Jubiläum bei Audi

30 Jahre quattro

Die quattro-Technologie von Audi feiert Jubiläum: Am 3. März 1980 stand der erste Audi quattro im Scheinwerferlicht des Genfer Automobilsalons.

Walter Röhrl und Christian Geistdörfer im Audi Sport quattro Rallye von 1984

Die Technik des quattro
Wie viel Leistung verkraftet der Frontantrieb? Um diese Frage ging es im Winter 1976/77 bei den Testfahrten von Audi-Entwicklern in Schweden. Die getarnten Prototypen mit ihren 170 PS starken Fünfzylindermotoren schlugen sich tapfer. Aber sie blieben ohne Chance gegen ein hochbeiniges Gefährt mit 75 PS, das einen zuschaltbaren Allradantrieb besaß – der Militärgeländewagen Iltis, den Audi als Nachfolger des Munga entwickelte.

 

Ein Auto, das seine Antriebskräfte auf alle vier Räder verteilt, kann an jedem Rad mehr Seitenführungskraft aufbauen als ein Fahrzeug mit Heck- oder Frontantrieb. Seine Traktion und sein Kurvenverhalten sind überlegen. Ein sportlicher Audi-Pkw mit permanentem Allradantrieb und ordentlich Leistung – das müsste es doch eigentlich sein, dachten die Ingenieure.

 

Das Projekt startete im Frühjahr 1977 als „Entwicklungsauftrag 262“. Seine Väter waren drei junge Ingenieure: Entwicklungsvorstand Dr. Ferdinand Piëch, Walter Treser als Projektleiter und Jörg Bensinger, der Leiter des Bereichs Fahrwerk­versuch. Der Prototyp hieß intern A1 – es war ein modifizierter Audi 80 der ersten Generation mit leicht gestrecktem Radstand und dem Turbo-Fünfzylinder des künftigen Typs 200. Als Hinterradaufhängung diente eine zweite Mc-Pherson-Vorderachse, um 180 Grad gedreht.

 

Bei Fahrten auf der tief verschneiten Turracher Höhe in der Steiermark im Januar 1978 spielte der Versuchsträger mit dem Kennzeichen IN - NC 92 seine Stärken in Sachen Traktion überzeugend aus. Das entscheidende Okay kam vom Volkswagen-Vorstandsvorsitzenden Toni Schmücker im Mai 1978. Einer der Projektingenieure kannte einen steilen Wiesenhang in Stammham bei Ingolstadt. Die örtliche Feuerwehr wässerte den Hang von oben bis unten ein. Schmücker setzte sich in den A1 und fuhr spielend leicht bis ganz nach oben.

 

Die Ehefrau von Volkswagen-Entwicklungsvorstand Ernst Fiala indes, die den A1 im Wiener Stadtverkehr bewegte, monierte Verspannungen in engen Kurven: „Der Wagen hüpft“, sagte sie. In Kurven befahren die vorderen Räder einen etwas größeren Bogen als die hinteren, deshalb müssen sie in der Lage sein, sich schneller zu drehen. Beim Prototyp war das nicht möglich, weil seine Achsen starr miteinander verbunden waren. Die Audi-Entwickler konzentrierten sich vor allem auf zwei Ziele: Der Allradantrieb sollte permanent sein, und er musste ohne ein separates Verteilergetriebe samt zweiter Kardanwelle nach vorne auskommen.

 

 

Die Hohlwelle – der Geniestreich von Audi
Franz Tengler, Abteilungsleiter in der Getriebekonstruktion, hatte eine Idee, die so einfach wie zielführend war: eine 263 Millimeter lange, hohl gebohrte Sekundärwelle im Getriebe, über welche die Kraft in zwei Richtungen floss. Von ihrem hinteren Ende aus trieb die Welle den Käfig des manuell sperrbaren Mittendifferenzials an. Das Differenzial sandte 50 Prozent der Kraft über die Kardanwelle an die Hinterachse, die ihrerseits über ein eigenes Sperrdifferenzial verfügte. Die andere Hälfte des Antriebmoments gelangte über eine Abtriebs­welle, die in der hohlen Sekundärwelle rotierte, zum Differenzial der Vorderachse.

 

Die Hohlwelle ermöglichte einen Allradantrieb, der praktisch verspannungsfrei, leicht, kompakt und effizient im Wirkungsgrad war. Das elegante quattro-Prinzip eignete sich – und das war der entscheidende Durchbruch – nicht mehr nur für langsame Geländewagen und Lastwagen, sondern ganz speziell für sportliche, schnelle Pkw und dort für die Fertigung in großen Serien. Am Ende blieb nur noch eine Frage offen – die Frage nach dem Namen für das neue Auto. Als Vorschlag lag „Carat“ auf dem Tisch, als Abkürzung für Coupé All Rad Antrieb Turbo. Projektleiter Treser hatte die bessere Idee – der quattro war geboren.

