Die Geschichte der Gruppe B - Teil 1


Als schließlich das Jahr 1983 anbrach, in dem die Gruppe-4-Autos nur noch Nicht-Werksfahrern vorbehalten sein sollten, mussten die übrigen Werksteams ihre Autos vom alten Schlag umschrieben. So bennante der frisch gebackene Marken-Weltmeister Audi seinen Quattro – am ersten Januar leicht aufgerüstet mit dickeren Backen und Aluminium-Motorblock – als Quattro A1 in die Gruppe B um. Schon im Mai folgte eine Evolutionsstufe mit reduziertem Hubraum. Wegen des Turbo-Faktor kam der Quattro mit seinem Hubraum von 2.144 Kubikzentimetern multipliziert mit 1,4 knapp über die Dreiliter-Grenze, die ein Mindestgewicht von 1.100 Kilo vorschrieb. Dank des reduzierten Hubs im A2 genannten neuen Einsatzauto lag man nun knapp unter der Dreiliter-Grenze und durfte theoretisch 960 Kilo leicht sein.

Doch selbst ein Leichtbau-Quattro war ein sperriges und störrisches Gerät, wenn auf trockenem Asphalt gefahren wurde. Und so war es ein erster harter Schlag, als der Saisonauftakt in den Seealpen über Monte Carlo nahezu schneefrei war. Es wurde viel geschrieben und gepriesen über den fantastisch leichtfüßigen Lancia und den ebenso leichtfüßigen Walter Röhrl, der die Audi mit Teamkollege Alén nach Strich und Faden verdrosch. Es war die erste offizielle Rallye des Gruppe-B-Zeitalters und der erste Sieg für den 037. Röhrl gewann seine dritte Monte im dritten Auto. Man bewunderte den Fuchs Fiorio, der mit fliegender Reifenwechsel-Truppe auf den wenigen Schneeflecken mitten auf der zweiten Prüfung in einer Minute von Spike-Reifen auf Slicks umstecken ließ. Er hatte ausgerechnet, dass der Zeitverlust des Reifenwechsels geringer ist, als der Zeitgewinn durch die Haftung der profillosen Gummis.

Doch bei aller Anhimmelei für den tadellosen Lancia-Auftritt muss festgehalten werden: Wäre der Winter rechtzeitig eingetroffen, die Quattros von Hannu Mikkola, Stig Blomqvist und Michele Mouton hätten die Lancia und den Rest des Feldes unter einer Lawine begraben. Wie die Welt aussieht, wenn es nur mal regnet, konnte Lancia in Argentinien betrachten, und zwar von Rang fünf hinter vier Quattros. Zur verschneiten Schweden-Rallye, die nur zur Fahrer-WM zählte, waren die Italiener in wieder Voraussicht erst gar nicht angereist.

Ein weiteres Detail, das gern verschwiegen wird, ist der Preis, mit dem Lancia seine Leistungsfähigkeit erkaufte. Das Gitterrohrähmchen des 037 war so dünn, dass es kaum mehr als Weinlaub tragen konnte, das Plastikkleid so eng geschnitten, dass man nachträglich für die langen Lulatsche Röhrl und Alén Beulen in das Dach bauen musste, damit die hohen Herren nicht mit den Helmen das Dach durchbrechen. Attilio Bettega hatte mit dem Lancia in Korsika einen Unfall, der ihn mit einem schweren Beinbruch lange aus dem Verkehr zog, am Ende verlor der Italiener im gleichen 037 sein Leben. Es wäre falsch zu behaupten, in einem anderen Auto hätte er den seitlichen Aufprall auf einen korsischen Telegraphenmasten überlebt, dennoch muss man festhalten, dass die Lancia-Konstrukteure ihrer jüngsten Schöpfung mit dem Leben ihrer Fahrer spielten wie einst Colin Chapman mit seinen filigranen Lotus-Zigarren in der Formel 1.

