Neue Fahrzeugklasse

Tracktest Ford Fiesta R5

Kaum eine neue FIA-Kategorie hat für mehr Wirbel gesorgt, als die neue R5. Was wurde nicht alles spekuliert und im Vorfeld erzählt. Wilde Dinge. Mal über große Taten und Preise, dann über kleine Leistungen und Stückzahlen. Das wollten wir genauer wissen und nahmen den allerersten Wettbewerber gleich einmal genauer unter die Lupe. Also ab auf die Insel zu M-Sport und rein in den Ford Fiesta R5!

<strong>DIE ZUKUNFT:</strong> Die FIA erwartet viel von den neuen R5-Autos, die zunächst den Kundensport beflügeln sollen

Hurra, schon wieder Erster! Malcolm Wilsons Tuningschmiede M-Sport hat beim nächsten großen Kundensportthema die Nase vorne. Denn die Insulaner sind sich mit den Experten auf dem Festland einig: die R5 ist die Zukunft im Rallyesport. Tschüss S2000, egal ob mit Saugmotor, oder als RRC mit Turbo. Wer künftig Geschäfte machen will – und nichts anderes haben M-Sport, Peugeot, Citroën, Skoda und Co im Sinn, kann nicht früh genug am Start stehen. So wie wir an diesem, leider erst gegen Mittag schönen Sommertag im englischen Cumbria.

Bevor wir mit aktiviertem Umluftsystem im „Stage“-Modus richtig loslegen, beordert mich der im Beifahrersitz kauernde Matthew Wilson nochmals zum Teamzelt zurück. Mir schwant nichts Gutes als dessen Vater Malcolm heranstürmt und die Fahrertür aufreißt. „Na, wie findest du es?“, fragt der M-Sport-Boss und gibt gleich selbst die Antwort: „Es ist einfach fantastisch“. Papa Wilson ist begeistert und stolz. Vom R5-Reglement im Allgemeinen und von seinem Fiesta im Besonderen. Über ein Jahr haben Projektleiter Chris Williams und seine Männer am neuen Topmodell für den Kundensport gearbeitet. Es ist der erste Allradler des 41-Jährigen, der schon für die R2-Kundensportmodelle bei M-Sport verantwortlich zeichnete. Allrad-Erfahrung bringt Williams aus seiner WRC-Zeit als Car-Ingenieur unter anderem bei Markko Märtin mit. Der 35 Jahre junge Fahrwerksexperte Massimo Carriero sammelte vor allem in seiner italienischen Heimat einschlägige Erfahrungen, bevor er vor zwei Jahren zu M-Sport kam und nun beim R5-Projekt in verantwortliche Position rückte. Der dritte Mann im kleinen Bunde ist Motorenexperte Nigel Arnfield, 45, der ebenfalls eine Herkules-Aufgabe zu bewältigen hatte. Denn das unter der Ägide des mit reichlich Erfahrung bei Herstellern und Teams gesegneten FIA-Technikers Karlheinz Goldstein weiter präzisierte R5-Reglement hat es in sich.

Maximal 180.00 Euro

"Controlled design" ist jenes Zauberwort, das die Bauteile eines R5 klar definiert. Wesentlichstes Ziel: Kostenreduzierung. Der von der FIA maximal erlaubte Preis von 180.000 Euro (netto versteht sich) wird nicht nur durch genaue Vorgaben zum Beispiel bei Materialien, Gewicht, Abmessungen und Herstellungsverfahren definiert. Zusätzlich unterliegen einzelne Baugruppen und -teile maximalen Preisspannen. Einziger Spielraum: Fünf Bauteile dürfen ihren vorgegebene Preisrahmen überschreiten, das gesamte Teilebudget von rund 140.000 Euro allerdings nicht. Heißt, gespart werden muss dann woanders.

