WM 1986

Vor 30 Jahren: Das Ende der legendären Gruppe B

Es sah so aus, als würde es das tollste Jahr in der Geschichte der Rallye-WM werden. Weltmeister Peugeot gegen die Hammergeräte von Lancia, Audi und den neuen Ford RS200. Doch das Jahr 1986 war noch keine drei Monate alt, da verstummte der Jubel, und zum Jahresende waren die Autos der Gruppe B bereits Geschichte.

Ein Anblick zum Niederknien bot sich beim WM-Auftakt 1986 - Bild: McKlein

Dass sechs Werksteams mit 14 Autos zum Saisonauftakt in Monte Carlo antreten, ist in der nun schon fast 100-jährigen Geschichte der „Königin der Rallyes“ keine Seltenheit, und doch war diese Rallye Monte Carlo einzigartig. Die drei Lancia Delta und Peugeot 205, die zwei Audi Quattro und MG Metro waren das Schärfste, was je die Garagen einer Rallye-Werkstatt verlassen hatte. Nun lungerten die wilden Tiere mit scharrenden Gummiwalzen in ihrem Käfig und rappelten an den Gittern, alle zusammen mühelos in der Lage bei konservativer Schätzung über fünfeinhalbtausend PS zu entfesseln, wenn man sie endlich freiließe.

Zugegeben, einige der Autos sahen deutlich biestiger aus, als sie waren. Die beiden Mazda RX7 mühten sich immer noch mit Heckantrieb und die nagelneuen Citroën BX, ja was war denn das? Hatte Audi mit dem kurzen Flügelmonster Quattro E2 schon mit teutonischer Gründlichkeit den Preis für das hässlichste Sportgerät der Moderne eingeheimst, bewies die französische Avantgarde, dass sich in der Kategorie visuelle Schmerzhaftigkeit durchaus noch eins draufsetzen ließ. Die viertürige Schräghecklimousine BX war im Versuch, die letzte Generation der DS abzulösen ohnehin optisch gescheitert, nun wollte man in Paris auch sportlich versagen. Nachdem man bei diversen Visa gar mit Doppelmotoren experimentiert und diverse Prototypen aus dem Boden gestampft hatte, stand da nun dieser weiße Riese mit seinen riesigen Überhängen und einem offensichtlich bei Audi abgeschauten Heckleitwerk.

Unter der Haube steckte im Prinzip der gleiche XU-Motor, wie ihn die Konzernschwester Peugeot für den 205 Turbo einsetzte, doch während das Weltmeisterauto längst die 500 PS-Marke hinter sich ließ, konnten die Citroën-Ingenieure ihrem Koffer gerade mal 380 PS abtrotzen. Irgendwer hatte entschieden, dass es ein Zweiventilkopf mit nur einer oben liegenden Nockenwelle auch tun müsse. Der BX4 TC genannte Neuling verfügte selbstverständlich als Kind seiner Zeit über permanenten Allradantrieb und als Kind der innovativen Vergangenheit des Konzerns auch in der Wettbewerbs-Ausgabe über ein hydropneumatisches Fahrwerk.

Asphalt-Haudegen Jean-Claude Andruet und WM-Frischling Philippe Wambergue kamen beim Debüt keine drei Prüfungen weit, dann waren beide BX mit Aufhängungsschäden ausgeschieden. Beim zweiten Versuch in Schweden holte Andruet immerhin Rang sechs, was weniger peinlich klingt als es ist, denn vor ihm landeten zwei seriennahe Gruppe-A-Audi, die knapp 200 PS weniger unter der Haube hatten. Nachdem man zur Erledigung elementarer Hausaufgaben die nächsten drei Läufe ausließ, tauchten die Franzosen in Griechenland wieder auf. Das überarbeitete Fahrwerk hielt noch kürzer als das bei der Monte, nach zwei Prüfungen waren die Citroën von der Bildfläche verschwunden. Wir widmen uns dem gescheiterten Gruppe-B-Neuling deshalb so ausführlich und greifen den Ereignissen schon weit vor, um das Thema an dieser Stelle auch sofort abzuschließen und nie wieder erwähnen zu müssen. Geistesgegenwärtig hatte jemand in der Zentrale den Stecker aus dem Projekt gezogen. Die BX tauchten nie wieder auf freier Wildbahn auf.

