Die Geschichte der Gruppe B - Teil 2


Der Peugeot basierte auf einem kleinen Monocoque mit angeschweißtem Rohrrahmenkäfig. Das Fahrwerk war wie bei einem Rennauto an doppelten Dreieckslenkern aufgehängt. Die Karosserie bestand aus großen Kunststoffteilen, die sich komplett abnehmen ließen, um den Mechanikern gute Zugangsmöglichkeiten zu allen Teilen zu gestatten. Schließlich hatte der 205 ebenfalls Allradantrieb, doch anders als beim Audi war die Kraftverteilung variabel. Um das lästige Kurveneingangs-Untersteuern aller Allradler zu unterbinden, fuhr der Peugeot mit weniger Kraft an der Vorderachse. Kurzum: Der Renner der Franzosen war von vorn bis hinten ein nahezu perfekt zu Ende gedachtes Gerät. Bei einem ersten heimlichen Test auf einer San-Remo-Prüfung im Dezember 1983 war der schon etwas betagte Testfahrer Jean-Pierre Nicolas im Dunkeln und im Regen auf Anhieb schneller als Stig Blomqvist auf trockener Straße am helllichten Tag.

Weil Jean Todt Röhrl nicht kriegen konnte, hatte er Ari Vatanen vom langsam sinkenden Schiff Opel geholt. Für Cesare Fiorio hieß das Motto: Willkommen in der neuen Welt!

Vatanen, der nicht gerade als Asphalt-Spezialist galt, führte nach einem Tag in Korsika mit fünf Minuten Vorsprung vor dem schnellsten Lancia. Zwar verlor er durch einen Reifenschaden zwischendurch einen Haufen Zeit, holte sich die Führung aber mühelos zurück, und sicher hätte es einen überlegenen Auftakt-Sieg gegeben, wenn Vatanen nicht auf einer Pfütze ausgerutscht wäre. Der 205 überschlug sich fast ein halbes Dutzend Mal. Vatanen brach sich die Schulter an, und das Auto brannte komplett aus. Der eigentlich schon als Frührentner geltende Nicolas gondelte lässig auf Rang vier - vor Stig Blomqvist im besten Quattro.

Dass der bestens durchdachte neue Peugeot den fast vier Jahre alten Audi schlagen würde, war keine Überraschung, allerdings war der Schweden-Quattro eigentlich bloß das zweite Eisen, das die Ingolstädter im Feuer hatten. In Korsika debütierte nämlich noch ein weiteres brandneues Auto. Audi-Chef Ferdinand Piech war es satt, dass sein doch so überlegenes Antriebskonzept nicht verhindern konnte, dass die Fahrer im langen Quattro in engen Spitzkehren zuweilen zurücksetzen mussten, um nicht das Mäuerchen am Außenrand zu rasieren.

Doch anders als Peugeot, wollte Piech keinen Prototypen mit Mittelmotor als Basis nehmen. Es hatte ein ordentlicher Quattro mit dem gleichen Antriebskonzept wie in der Serie zu sein. Piech war der einzige, der die Ansicht vertrat, dass es dem Audi lediglich an ein bisschen mehr Wendigkeit und dem Motor an einem breiteren Drehzahlband fehlte, doch er war der Boss, und so stand auf der IAA in Frankfurt im Herbst 1983 der 4,16 Meter kurze Sport Quattro mit immer noch vor der Vorderachse hängenden Fünfzylinder.

Die Ingenieure hatten einfach hinter der B-Säule 32 Zentimeter aus dem langen Quattro herausgesägt, und dann das Heck wieder angeklebt – so sah es jedenfalls aus. Tatsächlich war der Sport Quattro mit seinem von 2,52 auf 2,20 Meter verkürzten Radstand so wendig, dass er selbst auf den Geraden Kurven fahren wollte. Am Kurveneingang untersteuerte er dennoch durch den langen Überhang vorn vehement, um in der Kurvenmitte überfallartig das Heck raushängen zu lassen. Röhrl, der nicht zuletzt bei Audi unterschrieben hatte, weil ihn der Job als Entwicklungsfahrer reizte, hatte am Lenkrad alle Hände voll zu tun. Von Anfang an glaubte der Überfahrer nicht an das Konzept, doch - Audi Übervater Piech blieb stur.

