Havelland-Rallye

Havelland turbulentissimo

Jede Menge Spannung und Trubel erlebt die Berliner Havelland-Rallye: Packende Kämpfe auf schwierigen Wertungsprüfungen, Favoriten-Ausfälle und die Disqualifikation des Schnellsten. Am Ende steht mit Sven Senglaub und Lydia Eschenlaub ein Außenseiterpaar oben auf den Podium.

Das Leben in der Spargelstadt Beelitz pulsiert während der Ernte von April bis Juni, Im Herbst herrscht in der Kleinstadt zwischen Berlin und Wittenberg weitgehend Ruhe, unterbrochen von der Havelland-Rallye, die kurz nach der Wende von der Havel wegzog in die sandige Mark Brandenburg. Die 44. ADAC/PRS-Havelland-Rallye wartet mit einem Mammutprogramm auf: Zehn Wertungsprüfungen (fünf verschiedene) über 69 WP-Kilometer, 33 abzusperrenden WP-Kilometer (genau so viel wie die 3-Städte-Rallye), 53% Festbelag mit Asphalt und Betonplattenweg jeder Qualität, 47% Schotter, Sand und Gras, 50 Meter Holzbohlen eingeschlossen. Sechs Stunden Besichtigung und acht Stunden Wettbewerb sorgen für einen anstrengenden 19-Stunden-Turn bis zum Ende der Siegerehrung. Nachtfrost und Morgennebel begleiten die Teams morgens beim Besichtigen, doch bald steigt der Nebel hoch, ab Mittag scheint die Sonne. Den ganzen Tag fällt kein Tropfen Regen, aber abends wird es bitter kalt mit 7 Grad minus – und die zweite Hälfte läuft bei Nacht und Nebel.

Von 70 gemeldeten Teams sagen zehn ab, 60 Fahrzeuge starten am Samstagmittag. Zum Auftakt diktiert ein Mitsubishi-Quintett das Geschehen. Ron Schumann, erstmals mit Nanett Centner auf dem heißen Sitz, und die Finnen Jaako Keskinen und Jukka Pollari, wie Schumann im Gruppe-H-Evo 7 fahrend, teilen sich die erste Bestzeit auf der über 10 Kilometer langen Sprintprüfung. Die Vorjahressieger Martin Christ und Tino Krajewski (Gruppe-F-Evo 9), das zweite finnische Team mit Jari Latvala und Kari Mustalahti (Evo 3) sowie Matthias Koch und Max Menz (Evo 8) folgen mit geringem Abstand. Die beiden nächsten Prüfungen sehen Christ als schnellsten im Ziel, während Keskinen die auf WP 2 gewonnene Führung auf WP 3 an Schumann abgeben muss. Der in der Schweiz lebende Sachse führt mit drei Sekunden vor Christ, sieben vor Keskinen, 26 vor Koch und 29 vor Latvala. Dann folgt ein Pulk mit den Mitsubishi von Ken Milde (Evo 8), Sven Senglaub (Evo 6) und Gero Wildgrube (Evo 9), mit einem großartig fahrenden Mark Muschiol im frontgetriebenen Renault Clio mittendrin, und dahinter Patrick Neidhardt im Audi A4 Quattro und Andreas Rink im Subaru Impreza. Sein Markenkollege Werner Jetzt ist der einzige Ausfall an der Spitze; nach einem Blindflug mit beschlagener Scheibe – ohne Lüfter im Auto – und Bremsproblemen stellt der Oberbayer den Impreza sicherheitshalber ab.

Keskinen lädt auf

Im mittleren Teil übernehmen Ron Schumann und Nanett Centner das Kommando und setzen sich mit drei Bestzeiten am Stück von Christ ab. Jaakko Keskinen hat Kummer mit dem Benzindruck; als der Wechsel der Benzinpumpe nicht bringt, gibt der Finne auf. Nach sechs WPs führt Schumann mit 36 Sekunden vor Christ; Koch und Latvala liegen über eine Minute zurück, Senglaub zwei. Mark Muschiol ist schnellster Zweiradler auf Rang 6 vor den Allrad-Turbos von Milde, Neidhardt, Wildgrube und Rink.

Das letzte Drittel enthält neben zwei harten 6-km-Sprints auch zwei Durchgänge auf einem Rundkurs mitten in Deutsch Bork, 500 Meter lang um Kirche und Bürgerhaus herum. Weil die Havelland-Rallye seit zehn Jahren zu Gast ist, feiern Zuschauer und Anwohner ein kleines Dorffest im Innenfeld. Die Show in Deutsch Bork steht im Kontrast zur Ausfahrt des Rundkurses, die über drei Kilometer „Platte“ mit tückischen Kanten und Kurven führt. Matthias Koch kracht hier gegen einen Baum, zum Glück bleiben er und Co Max Menz unverletzt. Latvalas Beifahrer Kari Mustalahti, der kein Wort deutsch spricht, erkennt die Differenzen zwischen Recce-Roadbook und Wettbewerbs-Roadbook nicht und fährt beide Male eine Runde zu wenig – Absturz auf Rang 22. Martin Christ hat schon in der WP 8 mehr als eine Minute verloren, 800 Meter vor dem Ziel der letzten Prüfung bleibt sein Evo 9 ohne Strom im dicksten Nebel stehen. Über drei Minuten vergehen, bis der Fehler erkannt und behoben ist, Martin Christ und Tino Krajewski rutschen von Platz 2 auf Platz 5 zurück. 