Ebenso schnell abhaken lässt sich das Kapitel MG. Zwar war Tony Pond bei der Premiere in der Heimat immerhin Dritter geworden, und diesen Rang belegte er zwischenzeitlich auch bei der Rallye Monte Carlo, doch das war eher ein Betriebsunfall als Leistung aus eigenem Vermögen. 1986 zeigte sich früh, dass der mit seinem gut fahrbaren Saugmotor gerüstete Zwerg für walisische Wälder eine halbwegs brauchbare Wahl war, doch bei Auswärtsspielen auf internationalem Parkett fehlte es so ziemlich an allem. Mit etwa 400 PS war der Dreiliter-V6 zu schwach, aber mangels Aufladung bereits ausgereizt. Das Fahrwerk hielt Rallyes vom Schlage einer Akropolis nicht stand. Es fehlte an allem: an Leistungsfähigkeit, an Zuverlässigkeit und nicht zuletzt an großen Namen auf den Fahrersitzen. Selbst wenn die MG-Mannen die Saison mehr oder weniger tapfer durchstanden und zur heimatlichen RAC-Rallye sogar sieben Autos entsandten, kam kein einziges gutes Resultat dabei raus.

Es blieben immerhin noch Peugeot, Lancia und Audi, und diese drei entfesselten beim Jahresauftakt ein nicht nur aus den Auspuffrohren mächtiges Feuerwerk. Henri Toivonen, der mit dem Delta S4 im Herbst 85 gleich einen Premieren-Sieg geholt hatte, stürmte auf der 44 Kilometer langen Chartreuse mit Kompressor- und Turbopower den Anderen auf und davon, nur Röhrl im über 500 PS starken Quattro konnte halbwegs folgen. Nach dem San Remo-Sieg herrschte auch im deutschen Lager trotz des ungeliebten Frontmotor-Konzepts wieder Zuversicht. Doch erneut kostete Schlamperei ein starkes Ergebnis. Auf einer furztrockenen Prüfung erlitt Röhrl einen Plattfuß, doch im Kofferraum fand sich nur ein Spike-Reifen als Ersatz. Fünfeinhalb Minuten gingen zum Teufel und damit auch alle Siegchancen. Weil Toivonen ebenfalls einen Platten fuhr und sich zudem einmal in der Reifenwahl vergriff, führte zeitweilig Weltmeister Timo Salonen, bis Lancia dank überlegener Pirelli-Gummis im Schnee der letzten Etappe zurückschlug. 40 Jahre nach Vater Pauli gewann wieder ein Toivonen in Monte Carlo.

Schon bei der Monte zeigten sich vier Dinge sehr deutlich. Erstens: Trotz unterschiedlichster Konzepte ist der Kampf an der Spitze ausgeglichen. Zweitens: Weil die Gruppe-B-Autos mit so extremer und ständig weiter entwickelter Technik antreten, versagen ständig irgendwelche Teile, was das Feld immer wieder durcheinander würfelt. Kostprobe gefällig? Markku Alén hat im zweiten Delta Fehlzündungen und am Ende einen Nockenwellenschaden, bei Teamkollege Massimo Biason gibt es neben dem Zündungsproblem auch Ärger mit der Bremshydraulik, am Ende fliegt der Italiener ab. An Kankkunens Peugeot schließlich arbeitet die Einspritzung nur unzureichend. In dieser Art geht es eigentlich das ganze Jahr weiter.

Das dritte zu erwähnende Phänomen ist ein Reifenkrieg, wie er bisher im Rallyesport unbekannt war. Zwischen Pirelli und Lancia sowie Michelin und Peugeot verlief die Frontlinie. Ständig buken die Reifenköche neue Pneus, mal mit anderer Rezeptur, mal mit größerer Breite. So schlug das Pendel mehrmals in diesem Jahr zur jeweils anderen Seite aus und sorgte für ein zusätzliches Überraschungsmoment, allerdings zum Preis einer horrend teuren Aufrüstung, und damit wären wir bei Punkt vier. Der Aufwand nahm mittlerweile derartige Dimensionen an, dass Lancia Henri Toivonen noch vor der letzten Monte-Etappe in einem Hubschrauber in die Berge flog, wo ein Delta S4-Trainigsauto auf ihn wartete, mit dem er die finalen Prüfungen noch einmal abfuhr.

