Rallye Deutschland

Die Panzerplatte: Im Zeichen des Hinkelsteins

Für die deutsche Rallyeszene ist sie längst ein Stück lebendes Kulturgut. Seit 41 Jahren öffnet der Truppenübungsplatz Baumholder einmal im Jahr seine Pforten – und die Militärbasis verwandelt sich in eine Spielweise für Driftakrobaten.

Mitte August 1974 gastierte die Deutsche Rallye-Meisterschaft erstmals in Idar-Oberstein. Bei ihrem Besuch im Hunsrück hatten es die Piloten aber nicht auf die wertvollen Edelsteine abgesehen, für die die Stadt seit Jahrhunderten berühmt ist. Der DRM-Tross folgte dem zweifelhaften Ruf größerer Gesteinsbrocken, welche die Rallyeszene gut zwölf Monate zuvor entdeckt hatte. Auf dem Truppenübungsplatz von Baumholder sollten sie stehen. Sauber in Reih’ und Glied aufgestellt, wie es bei der Bundeswehr gehört.

Moralisches Notstandsgebiet

Entstanden ist die legendäre Panzerplatte 1937, als die Wehrmacht Kasernen und den Truppenübungsplatz errichtete. Das angrenzende Baumholder wurde Garnisonstadt und 13 Dörfer mit über 4.000 Bewohnern wurden umgesiedelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel die Anlage zunächst in die Hände der Amerikaner, die nach einem kurzen Gastspiel der Franzosen das Gebiet zu einem der größten Stützpunkte in Deutschland ausbaute. Die GIs brachten so viel Leben in die Bude, dass in der kleinen Gemeinde rund 50 Taxis fahren konnten. Außerdem sorgte das rege Nachtleben für Schlagzeilen und die Bundesregierung bezeichnete die Region damals als „moralisches Notstandsgebiet“.

Nachdem die Bundeswehr den Truppenübungsplatz 1960 übernommen hatte, verlief das Leben in Baumholder in geordneteren Bahnen, aber noch immer erzählte man sich die Geschichten von früher. In dieser Zeit veranstaltete das Sportfahrer-Team-Hunsrück (STH) die erste Hunsrück-Rallye – damals noch als „Ori“ ohne Panzerplatte. Erst im Sommer 1973 wurden erstmals Rallyeautos um die gefürchteten Hinkelsteinen gezirkelt.

„Wir hatten die Idee, eine kleine WP auf der Panzerplatte zu fahren und sind damit auf Oberstleutnant Wolf zugegangen“, blickt Henning Wünsch zurück. „Der war stellvertretender Kommandant und hat mit der Bundeswehr selbst Motorsport betrieben, er hat sogar einen ONS-Pokal für Sonderfahrzeuge gewonnen. Wir haben also eine gemeinsame Sprache gesprochen – und so ist die WP Panzerplatte entstanden. Anfangs als 6,8 Kilometer lange Schleife durch den ‚Nudeltopf’, die als Rundkurs mehrmals befahren wurde.“

DRM-Premiere mit 92 WP-Kilometer

Bereits ein Jahr nach dem Debüt auf der Platte dienten die Hinkelsteine auch bei Deutschlands besten Rallyefahrern als unverwüstliche Grenzmauern der Driftakrobatik. Und das nicht zu knapp: Für die DRM-Premiere der Hunsrück-Rallye steckte Fahrtleiter Henning Wünsch auf dem Truppenübungsplatz Baumholder einen Rundkurs ab, dessen Gesamtlänge bei 92 Kilometern lag. Zum Vergleich: Die vier Panzerplatten-WPs im Jahr 2014 kommen zusammen auf 91,08 km.

Ein weiterer Unterschied: Bis in die früher 1980er wurde nach dem Vorbild der RAC Rallye „blind“ gefahren. Jegliches Training war strengstens verboten. 1974 standen im Roadbook nur zwei Angaben: „WP Anfang“ sowie 92,0 Kilometer später „WP Ende“. Die Orientierung im Militärgebiet erfolgt ausschließlich durch Pfeile – bis heute ein Markenzeichen der Hunsrück-Rallye bzw. der Rallye Deutschland.

Rekord-Rundkurs mit 112 Kilometern

Diese 92 Kilometer sind aber nicht die längste je gefahrene Distanz auf dem Truppenübungsplatz Baumholder. Den ewigen Rekord bildet bis heute ein 112 Kilometer langer Rundkurs, der 1976 gefahren wurde. Wie viele verschiedene Streckenvarianten das Sportfahrer-Team-Hunsrück (STH) in den vergangenen 40 Jahren auf dem Bundeswehr-Areal ausprobiert hat, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Zumal die Panzerplatte nicht die einzige WP war, die auf dem Truppenübungsplatz stattfand. Allein in der seit 2002 andauernden WM-Ära kommen noch die Prüfungen Hahlkreuz, Maiwald und Erzweiler hinzu.

Trotz der vielen Varianten hat die Rallyeszene beileibe nicht das komplette Militärgebiet erkundet, das mit einer Fläche von 11.600 Hektar ähnlich groß ist wie die Stadt Trier: „Die Impact Area ist für uns komplett tabu“, so Wünsch. „Dort findet der normale Übungsbetrieb der Bundeswehr statt, da wird geschossen und es bleibt auch mal ein Blindgänger liegen.“

Apropos liegenbleiben: Technische Defekt, Unfälle und vor allem Reifenschäden gehörten seit der ersten Stunde zum Bild von Baumholder. Die „brodelnde, staubige und steinige Hölle“ (wie sie Dieter Scharnagl 1980 in der rallye racing beschrieb) war schon in den 70ern dafür bekannt, dass Siegesträume hier ähnlich dumpf zerschellten wie Platzpatronen an einem Leopard-Panzer. Dabei machte die „Platte“ auch vor großen Namen wie Stig Blomqvist, Ari Vatanen, Henri Toivonen oder Jean Claude Andruet nicht halt.

Seit 1973 hat die Panzerplatte ihr Gesicht zwar an einigen Stellen verändert. Anfangs lag der Schotteranteil der Prüfungen nach Wünschs Schätzung „bei 20, 25 Prozent“, heute wird ausschließlich auf Asphalt und Beton gefahren. Um das Verbot von Mischprüfungen zu umgehen, mussten 2005 und 2006 sogar einige Schotterstücke betoniert werden.

Seinen rauen Charakter hat der Truppenübungsplatz dadurch aber nicht verloren. 2011 zum Beispiel war die Panzerplatte schuld an Sébastien Loebs einziger Niederlage bei der Rallye Deutschland. Der Grund war wie so oft ein Reifenschaden.

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