Credo bis heute betont er: „Wir sind eine Familie, die gemeinsam für den Erfolg steht, für alles was wir erreicht haben.“

Seitdem hat sich Gross ein Unternehmen mit aktuell fast 2.000 Mitarbeitern aufgebaut. Er betreibt 65 Supermärkte unter dem Label „Grossi Toidukaubat“. Am Hauptsitz in Rakvere, 100 Kilometer östlich von Tallinn, befindet sich neben der zentralen Logistik für die Belieferung seiner Märkte, eine Fleischverarbeitung und eine Bäckerei auf einem Areal von 50.000 Quadratmetern womit er die Wertschöpfungskette seines Einzelhandelsunternehmens vervollkommnet hat.

All diese wirtschaftlichen Rahmenbedingungen machten es dem rallyebegeisterten Oleg Gross leichter, sich intensiv der Unterstützung des gesamten Rallyesports in Estland zu widmen. Angefangen hat er mit Sponsorings für mehrere Rallyeveranstalter. 2009 ermöglichte er Ott Tänak neben einem Programm in Estland die ersten Weltmeisterschafseinsätze in Portugal und Finnland in einem Gruppe N-Subaru. Im Jahr danach finanzierte Gross ihm ein gemischtes Programm aus Weltmeisterschaftsläufen und Rallyes in Estland. Neben der Teilnahme am Pirelli Star Driver Programm kam er noch zusätzlich in den Genuss, den familieneigenen Ford Focus WRC03 zu pilotieren, den Gross damals bei Markko Märtins Firma MM-Motorsport für seinen Sohn Georg betreuen lies.

Tänak schaffte 2011 den Sprung in die Rallyeweltmeisterschaft, dank der finanziellen Unterstützung von Gross und dem Verhandlungsgeschick von Märtin zuerst in der S-WRC und 2012 im M-Sport World Rally Team von Malcolm Wilson. Auch Markko Märtins Firma MM Motorsport profitierte von der langjährigen Premium-Kundenbeziehung zur Gross Familie. Für Georg Gross übernahm er neben der Betreuung des Ford Focus WRC zugleich auch das Mentoring, um ihn fahrerisch weiter zu entwickeln.

Für alle Beteiligten schien im Jahr 2012 der Werdegang so vollzogen zu sein, den Oleg Gross langfristig im Auge hatte, bis am Saisonende die Kündigung von Malcolm Wilson ins Haus flatterte. Tänak hatte sich zu viele Fahrfehler geleistet und verhinderte damit selbst auch gute Resultate. Die Gross-Familie fing Tänak auf, weil Oleg an ihn glaubte und er für ihn schon Teil der eigenen Familie war.

Georg Gross gab ihm seinen Ford Focus WRC08 zur technischen Betreuung, mit der er sich seinen Lebensunterhalt verdiente und Vater Oleg finanzierte ihm die estnische Meisterschaft 2013 in einem Gruppe N-Subaru. Die Leistungen in diesem Jahr hatte auch Markko Märtin im Blick, weil er mit Mietkunden seiner Ford Fiesta S2000 Flotte ständig vor Ort war.

Märtin sprach erneut bei Wilson vor und Tänak bekam 2014 seine zweite Chance, sich zum einen über das Programm des Reifenherstellers D-Mack im Fiesta R5, sowie vereinzelten Einsätzen im Fiesta RS WRC - dank einer Mitgift von Oleg Gross - dauerhaft in der Weltmeisterschaft zu etablieren.

„Heute braucht Ott keine Hilfe mehr von uns. Er hat gute Verträge und ist finanziell versorgt“, sagt Oleg Gross mit ein wenig Stolz darüber, dass es zwischen ihm und Tänak bis heute nie eines Vertrages bedurfte. „Von Anfang an habe ich an ihn geglaubt, wo andere ihn noch als Unfallfahrer einstuften. Ott hat es nicht vergessen, wie wir ihn über viele Jahre hinweg unterstützt haben. Und dass er heute immer noch als Markenbotschafter für unser Unternehmen wirbt und dafür nichts haben will, macht uns große Freude.“

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