Dennoch: Lancia vor Peugeot und Audi, das war ein hübsch buntes Ergebnis zum Auftakt, alle waren irgendwie bei der Musik gewesen und hatten am Ende was zu feiern. Das galt auch für das Publikum. Es ist zwar lediglich eine Legende, dass niemals mehr Zuschauer die Passhöhe des Col de Turini säumte als 1986, aber zugegebenermaßen stieg mit dem Ladedruck der Motoren auch das öffentliche Interesse am Rallyesport stark an.

Es waren die letzten unbeschwerten Wochen einer Ära, aber das wusste jetzt noch keiner, und so zog der Tross munter nach Schweden, um ein neues Fest zu feiern, und gar noch einen weiteren Neuling zu begrüßen. Ford war zurück - und wie! Nach dem im Keim erstickten Escort-Turbo-Projekt saß man immer noch auf 200 prima BDT-Motoren, drumherum zeichnete kein Geringerer als Brabhams Formel 1-Design-Guru Gordon Murray erste Skizzen, John Wheeler schließlich stellte eine Mittelmotor-Rakete namens RS200 auf die Räder, die dank optischem Schliff bei Ghia aussah, als wäre sie auf dem Weg zu den 24 Stunden von Le Mans. Um das Einsatzgerät möglichst unabhängig von irgendwelchen Serienautos und deren Modellwechseln und konzeptionellen Eigenheiten zu machen, wollte Sportchef Stuart Turner ein eigenständiges Modell.

Dachlinie und Scheiben sowie die Türen waren dem Sierra entlehnt, letztere allerdings 20 cm kürzer, weil der RS200 so flach war. Der Ford hatte alle Komponenten, die in diesen Tagen zum Siegen nötig waren und vielleicht sogar ein bisschen mehr. Um den Schwerpunkt abzusenken und die Gewichtsverteilung zu optimieren steckte das Hinterachsdifferenzial vorn schräg unter dem Motor. Die Kraftverteilung mit drei Visco-Sperren war selbstverständlich variabel, auf Schotter fuhr man mit 46 Prozent Kraft auf der Vorderachse, auf Schotter waren es 37 Prozent. Spaßeshalber ließ sich das Auto per Knopfdruck sogar auf reinen Hinterradantrieb umschalten.

Alle vier Räder waren wie bei Rennautos an doppelten Querlenker aufgehängt. Der RS200 hatte gigantische Federwege, die ihn für jedes Gelände tauglich machten. Die Dämpfung übernahmen rundum doppelte Dämpfer mit Schraubenfedern. Zur Verbesserung der Service-Freundlichkeit und besseren Kosten-Effizienz wurden an allen vier Aufhängungen nahezu identische Teile verwendet.

Der RS 200 zeigte sofort sein Potenzial. Neuzugang Stig Blomqvist konnte sowohl beim Debüt in Schweden als auch auf griechischem Schotter Bestzeiten fahren, allerdings rutschte der Weltmeister von 1984 auch gern mal in den Graben. Der Ford hatte drei Schwachpunkte: Das in Wabenbauweise gefertigte Chassis war verglichen mit der Rohrrahmen-Konkurrenz zu schwer, das Getriebe machte ständig Zicken, und dem Auto blieb nicht genug Zeit, um den Gegnern am Ende den Schneid abzukaufen.

Es war ausgerechnet ein Ford, der beim Auftakt des dritten Laufes in Portugal von der Strecke abkommt und in eine Menschenmenge rast. Drei Zuschauer sind sofort tot, mindestens ein weiterer stirbt später im Krankenhaus, letztendlich gab es nie offizielle Zahlen, was aus den 30 Verletzen wurde. Warum der dreimalige portugiesische Meister Joaquim Santos die Gewalt über sein Auto verlor, blieb ungeklärt. Mit einem Schlag rückte ein Thema in den Mittelpunkt, das Teams, Hersteller, die Sportbehörde FISA und die Veranstalter immer wie ein unabwendbares Naturschauspiel, wie Ebbe und Flut betrachtet hatten: die Sicherheit der Zuschauer.