Am Ende ließ Röhrl das Fahrwerk knüppelhart machen, um die starken Nickbewegungen der Front einzudämmen, so ließ sich das Auto halbwegs fahren. Dazu musste sich der sonst immer wie ein Rennfahrer sauber auf der Ideallinie balancierende Bayer einen deutlich rustikaleren Fahrstil angewöhnen. Wenn man wie Blomqvist das Auto in die Kurve warf, zeigte die Schnauze auch schneller in die gewünschte Richtung

Immerhin sank das Leistungsgewicht dank einer nur 34 Kilo schweren Kevlar-Karosserie und einem stärkeren Motor gegenüber dem langen Quattro von 2,7 auf 2,1 Kilogramm pro PS. Das Erfreulichste am neuen Auto war der Motor. Der bewährte Fünfzylinder hatte nun einen Vierventilkopf mit höherer Verdichtung. Durch die größeren Einlassquerschnitte hatte der kurze Quattro aus dem Stand 400 PS. Nach kurzer Zeit schraubte man die Leistung auf 450, und Röhrl sagte: „Ich wünschte, es ginge immer nur bergauf.“

Doch schon beim Debüt ging es eher bergab. Nachdem man zuvor reichlich auf Korsika getestet hatte, und die Kinderkrankheiten überschaubar schienen, gab der eigens angereiste Ferdinand Piech grünes Licht für den Start, doch schon in der ersten Prüfung sackte der Öldruck in den Keller. Früh strandete Röhrl mit Motorschaden.

Auch beim zweiten Auftritt in Griechenland streikte der Motor, nachdem erst ein durchgescheuertes Kabel für Stille sorgte und später ein zerbröselndes Ausrücklager der Kupplung einige Sensoren am Schwungrad zerschossen hatte. Immerhin lag man zwischenzeitlich mal kurz in Führung vor Vatanen. Auch der Peugeot litt an Defekten. Ein eingedrückter Unterboden beschädigte die Ölpumpe, der Turbo ging ohne Schmierung in den Streik. Bei Nicolas gab eine Antriebswelle auf, und eine Bremsscheibe brach. Die knüppelharte Rallye in Griechenland war die letzte Gelegenheit bei der sich das Bewährte gegen das Neue durchsetzte. Blomqvist und Mikkola fuhren einen Doppelsieg auf den langen Quattros ein.

Lancia gab spätestens jetzt jede Hoffnung auf die Marken-WM auf. Es gab noch einen halbherzigen Versuch, den löwenhaft kämpfenden Alén im Rennen um die Fahrerkrone zu halten, doch in Neuseeland und Argentinien, wo Peugeot nicht antrat, siegten die Quattros ohne Mühe. Hannu Mikkola konnte es sich gar leisten, aus reiner Bequemlichkeit ohne Training in Argentinien zu starten. Beifahrer Arne Hertz nahm einfach den Aufschrieb von Blomqvist-Beifahrer Björn Cederberg. Den Schweden war die Fahrer-WM kaum noch streitig zu machen, und auch die Marken-Krone für Audi war nur noch Formsache.

Der kurze Quattro bekommt Unterluft

Und doch trug die auf den Ergebnislisten triumphal erscheinende Saison für die Ingolstädter einen Makel. Sieben Siege in zwölf Läufen gingen an die Marke mit den Ringen, aber es blieb am Ende das Gefühl, gerade noch rechtzeitig davon gekommen zu sein. Trotz des neuen Sport Quattro stand Audi plötzlich als der Revolutionär da, der von seinen Kindern gefressen wird.

Als die Reise nach Finnland ging, wo Lokalmatador Mikkola erstmals im kurzen Quattro saß, realisierte der Lokalheld schnell, dass er nicht auf einem Siegerauto saß. Weil das neue Auto keinen richtigen Frontspoiler besaß, bekam die Nase auf den schnellsten Prüfungen Europas reichlich Unterluft. Bei den weiten Sprüngen hob der Kurze ab, als wolle er direkt in den Himmel fliegen. Zum verkürzten Radstand meinte Mikkola lapidar: „Man hätte besser den langen Quattro behalten und ihm den Motor des kurzen eingebaut.“

Derweil erledigte Ari Vatanen im Peugeot seelenruhig einige Abstimmungsarbeiten am Bilstein-Fahrwerk seines Peugeot. Als der kleine Renner fuhr, wie der große Finne wollte, deckte Vatanen die Konkurrenz mit einem Bestzeitenhagel ein und gewann mühelos. Da standen sie die Herren Mikkola und Alén, die sich wie Kinder im Sandkasten zwei Tage um ein Schäufelchen stritten, während neben ihnen der große Bruder mit dem Bagger ein Loch riss, in dem sie beide verschwanden.

Es war ein Zustand, an den man sich gewöhnen musste. Auch in San Remo und bei der RAC-Rallye in Großbritannien fuhr Vatanen mehr Bestzeiten als der Rest des Feldes zusammen und gewann. In Wales konnte er sich gar einen Abflug leisten, eine Antriebswelle tauschen und das Loch zu Mikkola im langen Quattro dennoch trotz über sechs verlorener Minuten mit Leichtigkeit zufahren.

