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Lausitz-Rallye: Prädikat wertvoll

Wie schafft es die Lausitz-Rallye, als größte Schotter-Veranstaltung in einem Land zu überleben, in dem fast ausschließlich auf Asphalt gefahren wird?

Wolfgang Rasper hat was von Majestix, dem Häuptling der Gallier. Nicht wegen der Statur, auch lässt er sich nicht von Untergebenen auf einem Schild herumtragen. Doch ähnlich wie es im Comic die Bewohner eines kleinen Dorfes dem großen römischen Reich widerstehen, so verweigern sich Rasper und der Rallye-Renn- & Wassersport-Club Lausitz erfolgreich dem Trend, Rallyes nur auf Asphalt auszurichten.

Die Rallye im Osten von Dresden gehört längst zu den anerkannt besten ihrer Art in Europa in der Liga unterhalb von Welt- und Europameisterschaft. Im vergangenen Jahr war die Lausitz-Rallye erstmals das Finale der European Rally Trophy (ERT), für das sich die besten Teams aus einem halben Dutzend regionaler Trophys qualifizieren. „Mehr kann man als kleiner Verein kaum erreichen“, ist Vorsitzender Rasper stolz auf die Arbeit seines Clubs.

Während die Starterzahl seit Jahren konstant um die 80 pendelt, wird es immer schwerer, die Lücke zum erforderlichen Etat von rund 200.000 Euro durch Sponsoren zu füllen. „Wir haben einige Partner, die uns mit Sach- oder Dienstleistungen unterstützen. Aber die großen Geldgeber fehlen“, gibt Rasper zu.

Gute Kontakte zur Politik

Immerhin gehören der zuständige Görlitzer Landrat Bernd Lange und sogar Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer zu den Fans der Lausitz-Rallye. Dass außerdem der Schriftzug „So geht sächsisch“ auf den Teilnehmerfahrzeugen prangte, zeugt von der Aufnahme der Veranstaltung in eine entsprechende Kampagne der Staatskanzlei. „Herr Kretschmer hat mich nach der letzten Rallye persönlich angerufen und gefragt, wie es gelaufen ist“, verrät Rasper stolz.

Gute Kontakte sind eine Spezialität des früher selbst aktiven Rallyefahrers (im Wartburg). Zwischen 500 und 600 Helfer aktiviert Rasper jedes Mal, die meisten aus einem Dutzend befreundeter Motorsportclubs. Auch kein Zufall, dass Rekordmeister Matthias Kahle fast immer zu den Teilnehmern gehört – Rasper war in den 1990er Jahren dessen Beifahrer. Rallyeleiter ist Uwe Schmidt, normalerweise für den Motorsportweltverband FIA unter anderem als Stellvertretender Vorsitzender der Rallyekommission weltweit unterwegs.

Vor Corona toller Gäste-Service

Trotzdem bezieht die Lausitz-Rallye ihren Charme aus der familiären Atmosphäre. Gäste und VIPs werden im Dorfgemeinschaftshaus von Boxberg willkommen geheißen und in rustikalen Allrad-Bussen zu Zuschauerpunkten gefahren. Für das Programm ist seit Jahren eine von Raspers Gattin Dagmar dirigierte Frauengruppe zuständig. „Sie bereiten am Wochenende zum Beispiel 800 bis 900 Verpflegungspakete vor“, erzählt Rasper.

Raspers Vernetzung mit der lokalen Wirtschaft ist für die Lausitz-Rallye überlebenswichtig. Bewährt hat sich der vor zwei Jahren erstmals genutzte Serviceplatz am Bärwalder See, der in der Sommersaison als Campingplatz genutzt wird. „Der Pächter stellt uns Strom und Wasser zur Verfügung. Die Serviceteams wissen außerdem den geschotterten Untergrund zu schätzen“, zählt Rasper auf. Das zugehörige Restaurant „Kombüse“ freut sich über das Geschäft in der Nebensaison. Außerdem steht das benachbarte Tourismusinformationszentrum während der Rallye als Organisationszentrale zur Verfügung.

Rein in den (ehemaligen) Tagebau

Der größte Teil der Wertungsprüfungen liegt auf Privatgelände, zum Beispiel der Lausitz Energie Verwaltung (LEAG), Betreiber des zu den unübersehbaren Kühltürmen gehörigen Kraftwerks, oder der Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV), die für die Rekultivierung der durch den Tagebau zerstörten Landschaften zuständig ist. „Von dort kommen sogar häufig Vorschläge, welche bisher nicht genutzten Wege für WPs geeignet wären“, sagt Rasper.