Schon auf der Auftaktprüfung hatte Timo Salonen einen Kameramann abgeräumt und ihm das Bein gebrochen. Es war nicht das erste Mal in diesen Jahren, dass ein Fan das Wochenende in Gips beendete. Ein großer Teil der in nahezu voller Mannschaftsstärke angereisten Weltelite fuhr durch die unkontrollierten Menschenmassen längst mit gebremstem Schaum. Selbst nach der Katastrophe herrschte bei der FISA Ratlosigkeit. Eine „magische Lösung“, um dem Problem der Menschenmassen Herr zu werden, habe man nicht, schallte es trotzig aus Paris.

Stattdessen schob Sport-Präsident Jean-Marie Balestre den Autos alle Schuld zu. Die seien eben viel zu schnell. Dass ausgerechnet im Santos-Ford wegen eines Fertigungsengpasses mit neuen Getrieben lediglich ein abgespeckter Motor mit 350 PS zum Einsatz kam, interessierte den obersten Sportfunktionär kein Stück. Balestres Stellvertreter und Fahrtleiter Cesar Torres versuchte, seine Rallye zur Tagesordnung übergehen zu lassen, hatte aber die Rechnung ohne seine Stars gemacht. Die Werksfahrer rotteten sich in einem Hotel zusammen und waren sich schnell einig, dass man keineswegs gewillt war weiterzufahren. „Wir sind doch keine Mörder“, sagte Rädelsführer Röhrl.

Der bei einem Sportwagenrennen weilende Lancia-Sportchef Cesare Fiorio wies Teammanger Nini Russo an, seine teuer bezahlten Angestellten notfalls gewaltsam in die Autos zu verfrachten, doch der keine 1,70 Meter messende Italiener zuckte mit den Schultern und bekannte: „Ich bin doch nicht Schwarzenegger.“

Balestre war stinksauer über die Fahnenflucht der Fahrer, doch das Reglement sah in solchen Fällen keine Sanktionen vor, das Gleiche galt für das Thema Zuschauersicherheit. „Wenn keiner richtig weiter weiß, dann gründet man nen Arbeitskreis“, war schon damals ein bewährtes Motto.

Die Tragödie von Lagoa Azul und das zu erwartende Chaos bei der Rallye San Remo im Herbst brachte in diesem Jahr Dinge auf den Weg, die im modernen Rallyesport längst selbstverständlich sind. Der Veranstalter in Finnland richtete erstmals Sperrzonen an gefährlichen Stellen ein, der Automobilclub San Remo organisierte einen Hubschrauber, um die Prüfungen vor dem Start kontrollieren zu können, am Boden taten das nun Vorausfahrzeuge, die das Publikum warnten und im Notfall per Funk für einen Abbruch plädieren konnten.

Das alles spielte in Ingolstadt keine Rolle mehr. Dass seine Autos nicht mehr gewannen, war eine Sache, dass statt der Propagierung des technischen Vorsprungs Schlagzeilen mit von Audi-Fahrern ausgelöschten Menschenleben die öffentliche Meinung beherrschen könnten, war Konzernchef Ferdinand Piech zu viel. Nach fünfeinviertel Jahren verabschiedeten sich die Quattros über Nacht von der WM-Bühne.

Es kam noch schlimmer. Nachdem die hoch gezüchtete Allrad-Meute in Afrika wieder einmal vorgeführt hatte, wie anfällig unausgegorene Technik sein kann und zum dritten Mal in Folge gegen den simplen, aber unverwüstlichen Toyota Celica verloren hatte, ging es nach Korsika. Auf trockenem Asphalt konnten die Boliden mit ihren fetten Slickwalzen und vollem Ladedruck erstmals in diesem Jahr die ganze Breitseite schießen, und keiner hatte mehr Durchschlagskraft als Henri Toivonen im Delta S4. Nach zwei Etappen lag der Finne schon mit drei Minuten vorn, doch er fühlte sich nicht gut. Korsika war eine Marter, die Prüfungen regelmäßig über 30 Kilometer lang, nahezu keine Gerade zur Erholung. Vollgasstücke schmolzen bei 500 PS blitzschnell zu Spätbremszonen. Zudem waren die Pausen ziemlich kurz. Vor der Rallye hatten die Fahrer auf Streckenverkürzung plädiert, doch der FISA-Präsident schmetterte das Gesuch ab.