 

Der erste Audi quattro
„Wir wollten ein Auto symbolisieren, das an der Erde festgewachsen ist. Es sollte nicht die Eleganz, sondern sein Können in den Vordergrund bringen. Dieses formale Konzept hat sich als gut, richtig und ehrlich durchgesetzt.“ sagte Hartmut Warkuß, der damalige Designchef, über den ersten quattro.

 

Vom Audi 80 Coupé abgeleitet, aber in eine Karosserie mit scharfen Kanten gekleidet, stand der weiß lackierte Zweitürer am 3. März 1980 in einer Eislauf­halle nahe beim Genfer Messegelände, auf einer erhöhten Drehscheibe, mit einem Blumen-Arrangement dekoriert. Der Fünfsitzer wies kompakte 2.524 Millimeter Radstand und 4.404 Millimeter Länge auf. Entwicklungsvorstand Dr. Ferdinand Piëch war sich der Bedeutung des Ereignisses vollauf bewusst. Seine Rede endete mit dem Satz: „Der Allradantrieb im Straßen-Personenwagen hat hiermit Premiere.“

 

147 kW (200 PS) und 295 Nm – die Fahrmaschine Audi quattro
Der Audi quattro war eine konsequente Fahrmaschine. Als Antrieb diente ein musikalisch röhrender Fünfzylinder-Turbo, typisch Audi vorn längs eingebaut. Der Zweiventiler hatte 2.144 cm3 Hubraum, mit 0,85 bar Ladedruck und Ladeluftkühlung gab er 147 kW (200 PS) und 285 Nm Drehmoment ab. Der quattro, knapp 1,3 Tonnen schwer, spurtete in 7,1 Sekunden von null auf 100 km/h und erreichte etwa 220 km/h Topspeed. In seinem Grundpreis von 49.900 Mark, damals eine stolze Summe, waren geschmiedete Räder im Format 6 J x 15 mit Reifen der Serie 225/50, Sportsitze und Nebelscheinwerfer enthalten.

 

Die Produktion startete Ende 1980 – in der Einzelfertigungshalle N2 in Ingolstadt, vornehmlich in Handarbeit. Anfangs hatte Audi nur eine Kleinstserie von 400 Stück geplant, die zur Homologation des Wettbewerbsautos für die Rallye-WM dienen sollte. Doch das revolutionäre Antriebskonzept und die hohe Dynamik faszinierten die Öffentlichkeit vom ersten Tag an, die Marke konnte die Nachfrage nur mit Mühe befriedigen. Als die Baureihe im Mai 1991 endgültig auslief, wurden 11.452 Exemplare gezählt.

 

Über die elf Jahre hinweg ließ Audi dem quattro liebevolle Pflege angedeihen. Das Interieur gewann nach und nach an Komfort, ohne seinen strikt funktionalen Charakter zu verlieren. Das Cockpit erhielt Digitalanzeigen im Stil der Zeit und zeitweilig eine akustische Funktion für Warnhinweise; Patricia Lipp, die Verkehrsfunk-Sprecherin des Bayerischen Rundfunks, lieh ihm ihre Stimme. Auch das Fahrwerk – Querlenker, McPherson-Federbeine und Scheibenbremsen rundum – wurde immer wieder verfeinert, unter anderem mit einem Antiblockier­system.

 

1984 erschien der in Länge und Radstand verkürzte Sport quattro als Homologationsmodell des neuen Rallyeautos. Sein neu entwickelter Vierventil-Turbomotor mit dem Aluminium-Kurbelgehäuse brachte es auf 225 kW (306 PS), Kevlar- und andere Leichtbaumaterialien senkten das Gewicht der Karosserie. Der Kaufpreis des „Kurzen“, wie der Sport quattro in der Öffentlichkeit genannt wurde, sorgte für hohe Exklusivität, er betrug 203.850 D-Mark. Audi baute 224 Exemplare von diesem Supersportwagen. In zivilerer Form – mit 220 PS – zog die Vierventiltechnologie 1989 in die Serie ein.