Nach acht Bestzeiten erreichen Ron Schumann und Nanett Centner das Ziel in Beelitz mit einem Riesenvorsprung von dreieinhalb Minuten. Doch dann folgt die kalte Dusche: Sie sind mit sechs Rädern, also zwei Reserverädern gestartet, stehen aber nur mit vier Rädern im Parc Fermé. Über den fälligen Wertungsausschluss gibt es keine Diskussionen. Kopfschütteln erregt allerdings der Protest des Letzten (34 Minuten langsamer als der Sieger) gegen den Vorletzten wegen einer Fly-Off-Handbremse.

Unerwartete Sieger

Nach so viel Trubel um die Favoriten erlebt die Havelland-Rallye ein Siegertrio, auf das niemand gewettet hätte. Sven Senglaub und Lydia Eschenhorn kommen mit dem Evo 6, den Philipp Knof zwei Jahre zuvor auf Platz 3 bei der Havelland-Rallye gescheucht hat, endlich ohne technische Probleme über die volle Distanz. Der 39-jährige Kfz-Meister aus Friedersdorf am Berliner Stadtrand war vor 23 Jahren Kartmeister, fuhr 2012 im Original-Trofeo-Cinquecento mit 68 PS seine erste Rallye. Jetzt gewinnt er mit seiner Lebensgefährtin Lydia Eschenhorn mit knappen 3,4 Sekunden Vorsprung vor Patrick Neidhardt und Susanne Oelszner im Audi A4 Quattro, die Senglaub auf der allerletzten Prüfung noch überholt. Das Thüringer Team hat mit dem Gruppe-F-Audi, dem rund 50 PS auf die Mitsubishi fehlen, nach verhaltenem Anfang einen tollen Endspurt hingelegt und erreicht trotz Sorgen mit dem Getriebe den zweiten Rang. Strahlende Gesichter gibt es auch bei Mark Muschiol und Kerstin Munkwitz, die von Anfang an die Zweirad-Wertung anführen und als Dritte aufs Podium steigen. „Wir sind auf den letzten drei Prüfungen im Nebel ganz vorsichtig gefahren“, kommentiert Kerstin Munkwitz. „Es ist unsere letzte Rallye, der Clio steht zum Verkauf. Aber wir sind sehr zufrieden.“

Als Vierte sichern sich Ken Milde und Michael Mai im Evo 8 volle Punkte für den DMSB-Rallye-Cup, hinter dem enttäuschten Martin Christ fahren Gero Wildgrube und Thomas Keller den Ruokonen-Evo 9 zum Gruppe-N-Klassensieg. Mit einer sehr starken Leistung holen sich Oliver Wirth und Frank Hornfeck im BMW 318is den Klassensieg in der 2-Liter-Klasse der Gruppe F vor Bernd Knüpfer und Daniel Herzig im Opel Astra; der Bruder Dirk Knüpfer und Copilotin Jacqueline Heilsberg fahren im 1400-cm³-Fabia auf Gesamtrang 11. Die mit zehn Fahrzeugen besetzte Klasse F3B gewinnen Nick Heilborn und Benjamin Melde im BMW 328 vor dem besten Volvo von Andreas Leue und Janosch Hartmann. In der Gruppe H freuen sich Alexander und Cornelia Klemm im Cinquecento über den Klassensieg, der ihnen auch den Schotter-Cup-Titel (Bericht folgt) einbringt, und Mario Keller und Rene Mittmann bei den Trabis. Die Härte der Havelland-Rallye wird an der Ausfallquote sichtbar: Nur 33 der 60 gestarteten Teams werden gewertet.

Ergebnis 44. ADAC/PRS-Havelland-Rallye

1. Sven Senglaub / Lydia Eschenhorn Mitsubishi Evo 6 F3A 51:38,2
2. Patrick Neidhardt / Susanne Oelszner Audi A4 Quattro  F3A +3,4
3. Mark Muschiol / Kerstin Munkwitz Renault Clio II H14 +18,6
4. Ken Milde / Michael Mai Mitsubishi Evo 8 C28 +34,1
5. Martin Christ / Tino Krajewski Mitsubishi Evo 9 F3A +1:49,2
6. Gero Wildgrube / Thomas Keller Mitsubishi Evo 9 RC2 +1:50,9
7. Oliver Wirth / Frank Hornfeck BMW 318is E30 F8 +2:00,7
8. Andreas Rink / Gernot Polzin Subaru Impreza   C28 +2:04,5
9. Bernd Knüpfer / Daniel Herzig Opel Astra GSi   F8 +2:23,0
10. Björn Leiß / Andre Seltmann Mazda 323 GTX G20 +3:06,7
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