Bei Audi war man durchaus nicht untätig gewesen. Der kurze Quattro hatte seit San Remo im Herbst ein Umluftsystem, das den Lader auch am Laufen hielt, wenn die Fahrer nicht gerade feste aufs Pedal raten. Plötzlich ging die Post schon bei 3700 Touren ab und nicht erst bei 6000. Beim Testen vor der Rallye dachte Röhrl erst, man hätte ihm den Drehzahlmesser falsch eingebaut. „Der beste Motor, den ich je hatte“, schwärmte er, und war auf den anfänglichen Asphaltprüfungen sogar schneller als Vatanen. Doch auf Schotter war der Finne unschlagbar, und das Duell der Giganten fand sein Ende auf einer Riesenpfütze. Beide Kontrahenten rutschten nach schweren Regenfällen bei Tempo 150 auf überfluteter Piste aus. Vatanen kam irgendwie mit einem Dreher und leichten Blessuren am Auto davon. Röhrl hinterließ  Wrackteile auf 200 Metern, kein Rad war mehr am Quattro.

Der Deutsche hatte sich schon vor dem Abflug bei nahezu irregulären Verhältnissen unwohl gefühlt, denn im Rallye-verrückten Italien verschärfte sich ein Problem, dass der Rallyesport gerade in den südlichen Ländern schon seit Jahren tatenlos mit sich herumschleppte, und das rächte sich nun. Wegen eines klemmenden Gaspedals war Röhrl schon zu Beginn kurz rausgesegelt und hatte einem Zuschauer das Bein gebrochen. Ein Italiener fuhr mit einem Citroën Visa zwei Fotografen um. Wieder gab es gebrochene Knochen. Hatte man die mitten auf der Strecke stehenden Massen früher immer als eine Art Folklore abgetan, eine lokale Eigentümlichkeit wie Staub in Portugal oder Schlamm in Kenia, wurde es den Fahrern nun zunehmend mulmig.

Die neuen Autos waren einfach zu schnell. Mit nie da gewesener Geschwindigkeit schoss man auf die Menge zu, die sich kurz teilte, um den Boliden passieren zu lassen, dann wieder in die Straßenmitte eilte, um keine Zehntelsekunde des Anblicks zu verpassen, wenn vier fette Slicks dicke schwarze Streifen auf den Asphalt malen und meterlange Flammenzungen aus dem Auspuff schießen.

Kein Wunder, die Autos waren breit und böse, machten einen tollen Lärm und konnten dank ihrer Kraft sogar auf Asphalt driften wie auf Schotter. Wegen des wüsten Fahrstils, den gerade der Sport Quattro erzwang, staunte Walter Röhrl nicht schlecht, dass er nun zum Publikumsliebling wurde. Seinen eigentlich bevorzugten Fahrstil empfanden viele Fans zuvor als eher unspektakulär.

Doch das Zuschauerproblem trat schnell wieder in den Hintergrund. Schließlich hatte man ein spektakuläres, Jahr hinter sich, und alles freute sich schon auf das nächste. Die Saison 85 versprach ein tolles Duell zwischen Peugeot und Audi. Lancia und MG Rover schraubten bereits an weiteren verrückten Geräten. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn sich der Wahnsinn nicht noch steigern ließe.

Schalten Sie auch nächsten Teil wieder ein, wenn es heißt: Her mit den kleinen Französinnen!

Die Sieger der Saison 1984
Monte CarloRöhrl/Geistdörfer (D/D), Audi Quattro A2
Schweden*Blomqvist/Cederberg (S/S), Audi Quattro A2
PortugalMikkola/Hertz (FIN/S), Audi Quattro A2
SafariWaldegaard/Thorszelius (S/S), Toyota Celica Turbo
KorsikaAlen/Kivimäki (FIN/FIN), Lancia Rally 037
AkropolisBlomqvist/Cederberg (S/S), Audi Quattro A2
NeuseelandBlomqvist/Cederberg (S/S), Audi Quattro A2
ArgentinienBlomqvist/Cederberg (S/S), Audi Quattro A2
FinnlandVatanen/Harryman (FIN/GB), Peugeot 205 Turbo 16
San RemoVatanen/Harryman (FIN/GB), Peugeot 205 Turbo 16
Elfenbeinküste*Blomqvist/Cederberg (S/S), Audi Sport Quattro
RACVatanen/Harryman (FIN/GB), Peugeot 205 Turbo 16

Marken-Weltmeister: Audi
Fahrer-Weltmeister: Stig Blomqvist, Audi

*Nur Fahrer-WM