 

Die wichtigste Neuerung kam im Spätsommer 1987. Damals erschien nicht nur ein im Hubraum minimal vergrößerter Motor, der weiterhin 200 PS leistete, sondern auch das so genannte Torsen-Differenzial; das Schneckenradgetriebe ersetzte das manuelle Sperrdifferenzial. Der Begriff Torsen war aus den englischen Wörtern torque (Drehmoment) und sensing (fühlend) gebildet. Das Getriebe verteilte die Antriebskräfte je nach Bedarf stufenlos; es schickte bis zu 75 Prozent der Momente auf die Achse mit der besseren Traktion. Dank des Torsen-Differenzials, das seine Sperrwirkung nur unter Last entwickelt, blieb das Antiblockiersystem immer wirksam.

 

 

Die quattros im Motorsport
Die Idee vom Rallyewagen war bei Audi ebenso so alt wie das Konzept des Serien-quattro – schon 1977 begann sie sich in den Köpfen festzusetzen. Mit einem frontgetriebenen Audi 80 tasteten sich die Ingolstädter an die Rallye-WM heran; mit diplomatischem Geschick brachten sie die Regelhüter dazu, den Allradantrieb zu akzeptieren. Die ersten quattro-Wettbewerbsautos wurden 1980 als Prototypen getestet. Im selben Jahr gewann der von Audi entwickelte und eingesetzte VW Iltis die Rallye Paris-Dakar, mit vier angetriebenen Rädern.

 

In den ersten Tagen des Jahres 1981 brach Audi über die damals noch eher beschauliche WM-Szene herein wie eine Naturgewalt. Der quattro, damals 310 PS stark, gab sein Debüt bei der Jänner-Rallye in Österreich, die nicht zur WM zählte. Lokalmatador Franz Wittmann gewann auf Anhieb, sein Vorsprung auf den Zweitplazierten betrug mehr als 20 Minuten.

 

Auch bei seiner WM-Premiere, der Rallye Monte Carlo, stellte der quattro seine Überlegenheit unter Beweis. Auf Schnee, unter idealen Bedingungen, gewann Hannu Mikkola die ersten sechs Sonderprüfungen, erst ein Unfall bremste ihn. Bei der folgenden Schweden-Rallye holte der Finne den ersten Sieg. Die Französin Michèle Mouton gewann in San Remo als erste Frau einen WM-Lauf, Mikkola setzte sich noch einmal bei der RAC-Rallye durch. Am Ende des Audi-Premierenjahrs stand er auf Rang drei in der Fahrer-WM.

 

Schon 1982 war der quattro praktisch nirgends mehr zu schlagen, Audi setzte mit sieben Siegen neue Maßstäbe und holte sich die Markenwertung souverän. Mouton gewann in Portugal, Griechenland und Brasilien; erst ein Ausfall im vorletzten Lauf an der Elfenbeinküste kostete sie den Fahrertitel. Den stellte Hannu Mikkola 1983 mit Siegen in Finnland, Schweden, Argentinien und Portugal sicher.

 

Dreifachsieg bei der „Monte“ – der Start in die Saison 1984
Auch das folgende Jahr begann mit einem Triumph. Der frisch verpflichtete zweifache Weltmeister Walter Röhrl gewann die Rallye Monte Carlo vor seinen Teamkollegen Stig Blomqvist (Schweden) und Hannu Mikkola. Im Ziel gratulierte Co-Pilot Christian Geistdörfer seinem Chauffeur mit den Worten: „Weißt du, dass du noch nie in deinem Leben so schnell gefahren bist?“ Am Ende der Saison dominierte Audi die Markenwertung erneut mit sieben Siegen; fünf von ihnen gingen auf das Konto Blomqvists, der vor Mikkola Fahrer-Weltmeister wurde.

 

1984 war jedoch auch das Jahr, in dem der Rallyesport in eine neue Umlaufbahn abhob. Die Wettbewerber nutzten das extrem liberale Reglement der damaligen Gruppe B und brachten Mittelmotorautos an den Start, die als reine Funktions­maschinen kaum noch Bezug zum Serienbau hatten. Auch in Ingolstadt erwog man, auf ein ähnliches Konzept umzurüsten; ein Prototyp entstand. Zuletzt jedoch wurde das Projekt verworfen – der Motor blieb vorne längs im Motorraum festgeschraubt.

 

Die neue Waffe von Audi war der Sport quattro mit nur 2.224 Millimeter Radstand – der Versuch, das Auto durch die drastische Verkürzung von 300 Millimeter leichter und wendiger zu machen. Der „Kurze“ wurde ab Mai parallel zum alten Auto eingesetzt, kam jedoch nur langsam in Schwung. Erst im vorletzten Lauf an der Elfenbeinküste holte Blomqvist den ersten Sieg. Audi musste weiter nachlegen.