Drei Beispiele zum besseren Verständnis des komplexen, aber wirkungsvollen Reglements: Der Tank darf maximal acht Flächen aufweisen. Da eine simple Rechteckbox sechs Seiten hat, bleiben gerade noch zwei für eigene Designvariationen. Zuwenig, um einen kostspieligen Spezialtank in Mulden oder um Achsen zu stricken. Oder nehmen wir den hinteren Hilfsrahmen: Beim Ford Fiesta R5 wiegt dieser zwölf Kilo, beim WRC-Bruder das aus hochfestem und ultraleichten Material nahezu identisch gefertigte Bauteil mit sieben Kilo fast die Hälfte. Über den Preisunterschied wollen wir dabei gar nicht reden. Denn dafür gibt es mit der optionalen Lufthutze auf dem Dach ein noch augenscheinlicheres Beispiel: Die WRC-Version, die auch unseren Testträger ziert, kostet 2.900 Euro. Die bei regionalen und nationalen Rallyes (gerade in Skandinavien) locker ausreichende R2-Version keine 200. Schmankerl am Rande: von den insgesamt 42 Ford Fiesta S2000 wurden 40 mit der WRC-Hutze geordert. „Es sind auch die Kunden, die den Gesamtpreis in die Höhe treiben“, weiß R5-Projektleiter Williams und vermeidet das Wort „eitel“.

Die Zulassung von Teilen ist sehr beschränkt. So dürfen nur (noch) zwei verschiedene Querlenker und Spurstangen (hier debattiert man noch mit der FIA) homologiert werden. Beim Fiesta heißt das links/rechts, sowie vorne/hinten und damit müssen auf Asphalt und Schotter die gleichen Teile gefahren werden. Selbst bei den Dämpferrohren gibt es nur noch vier Homologationsmöglichkeiten, ergo jeweils zwei Varianten (links/rechts) für Asphalt oder Schotter. Heißt vorne und hinten wird das gleiche Dämpferrohr verwendet und nur die Innereien sind unterschiedlich. Man sieht, das Reglement, wenn auch noch nicht in allen Detailpunkten final abgesegnet, ist sehr restriktiv und erfordert zahlreiche Kompromisse und Entscheidungen. Denn auch die Stabilisatoren sind in Anzahl und Durchmesser deutlich reduziert. Was zur Folge hat, dass M-Sport noch nicht alle Zulassungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat. Gleiches gilt für die Rampenwinkel am vorderen und hinteren Diff, wo die Briten erst einmal je zwei Varianten festschreiben ließen und somit jeweils noch eine Version frei haben. Ähnlich bei der Gesamtübersetzung. Eine mit 173 km/h Höchstgeschwindigkeit ist vorhanden. Eine zweite, womöglich kürzer statt länger, wird noch kommen. Chris Williams gibt zu: Der R5 ist nicht für die Weltmeisterschaft konzipiert: „Wenn wir bei der Entwicklung einen Kompromiss machen mussten, haben wir immer eher zugunsten der Asphaltperformance entschieden. Schließlich kommen 70 Prozent unserer R5-Kunden aus regionalen und nationalen Meisterschaften. Denen wollen wir ein optimales Auto bieten.“

Lass sehen. Auf dem todschicken Membranenbedienfeld des Lenkrads mit dem linken Daumen die Startautomatik (LC für Launch Control) drücken, Gas geben und ... Woouuhhh!  Explosionsartig schnalzt die Fuhre aus den Startlöchern. Knapp 290 Rennpferde lassen uns über das alte Flugfeld galoppieren. Wir wenden zwei Querpassagen und eineinhalb Kilometer weiter in bestem Gymkhana-Style – muss sein! – und ballern zurück. Matthew lächelt und zollt Respekt, wohl eher dem Auto. Egal. Herrlich. Alles im Lot. Okay, bis auf den einen Moment, als uns die Lenkung im Stich ließ. „Ein Sensor“, beschwichtigen die M-Sport-Mannen, tauschen erst die vermeintliche Fehlerquelle und dann zur Sicherheit das ganze System. Ein Schwachpunkt? Möglich. Mutig? Auf alle Fälle. Denn die Briten sind die ersten, die in dieser Klasse statt einem hydraulischen ein elektrisches Lenksystem verbauen. „Eine innovative Lösung sicher, aber wir haben im R2 und beim Testen gute Erfahrungen gemacht“, erklärt R5-Vater Williams. „Zudem sind es weniger Teile und mit 3.000 Euro ist die elektrische Variante satte 5.000 Euro günstiger als die hydraulische.“

