Nationale Szene

Abschied von der Gruppe H?

Bei der Fahrerbesprechung vor der Lausitz-Rallye wurde von Plänen berichtet, die Gruppe H im Rallyesport innerhalb von drei Jahren auslaufen zu lassen. Seitdem kursieren zahlreiche Gerüchte, Geschichten und Emotionen. Wir haben bei Alfred Gorny nachgefragt, der als Fachmann für Gruppen, Klassen und Statistik gilt.

<strong>VERÄNDERUNGEN:</strong> Der DMSB plant die Neuausrichtung der Klasseneinteilung, die betrifft auch die Gruppe-H

Was ist dran an den Diskussionen über die Gruppe H?

Der Fachausschuss Rallye hat eine Vorlage erstellt zur Reduzierung der Gruppen und Klassen im Rallyesport. Über diesen Vorschlag werden die beiden höchsten DMSB-Gremien, das Exekutivkomitee und das Präsidium, am 8./9. November entscheiden.

 

Warum wird der Fachausschuss tätig und warum gerade jetzt?

Bei den Klassen und Gruppen blickt kaum jemand durch. Die FIA-Klassen mit den Gruppen N und A, den sechs R-Gruppen und WRC sind schon schwierig zu verstehen, aber nicht zu ändern. In Deutschland kommen als nationale Gruppen noch H, F, G, ATG und CTC/CGT dazu. Trotz einiger Zusammenfassungen gibt es 30 Klassen. Die sollen auf weniger als 20 reduziert werden.

 

Wie sieht diese Vorlage aus?

Der Fachausschuss hat alle nationalen Gruppen geprüft. Die Klassen der CTC-Fahrzeuge wurden bereits vor zwei Jahren so definiert, dass sie als Auffangbecken für die Gruppe H dienen können. Die Gruppe G kränkelt wegen der geringen Attraktivität und wegen des verbreiteten Betrugs bei den Steuergeräten; sie muss dringend überarbeitet werden. Die Gruppe H soll bei den Nat.-A-Rallye ab 2014 nicht mehr ausgeschrieben werden, bei den Rallye 200 soll zwei Jahre später, also ab 2016 Schluss sein.

 

Warum soll die Gruppe H auslaufen?

Die Gruppe H krankt schwer daran, dass viel zu viel erlaubt ist. Wer an der Spitze mitmischen will, muss viel Geld in die Hand nehmen. Wer das nicht kann, fährt hinterher und verliert irgendwann die Lust. Vor 15 Jahren hat die Gruppe H rund 80% der Felder im 200er-Sport ausgemacht, heute ist es nur noch die Hälfte.

 

Die Gruppe-H-Fahrer kritisieren den Plan heftig.

Das ist ja auch verständlich. Jeder verteidigt seinen Besitz. Die Griechen gehen auf die Straße, um gegen die EU-Sparpolitik zu demonstrieren. Dennoch ist es im Sport wie in der Politik wichtig und richtig, einen Kurs festzulegen, der die Zukunft für alle Beteiligten sichert. Die Gruppe H ist dreißig Jahre alt, zwanzig Jahre hat die Idee ziemlich gut funktioniert, seit zehn Jahren geht die Orientierung in die falsche Richtung. Übrigens ist ein Großteil der Gruppe-H-Piloten in keiner Weise überrascht, denn die Diskussion läuft schon seit mindestens zwei Jahren.

 

Verstehen Sie die Argumente der Gruppe-H-Befürworter? Sie gelten ja als Gegner der Gruppe H.

Ich möchte daran erinnern, dass ich 1995 den Gruppe-H-Rallye-Cup gegründet habe. Es war die erste Möglichkeit für die Gruppe H, bundesweit aufzutreten. Der Erfolg führte zur Aufnahme der Gruppe H in die Rallye-Challenge, die zweite Liga. Vorher hatten sich die ONS und der ADAC-Sportpräsident Lyding vehement gegen die Gruppe H ausgesprochen. Der Gruppe-H-Cup war sehr populär. Aber dann uferte die technische Entwicklung aus. Der DMSB hat unter Tomczyk das Mindestalter gestrichen, die Allradler kamen, die sequenziellen Getriebe kamen, die Kosten explodierten. Nur die viel zu niedrigen Mindestgewichte blieben. Deshalb habe ich nach zehn Jahren den Gruppe-H-Cup eingestellt.

 

Geht nicht ein Stück Faszination verloren ohne die Gruppe H?

Sehen wir uns bei den Nachbarn um: Österreicher, Polen, Tschechen, Dänen und Italiener haben nie etwas wie die deutsche Gruppe H gekannt und vermissen sie nicht. Die Belgier hatten früher die Gruppe R und die Franzosen die Gruppe F; die unserer Gruppe H entsprachen. Beide Länder haben diese Gruppen vor rund 10 Jahren abgeschafft, weil die Autos zu stark, zu schnell und vor allem zu teuer wurden. Auch dort haben die Betroffenen Zeter und Mordio geschrien, der Rallyesport lief aber ohne große Brüche weiter. Heute sind die Franzosen froh über diese Entscheidung, ihre neue Gruppe F2 ähnelt der deutschen Gruppe F sehr und bietet volle Felder. Und noch eins: Wir müssen unseren Sport auch Leuten verständlich machen, die nicht aus der Szene kommen. Können Sie sich vorstellen, wie ein Marketingmann, ein Journalist, ein Normalbürger denkt, wenn er bei einer „modernen“ Rallye jede Menge Autos sieht, die im Straßenverkehr längst ausgestorben sind?