Er selbst stellt ebenfalls einen Teil der Strecke zur Verfügung. Rasper ist Pächter eines Bereichs, den Rallyeteilnehmer unter dem Namen „Arena“ kennen. Auf dem bei Bedarf abgeschirmten Areal, das stellenweise sogar beleuchtet werden kann, testen sonst gelegentlich Werksteams wie Volkswagen und Skoda oder drehen Fernsehsender Actionshows wie die DMAX-Produktion „Devil’s Race“.

Auch ohne die Bundeswehr würde die Lausitz-Rallye nicht nach heutigem Muster funktionieren. „Dank der Unterstützung durch die ADAC-Zentrale in München haben wir eine Dauergenehmigung erhalten, den Truppenübungsplatz Oberlausitz zu nutzen. So kann der Kommandant vor Ort entscheiden, was geht und was nicht“, erklärt Rasper.

Nicht geht zum Beispiel die Nutzung von der Bundeswehr aufgegebener Geländebereiche – Munitionsreste und Blindgänger verbieten das Betreten durch Zuschauer. Die sind ohnehin nur an explizit ausgewiesenen Punkten erwünscht. „Das war am Anfang schwierig, aber inzwischen haben fast alle Fans das System akzeptiert“, sagt Rasper.       

Streckenchef Patrick Hünniger, den alle nur „Hü“ nennen, hofft darauf, dass irgendwann der Kampfmittelräumdienst den aufgelassenen Teil des Truppenübungsplatzes gesäubert hat. Denn Alternativen zu bestehenden Strecken braucht er immer. So ist derzeit noch nicht klar, welche mittelfristigen Auswirkungen der drei Jahre zurückliegende Wechsel des Geländeeigentums von Vattenfall zur LEAG hat. „Vattenfall hat uns immer stark unterstützt. Bestehende Verträge wurden zum Glück nicht angetastet“, erläutert der Streckenchef.

Dass er plötzlich noch vom Tagebau genutzte Bereiche nicht mehr nutzen darf, hat sich inzwischen sogar als positiv erwiesen. „Damals gab es fast immer kurzfristige Streckenänderungen, weil sich natürlich der laufende Betrieb nicht nach uns gerichtet hat. Das Problem haben wir jetzt nicht mehr.“ Kein Problem sind dagegen die in der Lausitz lebenden Wölfe, weder für die Genehmigung noch für die Zuschauer. „Wölfe meiden Menschen“, bekräftigt Hünniger. „Ein Risiko sind eher Wildschweine, die verstehen keinen Spaß.“

Legendär ist auch der rote Nissan Sunny GTI, mit dem ‚Hü‘ jahrelang die Strecken raussuchte. „Es ist wohl das Auto mit den meisten Lausitz-Kilometern“, grinst Hünniger und verrät: „Ich hatte aber mehrere davon. Einer alleine hätte das sicher nicht durchgehalten.“

Für die langfristige Zukunft der Lausitz-Rallye wird dagegen der sogenannte Kohle-Ausstieg eine Rolle spielen. Derzeit liefert die Lausitz rund ein Drittel der in Deutschland verbrauchten Braunkohle, an ihr hängen in der Gegend etwa 20.000 Arbeitsplätze. Innerhalb der nächsten 20 Jahre soll das derzeitige Tagebaugebiet in eine riesige Seenlandschaft umgebaut werden. Die Rallye-Organisatoren bauen vor und binden immer stärker die schon jetzt vorhandene Tourismus-Infrastruktur ein. „Die Lausitz ist eine schöne Gegend, um Urlaub zu machen“, sagt Hünniger. „Wenn unsere Rallye zusätzliche Besucher anlockt, kann das nur ein Vorteil sein.“

EM ist kein Thema

Schließlich ist die Lausitz-Rallye weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt. Sogar die Organisatoren der Europameisterschaft haben schon angeklopft. „Aber das ist für uns eine Nummer zu groß, vor allem die finanziellen Forderungen“, winkt Rasper ab.

Auch eine Rückkehr in die Deutsche Meisterschaft (DRM) ist für ihn derzeit kein Thema. „Eine einzelne Schotter-Rallye macht wenig Sinn. Viele Teams scheuen die Kosten, ihr Auto auf Schotter umzubauen, und würden gar nicht erst in die Lausitz kommen“, befürchtet Wolfgang Rasper. „Deswegen wären mindestens zwei Schotter-Rallyes gut für die Meisterschaft.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

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