Auf zur nächsten Runde. Der Motor brüllt, der Lader pfeift, das Anti-Lag-System knallt. Auf dem feuchten Parkett lassen sich erste trockene Fahrspuren erkennen. Saubere Linien sind etwas anderes, wird mein Co denken, während ich versuche mich irgendwie ins Chassis reinzufühlen. Eine leichte Nickbewegung in engen Kuren sowie ein spürbares Eintauchen der Fahrzeugfront beim Anbremsen zeugen letztendlich nur von höchster Synergie zwischen Fahrzeug und Untergrund. Vergesst das! Denn mal ehrlich, beim Gastfahrer hapert es an jener Filigrankoordination, mit der man bei flotten Wechselkurven an allen Ecken und Enden beschäftigt ist. Mit der Hand oben rechts werden die Gänge entweder reingerissen oder durchgedrückt. Derweil gibt auf der gleichen Seite unten der strenge Gasfuß den Takt vor. Und während links oben das Steuerrad mit festem Griff die Richtung hält, will die Umkehrbeschleunigung mit feinfühligem aber bestimmten Linksbremsen aktiviert werden. Gar nicht so einfach, auch wenn die AP-Bremsanlage (im WRC von Brembo) in Dimension und Wirkung jener aus dem Werkswagen der Topliga entspricht.

„Nie gab es für so wenig Geld ein so wettbewerbsfähiges Auto“, sagt Williams und stellt klar: „Alle wesentlichen Komponenten an unserem M5 sind neu.“ Auch oder gerade wegen dem restriktiven Kostenrahmen der FIA. Angefangen beim vom 2l-Ecoboost-Serientriebwerk mittels geändertem Hub und Bohrung auf 1.620 ccm herunter gebüchsten Motor. Weiter mit dem nun bei Sadev (statt X-trac) in Auftrag gegebenen Allrad-Antriebsstrang inklusive hydraulischem Handbrems-Entkopplungssystem am hinteren Differential und dem sequentiellen Fünfganggetriebe. Bis hin zur Fahrwerksgeometrie oder der Elektrik, die statt PI Research nun die britische Firma Life Racing beisteuert. Dass der Sicherheitskäfig auf Grund nochmals schärferen FIA-Vorschriften (die Rohre am Hauptbügel dürfen keine „Knicks“ mehr aufweisen) komplett neu berechnet wurde, ist da fast schon normales Entwicklungsgeschäft. „Die Kunst beim R5 ist nicht zu wissen wie man ein gutes Rallyeauto baut, sondern die richtigen Komponenten und Teile zu finden. Dafür haben wir sehr viel Zeit investiert.“ Die Herausforderung für die Ingenieure liegt auf der Hand. Um Kosten zu sparen – und nichts anderes ist oberstes Gebot wenn man ein Regional Rally Car nahes Auto statt für 600.000 Euro für den Preis eines guten Gruppe-N-Renners bauen muss – versucht man sich in vielen Bereichen mit Highperformance-Teilen aus der Serie zu helfen. Beim Kampfgewicht kommt man nicht ganz an das 1.200 Kilo Minimum heran, das WRC und RRC mehr oder weniger leichtfüßig unterbieten und dadurch Ballast zielgerichtet platzieren können. Augenscheinlicher Trick: Um dennoch eine gute Gewichtsverteilung zu erhalten, wurde an der Geometrie gedreht. Selten habe ich so schräg stehende Dämpfer an der Hinterhand eines Rallyeautos gesehen.

Der Knackpunkt sind die Temperaturen, genauer gesagt die thermischen Belastungen im Wettbewerb. Liegen die bei einem Turbolader in einem sportlichen Straßenauto zwischen 500 und 700 Grad an, muss das identische Bauteil im Rallyeauto 1.000 Grad aushalten. Das Motto ist simpel: Extreme Temperaturen verschlingen auch extremes Geld. Und je spitzer, schärfer oder höher der Arbeitsbereich eines Wettbewerbssystems, desto höher die Temperaturen. Das geht ins Geld. „Trotz des eklatanten Preisunterschiedes zu einem RRC bin ich überzeugt, dass man auf mittellangen Wertungsprüfungen mit dem R5 mithalten kann“, schwört Matthew Wilson. „Erst wenn es dann mal über 30 oder 40 Kilometer sind, kann der RRC mit seinen größeren Kühlern und Reserven punkten.“ Soll heißen, der direkte WRC-Ableger RRC kann einfach mehr wegstecken, als der preiswerte R5.