Toivonen laborierte an einer Erkältung und verbrachte die kurze Erholungsphase weitgehend im Lancia-Wohnmobil. Keine zwei Stunden später waren er und Beifahrer Sergio Cresto tot. In einer schnellen Linkskurve war der Lancia ohne den Versuch zu bremsen eine Böschung hinuntergestürzt und in eine Baumgruppe geschlagen. Das Auto stand sofort in Flammen, niemand konnte die Verunglückten retten.

Es gab nie eine sorgfältige Untersuchung über die Unfallursache, doch noch bevor eine solche hätte beginnen können, glaubte Jean-Marie Balestre die Lösung  gefunden zu haben. Der FISA-Chef bekannte, das Fass sei übergelaufen, die Gruppe B würde kraft seines Amtes zum 31. Dezember 1986 abgeschafft.

Es bestand für die meisten Insider kein Zweifel, dass die Autos zu schnell geworden waren. Allenfalls ein Dutzend Menschen auf der Welt war in der Lage, ein Auto, das auch im höchsten Gang auf trockener Straße noch mit durchdrehenden Rädern kämpft, im Zaum zu halten. Selbst den Ingenieuren wurde zuweilen mulmig, wenn sie mit einer neuen Evolution die nächste, noch stärkere Raketenstufe zündeten. Die Fahrer testeten und sprachen sich zuweilen freiwillig für die zahmere Lösung aus. Als Peugeot einen neuen Turbolader für die Rallye San Remo probierte, bekannte Beifahrer Juha Piironen: „Es war, als ob es dir die Augäpfel durch den Kopf in den Sitz drückte.“ Fahrer Juha Kankkunen entschied sich bei der Rallye für den kleineren Lader.

Auch das Spiel mit dem Feuer war den Beteiligten nur allzu geläufig. Ständig brannten die Autos. Bei Ford übte Testfahrer Malcolm Wilson sogar das schnelle Aussteigen, weil in den frühen RS 200 auch ohne Baumtreffer alle Nase lang die Flammen züngelten. Glühende Turbolader waren aus Platz- und Gewichtsgründen in nächster Nähe zu Benzintanks platziert. Beim Lancia lag das Spritreservoir unter den Sitzen. Zudem kam aus Gewichtsgründen immer mehr Kohlefaser zum Einsatz. Bei den Metallen war Magnesium der letzte Schrei, beides brennt wie Zunder.

Schon im Frühjahr 1985 hatte man bei der FISA darüber nachgedacht, nach Ablauf des für fünf Jahre geltenden Gruppe-B-Reglements deutlich restriktivere Regeln zu verfassen. Unter dem Namen Gruppe S sollten maximal 300 PS starke und mit schmaleren Reifen ausgerüstete Autos ohne massive aerodynamische Hilfen und ohne exotische Materialien aus der Taufe gehoben werden. Das „S“ stand für Silhouette. Die Karosse sollte in ihren Umrissen einem gängigen Serienauto entsprechen, um prototypische Auswüchse zu vermeiden. Im Prinzip nahm die Gruppe S in weiten Teilen das 1997 eingeführte Reglement für World Rally Cars vorweg, doch eingeführt wurde es nie.

Zunächst verklagte Peugeot die FISA wegen des administrativen Schnellschusses auf heute umgerechnet etwa 4,5 Millionen Euro. Schließlich galt das Gruppe-B-Regelwerk laut Statut noch bis Ende 1987. Doch die Sporthoheit verwies auf den bis heute beliebten Passus, in Sicherheitsfragen seien jederzeit Adhoc-Entscheidungen möglich. In zweiter Instanz verlor Peugeot vor Gericht, Sportchef Jean Todt wanderte mit seinen 205 Turbo ab in die Wüste, wo sein Team über Jahre die Paris-Dakar beherrschte.

