Das Mantaloch

Das Waterloo für Rallye-Rochen

Welche Wertungsprüfung kann schon von sich behaupten, gleich im ersten Jahr Geschichte zu schreiben, in einem Roman behandelt zu werden und neben dem Ministerpräsidenten auch die versammelte Bundespressekonferenz anzulocken? Weil morgen das Eifel-Rallye-Festival an jener berühmten Stelle startet, erzählen wir noch einmal die aufregende Geschichte des „Mantalochs“.

Bei der Entstehung des Mantalochs im Juli 1993 landeten sieben Opel Manta im Graben, unsere drei Fotomodelle aus einem Kölner Manta-Club blieben dagegen unversehrt

„Wenn im Lavawerk Dreis-Brück am Montagmorgen das Telefon nicht funktionierte, wussten die Arbeiter sofort: Am Wochenende war wieder Rallye“, erzählt Wolfgang Bürgel nicht ohne Stolz. Der 51-Jährige war viele Jahre lang Sportleiter der Rallye Oberehe und in dieser Funktion so etwas wie der geistige Schöpfer der WP „Mantaloch“, die eine einzige Kurve zur Legende machte.

Der ursprünglichen Streckenführung zufolge befinden wir uns bei Kilometer 2,52: Ein schmaler Wirtschaftsweg führt leicht bergauf und verschwindet an einer Kante im Nichts. Im Hintergrund ist der Gegenhang zu sehen. Links im Augenwinkel der erhöhte Zuschauerpunkt. Während die Zuschauer genau sehen, dass das Asphaltband an der Kante in einen quer verlaufenden Schotterweg (die Zufahrt zum Lavawerk) mündet, können die Fahrer das nur aus den Ansagen ihrer Copiloten entnehmen.

„Eigentlich ist die Kurve gar nicht so schwer“, meint Bürgel. Die Vergangenheit hat aber etwas anderes gelehrt: Die Kombination aus Versatz und Belagwechsel an dieser „blinden“ Kante bringt jedes noch so gut sortierte Auto in den instabilen Fahrzustand, der von Rallyefahrern meist geliebt, aber manchmal auch gefürchtet wird. Das Resultat kann ganz unterschiedlich ausfallen – vom perfekt auf den Schotter gemalten Drift bis hin zu jenen akrobatischen Fehltritten, die zunächst der Kurve und später der gesamten WP ihren heutigen Namen beschert haben. Und durch eben diese Fehltritte blieben die Telefone im benachbarten Lavawerk auch an einem Montagmorgen im Jahr immer stumm. Wer baut auch seinen Telefonmasten in den Außenbereich einer Kurve?

Mister Mantaloch: Als Sportleiter der Rallye Oberehe „entdeckte“ Wolfgang Burgel die neue Strecke mit dem gefürchteten Linksabzweig

Die Geschichte des Mantalochs begann vor etwas mehr als 20 Jahren. Am 24. Juli 1993 befuhr die Rallye Oberehe erstmals die scheinbar unscheinbare WP Brück. Auf einer Länge von 5,28 Kilometern wurde nur ein Zuschauerpunkt ausgewiesen, der (so der Original-Wortlaut aus dem Programmheft) „sehr zu empfehlen ist und Ihnen garantiert faszinierenden Rallyesport bietet“. Der Veranstalter sollte Recht behalten. Das erste Fahrzeug, was an der besagten Linkskurve in den Graben rutschte, war der Opel Manta mit der Startnummer 10. Allein sechs (!) Rüsselsheimer Artgenossen folgten seinem Beispiel, dazu einige Toyota, VW, Opel und sogar ein Lancia Delta. Der Gesamtsieg bei der Oberehe ging in jenem Jahr übrigens an – ja natürlich – einen Opel Manta. Ganz nebenbei: Die Entstehungsgeschichte gibt es auf Youtube zu sehen, einfach das Stichwort „Rallye Oberehe 1993“ eingeben.

Der Begriff „Mantaloch“ machte zunächst nur unter den Zuschauern der besagten Stelle die Runde und wäre vermutlich schon bald in Vergessenheit geraten, wenn Reinhold Jax, Brandmeister der angrenzenden Gemeinde Brück, im folgenden Jahr kein Pappschild mit der Aufschrift „Mantaloch“ an einem der Telefonmasten aufgehängt hätte. Somit wurde der Name Jahr für Jahr überliefert.