 

Am 1. Juli 1985 erfolgte die Homologation der letzten Evolutionsstufe, des S1. Er schrieb sich mit großen Buchstaben in die Historie des Rallyesports ein, wegen seines extremen Charakters. Der Alu-Fünfzylinder gab offiziell 350 kW (476 PS) und 480 Nm Drehmoment ab; mit einem Ladeluft-Umluftsystem, das den Turbo ständig unter Dampf hielt, dürften es über 370 kW (gut 500 PS) gewesen sein, die bei etwa 8000 1/min zur Verfügung standen.

 

Mit der mittleren Übersetzung katapultierte sich der 1.090 Kilogramm schwere S1 in 3,1 Sekunden auf Tempo 100 und in 11,8 Sekunden auf 200 km/h. Beim Gaswegnehmen schossen meterlange Feuerlanzen röhrend aus dem Auspuff. „Es ist wie der Ritt auf einer Gewehrkugel“, sagte Walter Röhrl, „wie eine Explosion. Alles geht so unfassbar schnell, dass du mit dem Denken schon zu langsam bist.“

 

 

Das erste Doppelkupplungsgetriebe – Hightech im S1
Für den quattro-Antriebsstrang standen verschiedene Differenziale zur Wahl – Lamellen-, Torsen und konventionelle Sperren. Beim letzten Saisonlauf, der britischen RAC-Rallye, hatte Walter Röhrl ein Doppelkupplungsgetriebe zur Verfügung, das über einen langen Stock pneumatisch geschaltet wurde – ein Vorläufer der heutigen S tronic.

 

Als Chassis diente ein mit Stahlblech und Kunststoff beplankter Gitterrohrahmen; der Gewichtsverteilung zuliebe saßen Kühler, Lüfter, Batterie und Lichtmaschine im Heck. Riesige Flügel schaufelten auf schnellen Strecken Luft aufs Auto, die Bremsen konnten mit Spritzwasser gekühlt werden. Walter Röhrl hat es hinterher so formuliert: „Den quattro mit dem schweren Motor vorn in die Kurve zu zwingen, war für mich wie ein Spiel mit dem Holzhammer. Aber dafür gab es diese unbeschreibliche Traktion, und diese Faszination hat mich nie mehr losgelassen. Vierradfahren – das ist das Größte für mich.“

 

Doch die Pulverdampf-Tage der Gruppe B waren bereits gezählt, das gewaltige technische und organisatorische Wettrüsten hatte die Rallyewelt verändert. Auf den schmalen Straßen, wo es an gähnenden Abgründen entlang ging, über blankes Eis, harten Schotter und schmierigen Asphalt, hatte die gewohnte Physik Risse bekommen; bislang vertraute Kurven wurden eng und tückisch. Und die Fans in Südeuropa, in eine hysterische Euphorie getrieben, machten alles noch gefährlicher. Wie bei einer Stierhatz standen sie an oder auf den Pisten, sprangen erst in der letzten Sekunde zur Seite.

 

Das Ende der Gruppe B zeichnete sich im Frühjahr 1986 ab, als bei den WM-Läufen in Portugal und Korsika drei Zuschauer und zwei Teilnehmer durch Unfälle ums Leben kamen. Audi, ohnehin nur mit einem Rumpfprogramm unterwegs, zog sich aus der Serie zurück. Das neue Mittelmotor-Auto, für die geplante Gruppe S entwickelt, kam nicht mehr zum Einsatz; der Weltverband FISA beschloss den Umstieg auf das seriennahe Gruppe-A-Reglement. 1987 fuhr Audi noch einige Rallyes mit, Mikkola gewann die Safari vor Röhrl auf einer Familienlimousine, dem Audi 200.

 

Dem S1 aber blieb noch ein allerletzter Triumph vergönnt: 1987 stürmte Walter Röhrl mit 440 kW (etwa 600 PS) Leistung die 156 Kurven des Pikes Peak in Colorado/USA hinauf auf 4.301 Meter Höhe. Viermal brachte er sein Sportgerät, bei dem ein gewaltiges Flügelwerk den Abtrieb erhöhte, auf der 19,99 Kilometer langen Sand- und Schotterpiste in den sechsten Gang, an der schnellsten Stelle wurde er mit 196 km/h gemessen.

 

Nach den Siegen von Michèle Mouton und Bobby Unser feierte Audi damit den dritten Erfolg in Serie bei dem großen amerikanischen Bergrennen, dem „Race to the Clouds“. Röhrls Zeit von 10:47,85 min toppte Unsers Streckenrekord vom vergangenen Jahr um mehr als 21 Sekunden.

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