Zuvor allerdings galt es noch, den letzten WM-Titel der Gruppe-B-Ära an Land zu ziehen. Ohne Toivonen und mit einem ständig an Defekten laborierenden und auch nicht jünger werdenden Markku Alén war Lancia letztendlich chancenlos. Es begann die Ära seines deutlich jüngeren Landsmannes Juha Kankkunen, der vom Neuling gleich zu einer Bank wurde. Mit drei Siegen in Folge zur Saisonmitte holte sich Kankkunen ein Polster, das auch zwei späte Siege von Alén nicht aufholen konnte.

Dennoch hieß der Weltmeister nach dem letzten WM-Lauf in den USA zumindest für elf Tage Markku Alén. Bei der Rallye San Remo hatte Lancia-Sportchef Fiorio den Sportkommissaren den Tipp gegeben, sich die Peugeot-Unterböden genauer anzusehen. Seit dem schlimmen Frühjahr waren alle Teile verboten, die eine Art Unterdruckeffekt erzielen konnten, und der 205 Turbo trug dort zwei Leisten, die laut der Ingenieure als Flankenschutz der Ölwanne gegen Steinschläge installiert waren. Obwohl die FISA nie Einwände erhob und die Peugeot bereits bei drei anderen WM-Rallyes anstandslos die technische Abnahme passiert hatten, zogen die italienischen Funktionäre die französischen Renner noch vor dem Ende der Veranstaltung aus dem Verkehr. FISA-Chef Balestre lag zwar mit Peugeot im Krieg, doch als gleichzeitiger Chef des französischen Motorsport-Verbandes FFSA sah er hier einen Eingriff in die Hoheitsrechte der Grande Nation. Monate später erklärte das Sportgericht die Disqualifikation für ungültig. Es blieb keine andere Wahl, als den italienischen WM-Lauf nachträglich zu annullieren.

Die Marken-WM hatte Peugeot schon zuvor in Finnland klar gemacht, nun war auch der Fahrer-Titel an einen Peugeot-Mann gegangen. Obwohl letztendlich allen klar war, dass es mit der Gruppe B nicht so weitergehen konnte wie bisher, obwohl die Autos mit ihren noch unausgegorenen Allradsystemen, den kleinen Rädern und schwachen Bremsen extrem schwer zu beherrschen waren, schwärmen die, die dabei waren, heute mehr von den frühen Achtzigern als jeder anderen Epoche. Ein Fahrer, der eine Rallye oder gar einen Titel gewann, konnte nicht nur Befriedigung daraus ziehen, alle anderen alt aussehen gelassen zu haben, er hatte scheinbar auch ein bisschen die Physik besiegt. Na gut, schon Münchhausen war auf einer Kanonenkugel geritten, aber selbst der berühmte Lügenbaron hätte sich wohl kaum die unglaubliche Geschichte ausgedacht, er hätte so ein Projektil mit Tempo 200 durch dunkle Waldschneisen gelenkt. „Je mehr Power du hast, desto mehr kommt es auf den Fahrer an. Die Gruppe-B-Autos waren Autos für die großen Jungs“, sagt Juha Kankkunen heute.

Als die WM 1986 vorbei war und das Gruppe-A-Zeitalter vor der Tür stand, setzte sich Kankkunens bisheriger Teamkollege Timo Salonen ans Steuer seines neuen Arbeitsgerätes. Es standen Tests für die Schweden-Rallye an, und der Weltmeister von 1985 schloss die Tür seines Mazda 323 4WD. Mit Turboaufladung und Allradantrieb galt der Mazda vor der neuen Saison als eines der Topautos der neuen Ära, sein 1,6 Liter-Motor entwickelte etwa 240 PS. Salonen drehte den Kopf zu Beifahrer Seppo Harjanne und fragte: „Sollen wir dazu überhaupt die Helme aufsetzen?“

Quelle: rallye - Das Magazin 09/2008

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