Wenig später sorgte die WP sogar außerhalb der Rallyeszene für Schlagzeilen. Schuld daran war der Journalist und Autor Michael Preute, der unter dem Pseudonym Jacques Berndorf die sogenannten Eifel-Krimis verfasste. 1997 brachte Berndorf den sechsten Band namens „Eifel-Rallye“ heraus. In dem Buch ging es zwar hauptsächlich um Morde im Zusammenhang mit dem Nürburgring, aber eine Passage spielte im Mantaloch. Und als der rheinland-pfälzischer Ministerpräsident Kurt Beck den Buchautor wenig später auf seiner Sommerreise im Mantaloch traf, war die WP plötzlich in aller Munde. Guido Senge zeigte dem Landesvater und dem Krimi-Autor am lebenden Objekt, wie man das Mantaloch in einer Toyota Celica 4WD sauber durchfährt, ohne dass das Lavawerk auf sein Telefon verzichten muss. Begleitet wurde all das von der versammelten Bundespressekonferenz und von einem Kamerateam des SWR. An diesem Tag stellte die Prüfung rund um das kleine Örtchen Brück sogar den 20 Kilometer nordöstlich gelegenen Nürburgring in den Schatten.

„Das Mantaloch war das Highlight der Rallye Oberehe“, erzählt Bürgel mit einem Schmunzeln. „Henk Vossen hat mal eine seiner teuren und geliebten Zigarren gegen seinen Erzrivalen Eddy van den Hoorn verwettet, weil er am Mantaloch langsamer war.“ Doch der Ruhm war nicht von Dauer. Wenig später sorgte ein „Sprudelkrieg“ zwischen den örtlichen Mineralwasserherstellern dafür, dass die Rallye Oberehe ihre bekannteste Wertungsprüfung aus dem Programm nahm.

Das Mantaloch war also frei und so „erbte“ die Eifel-Rallye die legendäre Wertungsprüfung rund um Brück. Die Veranstalter aus Daun verlängerten die Streckenführung für die DRM auf über zehn Kilometer. Die WP begann wie gehabt auf den schmalen Wirtschaftswegen östlich von Brück und führte dann durch das Mantaloch auf die ultraschnelle K65. Allerdings endete die Prüfung jetzt nicht mehr auf der Kreisstraße sondern bog noch einmal links ab: über schnelle Wirtschaftswege runter in einen Wald, dann ein Rechtsabzweig auf die breite und gut ausgebaute K59.

Genau diese Streckenführung wollten wir rund 20 Jahre nach der Entstehung des Mantalochs stilecht begutachten – und wie sollte das besser gehen als mit einem Manta-Club? Die Jungs und Mädels aus dem „Manta de Cologne e.V.“ kannten zwar die berühmten Spielfilme um den Rüsselsheimer Rochen, von einem Mantaloch hatten sie aber noch nie gehört. Die Annahme, jeder Manta-Fahrer hätte wegen der Erfolge in der Gruppe B zumindest ein bisschen Rallye im Blut, erwies sich als Irrglaube. Die Club-Vorsitzende Kirsten Crombach (41) ließ schon vorab eine Warnung durchklingeln: „Sie sollten wissen, dass unsere Autos sehr tief liegen. Ich weiß nicht, ob wir die Feldwege mit unseren Autos befahren können.“

Okay. Also blieb die E-Mail mit dem Hinweis auf das Youtube-Video erst einmal im Postausgang. Nicht dass uns die Manta-Freunde noch in letzter Minute abspringen. Kirstens Warnung war letztlich aber mehr als begründet, denn die Frontschürze von ihrem weißen Manta GSi war näher am Boden als die Ferse von Paris Hilton in ihren Lieblings-High-Heels. Und der „Viole(n)t Racer“ ihres Mannes Jonny Schwanke (35) lag auch nur eine Daumenbreite höher. Das Befahren des Mantalochs war für diese beiden Tiefflieger selbst im Schritttempo unmöglich. Immerhin liefen wir so keine Gefahr, einen der Rochen aus dem nach ihm benannten Loch fischen zu müssen.

Die restliche WP Mantaloch ab Kilometer 2,52 war hingegen kein Problem für die sympathische Manta-Truppe, die letztlich doch noch ein bisschen Gefallen am Rallyesport fand. „Mal eine Rallye zu fahren würde mich schon reizen, aber sicher nicht mit so einem schönen Auto“, brachte Jonny die Einstellung der Kölner Manta-Freunde auf den Punkt.

Aber nicht jeder Manta-Fahrer nimmt so viel Rücksicht auf sein Auto. Am 25. Juli – exakt 20 Jahre und einen Tag nach der Entstehung des Mantalochs – werden fünf der Gruppe-B-Schleudern aus Rüsselsheim diese WP im Rallyetempo in Angriff nehmen. Das Eifel Rallye Festival veranstaltet seinen Shakedown erstmals auf der legendären Wertungsprüfung und verwandelt den Ortsteil Brück am Donnerstagabend zum Rallyedorf. Auch für die Arbeiter im Lavawerk ist das etwas Neues. Vielleicht stehen die Telefone zum ersten Mal in 20 Jahren an einem Freitagmorgen still.

Diese Geschichte erschien in "rallye - Das Magazin", Ausgabe 7/8 2013

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