Spieletest

Wie gut ist DiRT Rally 2.0 wirklich?

Drei Jahre musste die Rallyegemeinde auf den nächsten Simulationskracher aus dem Hause Codemasters warten. Ob es sich gelohnt hat, erfahrt ihr in unserem Test.

Ihr kennt das. Durch die walisischen Wälder zu heizen kann noch so viel Spaß machen, irgendwann kennt man alle Steine entlang des Sweet Lamb Komplexes beim Vornamen. So war der Kick, der mir gute 300 Spielstunden beim Ur-DiRT Rally den Adrenalinpegel nach oben katapultierte irgendwann vergangen. Umso größer war dann die Vorfreude, als Codemasters nach einem eher verkorksten DiRT 4 endlich den spirituellen Nachfolger der heiligen Rallyesimulation ankündigte, die sich jeder wünschte.

Vier Discs, zwei Stunden Installationszeit. Der Playseat lauert, das Alcantara-Lenkrad erwacht fröhlich blinkend zum Leben und kann seinen Einsatz kaum noch erwarten. Der Staub der Winterpause noch auf den Handschuhen. Es wird eine schweißtreibende Nacht, das ist sicher. Aber etwas anders als erwartet.

Ungeduldig navigiere ich durch das modern und ansprechend gestaltete Interface. Zeitrennen. Argentinien, Fabia R5. Einfach fahren. Phil Mills auf dem heißen Sitz, der im Vorstart nochmal die ersten Pacenotes wiederholt, damit ich direkt in den Flow komme. Es fühlt sich so heimisch an. 5, 4, 3, 2, 1 ... go! Was ist da los? Ich fühle nichts. Nichts außer einen konstanten Widerstand durch ein Lenkrad, das mir sonst so konsequent und vielsilbig jede Bodenwelle, gar jeden Stein durch das Force-Feedback als Quasi-Popometer mitgeteilt hat. An pushen ist nicht zu denken. So wird das nichts, außer einer Sightseeing Tour durch die grandios gestaltete Mondlandschaft El Condors.

Nach zwei mühsamen Tagen habe ich den Kampf gegen schwammige Steuerungs- & Force-Feedback Einstellungen gewonnen und es fühlt sich halbwegs nach Autofahren an. Zeit für die erste Karrieremission. Australien bei Regen. Lancia Fulvia oder 911 RGT. Is ja klar was man dann wählt. Startposition 150. Stage degradation heavy. Fahrhilfen? Pah! In den Ruts ist das ein Eiertanz der jede Cardioeinheit wie ein Kindergeburtstag aussehen lässt. Herrlich.

Nach vier Kurven lande ich im Graben. Na gut, einen Restart gönnen wir uns. Selbe Kurve, wieder derselbe Graben. In der Folge habe ich aufgehört zu zählen, wie oft ich Bekanntschaft mit dem längst bekannten Feind meines Zuffenhausener Sportgerätes gemacht habe. Eins ist klar, DiRT Rally 2.0 kennt keine Gnade. Leicht zu schnell. Abflug. KFZ falsch positioniert. Abflug. Einen Gasstoß zu viel. Abflug.

Vorbei sind die Zeiten von unrealistischen Bremswegen und gleichmäßigem Grip über die gesamte Streckenbreite. Außerhalb der Ideallinie reißt der Grip ab, als wäre man am Col de Turini mit Slicks unterwegs. Apropos Col. Auch wenn’s sich zeitweilig so anfühlt, Eis und Schnee suchte man in DiRT Rally 2.0  anfangs noch vergebens. Der wird in Season 1 als DLC gegen Aufpreis nachgereicht. Monte Carlo, Schweden und Deutschland sind die ersten Rallyes die Codemasters neuer Rallye-König nach Release spendiert bekommt.

Doch wer nun erwartet er könne die virtuellen Winzer um ihre Ernte bringen wird enttäuscht. Es handelt sich lediglich um optisch überarbeitete Prüfungen aus dem ersten DiRT Rally. Keine Chance auf neue WPs. Schade. Davon gibt‘s im Hauptspiel glücklicherweise genug. Das staubige Outback Australiens, die wundervoll flüssigen Schotterstraßen Neuseelands, die sprunglästigen Schotterachterbahnen von Polen, der rennstreckenartige Asphalt Kataloniens, sowie die herbstlichen Wälder im amerikanischen Michigan laden zum Autos versenken ein. Davon gibt’s übrigens genug. Ganze 51 an der Zahl. Von der göttlich schönen Citroen DS21, über den monströsen Audi Quattro S1E2, dem legendären 1995er Gruppe A Impreza bis hin zum aktuellen VW Polo R5 ist alles dabei um Rallyeherzen höher schlagen zu lassen.

Doch DiRT Rally 2.0 spielt man nicht nur mit dem Herzen, es muss auch etwas Hirn her. So kann man sich erstmals vor dem Loop für verschiedene Reifen entscheiden. Weiche Reifen mit maximalem Grip, aber höherem Risiko einen Platten zu erleiden? Medium als Mittelweg? Knochenharte Reifen und ohne Rücksicht auf Verluste pushen? Regnets auf der nächsten WP? Vielleicht doch besser die Regenreifen? Dieses Va-bon-Spiel gepaart mit der mehrstufigen Terrain-Deformation durch die jeweilige Startposition bringt Rallye-Realismus endlich auf das nächste Level und zeigt, dass sich Codemasters mit Jon Armstrong (seines Zeichens ehemaliger WRC2 Pilot) und Ryan Champion fachkundiges Personal als Rallye-Berater ins Haus geholt hat. Diese Expertise merkt man dem Spiel in jeder Facette an. Das Handling wurde nicht auf den Kopf gestellt, aber das musste man auch nicht. Es wurde verfeinert, verkompliziert, viel nuancenreicher. Leistungsstarke Fahrzeuge sind nun endlich der Tanz auf den Pedalen, die man als junger Mensch nur aus der legendären Walter Röhrl Onboard von 1985 kennt.

Wer es mal lieber Kopf an Kopf mit anderen aufnimmt, für den hat Codemasters die Zusammenarbeit mit der FIA Rallycross WM ausgeweitet und bietet nun nahezu alle Fahrzeuge der Serie an. Von Supercars wie dem alles dominierenden Polo WRX über die RX-Lites bis hin zum Crosscart ist alles geboten um auch Rundstrecken-Freunden den Schweiß auf die Stirn zu treiben.

Inzwischen hat Codemasters den Besitzern der Deluxe Edition auch bereits die ersten Zusatzinhalte spendiert und schickt mit Liebesgrüßen aus Tschechien und Frankreich die ersten World Rally Cars ins Rennen. Skoda Fabia WRC und Citroen C4 WRC lauten die Namen der Protagonisten, die nun endlich den Einzug der Topliga in DiRT Rally 2.0 einläuten, auch wenn diese vermutlich aus lizenzrechtlichen Gründen das verheißungsvolle Akronym nicht im Namen tragen.

Wird es nun Zeit sich vom alternden Rallye-Gott RBR abzuwenden? Noch nicht, dafür fühlt es sich im Lenkrad immer noch einen Tick besser an. Aber mit neuen Physics, den teilweise überragenden Sounds, Startpositionen und Terrain Deformation bietet DiRT Rally 2.0 etwas, was selbst die tausendste Mod nicht zu bieten vermag.

Absolute Kaufempfehlung!

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