 

Nur noch ein Jahr Gruppe H bei Nat.-A-Rallyes. Ist das nicht zu kurz?

Die Gruppe H spielt im Nat.-A-Bereich keine große Rolle mehr. Nach den Zahlen von 2011 lag der Anteil der Gruppe H in diesem Bereich nur noch bei 26%. In den DRM-Divisionen 7 bis 9, die für die Gruppe H offen sind, gehen 2012 alle Pokale an Gruppe-F-Teams. Beim Masters gibt es nur in denjenigen Divisionen Gruppe-H-Sieger, wo sie keine Konkurrenz haben; ansonsten liegen Autos aus den R-Klassen oder aus der Gruppe F vorn. Lange Übergangsfristen führen nur zur Lethargie.

 

In der Rallye-200-Szene ist der Anteil aber höher?

Ja, 2011 machte die Gruppe H noch 40% aus. Der Rest: N+F 35%, G 15%, CTC 10%. Deswegen sieht der Fachausschuss für Rallye 200 eine Dreijahresfrist vor.

 

Was soll mit den Gruppe-H-Fahrzeugen passieren? Sind dann 1.000 Rallye-Autos reif für den Schrott?

Bestimmt nicht. Ich rede oft mit Fahrern und Technikern. Rund ein Drittel kann ohne großen Aufwand für die Gruppe F umgerüstet werden. Ein weiteres Drittel passt – ebenfalls ohne großen Aufwand – in die Gruppe CTC/CGT. Beim letzten Drittel wird es schwieriger, besonders bei den Autos mit 25 Jahren und mehr, vor allem wegen des niedrigen Gewichts. Aber diese Autos sind häufig ohnehin in einem Zustand, dass man ihnen nicht nachtrauert.

 

Ein Gruppe-R-Auto kostet viel Geld. 30.000 Euro in der Gruppe R1 oder 60.000 Euro für ein R2-Auto sind zu viel für die meisten Amateure.

In der Tat, aber das sind Investitionen, für die man einen Gegenwert hat. Wer heute 30.000 Euro in ein R1-Auto oder ein N-Auto steckt, wird es ein Jahr später voraussichtlich für 25.000 Euro verkaufen können. Macht 5000 Euro Abschreibung und natürlich die laufenden Kosten. Für Gruppe-H-Rallyeautos gibt es schon seit vielen Jahren keinen Markt mehr. Ein Gruppe-H-Rallyeauto ist so gut wie unverkäuflich. Der Besitzer steckt Jahr für Jahr Geld hinein und bekommt keinen Gegenwert. Nur Einzelteile wie ein hochwertiges Getriebe erzielen auf dem Markt einen akzeptablen Preis. Insofern rechnen sich die Ausgaben für ein neues Auto.

 

Die Veranstalter befürchten, dass die Starterzahlen in den Keller gehen. Was sagen Sie denen?

Die Starterzahlen sind bis 2008 leicht aber stetig gewachsen. Die Einführung der feuerfesten Komplett-Bekleidung und zweimal verschärfte Käfigbestimmungen haben den Trend umgekehrt. Die Starterzahlen sinken merklich. Wenn der DMSB jetzt nicht eingreift, wird die Krise unausweichlich. Leider sind viele Veranstalter kurzsichtig, andere lassen sich durch den Boom bei den Histos einlullen. Handeln ist jetzt gefragt. Der Gärtner schneidet im Herbst die alten Äste ab, damit der Baum im Frühjahr umso kräftiger treibt.

 

Woher nehmen Sie den Optimismus?

Zum einen wird die Richtlinie des Bundesverkehrsministeriums die Zulassung von Rallye-Fahrzeugen erheblich erleichtern. Dass Ein- und Austragungen fast unmöglich sind, hat den Rallyesport seit Jahren extrem behindert. Zum anderen: Renault macht 2013 einen Markenpokal mit R1-Autos. Opel und Toyota sprechen offen von Markenpokalen. VW wird nicht untätig bleiben. Solche positiven Rahmenbedingungen hatten wir letztmals Anfang der Achtziger.

 

Wird der DMSB die Vorlage beschließen?

Das werden wir erst in zwei Wochen wissen. Der erweiterte Rallyeausschuss hat die Vorlage zur Reduzierung der Gruppen und Klassen – wie ich hörte - nach langer Diskussion mit großer Mehrheit beschlossen. Ich würde mich freuen, wenn die Entscheidungsträger im DMSB nicht (wie so oft) auf irgendwelche „Spezln“ hören, sondern dem Rat der Fachleute vertrauen und die Weichen für eine bessere Zukunft stellen.

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