„Das Problem ist“, so Williams, „dass es jenes perfekte Teil, welches man in einem Rallyeauto braucht, in der Serie nicht gibt.“ Mehrere Mitarbeiter waren nur damit beschäftigt, über alle verfügbaren Informationsquellen brauchbare und damit günstige Serienteile zu finden. So stammt der Wasserkühler des Fiesta R5 vom US-amerikanischen SUV-Konzernbruder Edge. Noch kurioser: der Ladeluftkühler soll aus der V6-Version des Audi A5 stammen. Beim Lader so munkelt man, arbeitet Skoda aktuell mit dem gleichen Typ der auch im Fiesta verbaut ist. Nähere Infos: Kein Kommentar. Genauso wenig will man genaue Leistungsdaten preisgeben. „Über 280 PS und reichlich Drehmoment“, muss Kaufwilligen aktuell ebenso genügen, wie der Presse und der Konkurrenz. Eine echte Sisyphusarbeit war auch die Jagd nach der optimalen Lichtmaschine. Für den baugleich bei Ford (Mondeo), Landrover (Evoque) und Volvo (V60) verwendeten Motor sind 4 unterschiedlich starke Lichtmaschinen mit Leistungen von 125 bis 180 Ampere erhältlich. Letztere ist für einen Bruchteil der Kosten einer WRC-Lichtmaschine ziemlich dicht an deren 200 Ampere dran. „Herr Goldstein und seine FIA-Kollegen waren ziemlich überrascht, was für Serienteile wir gefunden haben und nutzen“, berichtet Williams nicht ohne Stolz von der Anfang Juni stattgefundenen offiziellen Inspektion der Technikerabordnung des Weltverbandes und lässt die Konkurrenz wissen: „Uns ist schon klar, dass die anderen nun erst einmal unser Homologationsblatt studieren. Schließlich ist es viel leichter, als Zweiter ein Auto zu bringen. Aber nur weil man die Zutaten zu einem Kuchen kennt, heißt es noch lange nicht, dass man ihn auch backen kann.“

Wie beliebt die Hexenküche im britischen Dovenby Hall ist, zeigt das große Interesse am neusten Kundenmodell. Noch vor der FIA-Zulassung sind 18 Bestellungen eingegangen. Die ersten sechs Autos werden gar zum Homologationstermin am 1. Juli 2013 ausgeliefert. Auch wenn die FIA mit M-Sport und den anderen Herstellern noch einige Details am technischen Reglement besprechen und festzurren will, am festgeschriebenen Preis soll sich nichts mehr ändern. Ein rallyefertiger Ford Fiesta R5 kostet 180.000 Euro. Ende und aus. Weitere Optionen dürfen keine(!) Performance-Vorteile bringen. Gut so. Ein Auto wie unser Tracktest-Exemplar bringt es dank großer Lufthutze, leichteren Sitzen, Magnesium statt Aluminium-Rädern, den in manchen Ländern vorgeschriebenen größeren Spiegeln, sowie leichterem Bordwerkzeug inklusive hydraulischem Wagenheber schlussendlich auf rund 200.000 Euro. So preiswert, in bestem Wortsinn, war schon lange kein Allradbolide mehr – schon gar nicht mit direkt einspritzendem 1,6l-Turbomotor. Auch wenn man bei den Einsatzkosten nur bedingt günstiger wegkommt, als beim angeblich wesentlich schwächeren, aber eben auch gut 100.000 Euro teureren Super 2000 mit Saugmotor. Zum Vergleich: M-Sport gibt die „Running costs“ wie folgt an: WRC 90 Euro pro Kilometer, S2000 60 und R5 50. Ach ja, beim R2 sei man mit fairen 12 Euro pro Kilometer dabei. Aber der macht nicht einmal halb so viel Spaß wie ein R5.

Quelle: rallye - Das Magazin, Ausgabe 7/8 2013

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