So lange der 037 auf der Piste blieb, erwies er sich allerdings als äußerst robust. Dank tollem Fahrwerk, optimaler Gewichtsverteilung und rund 300 PS in allen Lebenslagen wieselten Röhrl und Alén auch bei Schotter-Rallyes so schnell um die Ecken, dass die Quattro-Treter ganz schön hinlangen mussten, um die Nase vorn zu haben. Der Audi hatte zwar locker 50 PS mehr, doch unter 6.000 Touren passierte erst einmal gar nichts, bis dann plötzlich das Leistungsgewitter losbrach. Nach einem Augenzwinkern zeigte der Drehzahlmesser schon 8.500, und da hieß es eiligst, den nächsten Gang einzulegen. Mit seiner langen Karosse, den großen Überhängen und vor allem dem weit vor der Vorderachse hängenden Fünfzylinder untersteuerte der Quattro zudem stur, wenn man ihn nicht mit kunstvollem Linksbremsen und brachialer Anstelltechnik zu anderem zwang. Immerhin erleichterte eine per Knopfdruck zu betätigende elektrische Kupplung den Fahrern die Arbeit. Weil der linke Fuß nicht mehr auskoppeln musste, konnte er nun pausenlos auf dem Bremspedal herumtänzeln.

Der Quattro war aufgrund seiner schieren Traktion und Leistung über die ganze Saison gesehen und an der Stoppuhr gemessen das bessere Rallye-Auto. Dach nach dem Durchmarsch gegen die heckgeschleuderten Asconas vom Vorjahr traf man gegen die Lancia-Truppe mit ihrem neuen Plastikrenner auf einen Gegner von anderem Schlag. Die Audianer hatten sich die Rallye-Welt als Autodidakten erobert. Von einer bayerischen Provinztruppe, die ein Jahr zuvor wegen des herrschenden Chaos beim Service noch als Klassenclowns belacht wurden, wurde zwar langsam ein Champions-League-Team, in dem man mittlerweile auch ein paar Wörter Englisch sprach, doch der Erfahrungsrückstand gegen die mehr als ein Jahrzehnt schlachterprobte Streitmacht aus Italien war in drei Jahren nicht aufzuholen.

Und so passierte das, was am Ende klassisch unter der Rubrik Lehrgeld abgespeichert werden muss: Ausgerechnet in Griechenland, wo man auf gröbsten Klamotten die Lancia hätte schlagen müssen, brach am Quattro des führenden Hannu Mikkola ein Scharnier des Kofferraumdeckels. Das klingt erst mal nach einem rein kosmetischen Problem, wenn man nicht weiß, dass der Quattro aus Gewichtsverteilungsgründen seinen Motoröl-Kühler umrahmt vom Heckflügel auf der Kofferraumklappe spazieren führte. Mikkola hörte die Steine gegen den Unterboden prasseln, er hörte das Brüllen des Motors, das Heulen der Getriebezahnräder und die Ansagen von Copilot Arne Hertz. Das Poltern der Heckklappe, die noch ein paar Kilometer am Ölschlauch hängend hinter dem Auto herrumpelte, bis die Leitung durchgescheuert war, hörte der Finne nicht. Der nach ihm kommende Röhrl sah die schimmernde Ölspur. Bald danach überholte er den todgeweihten Quattro und bescherte Lancia einen grandiosen Auswärtssieg.

Zu allem Überfluss wurde Audi-Mann Stig Blomqvist trotz verspätet abgegebenen Nennung in Neuseeland zwar zunächst zum Start zugelassen, dann aber während der Rallye von Lancia rausprotestiert worden, Mikkola strandete mit kaputter Einspritzung, die dann führende Michel Mouton ereilte ein Motorschaden. Als bei der auf gemischtem Untergrund gefahrenen Rallye San Remo im Herbst Blomqvist abflog und der Mikkola-Quattro Feuer fing, schmolzen mit dem Alublock des Audi auch die WM-Chancen dahin. Nach zehn Marken-Läufen siegte Italien 5:4 gegen die Deutschen, am Ende fehlten in Ingolstadt zwei Pünktchen zur Titelverteidigung.

Warum  in dieser Geschichte fast nur von diesem Zeikampf die Rede ist? Weil es zwar weitere Hersteller gab, deren Sportgeräte aber schon vor dem Debüt veraltet oder nur für Spezialeinsätze geeignet waren. Am positivsten ist noch der Auftritt des Toyota Celica Turbo zu bewerten. Mit dem noch unbekannten Juha Kankkunen zeigte ein sechster Rang schon beim Debüt in Finnland, wie wenig Potenzial bei Sprintrallyes in dem 360 PS starken Hecktriebler steckte. Aber die Truppe von Ove Andersson hatte ohnehin vor, sich auf Afrika-Einsätze zu spezialisieren, und schon beim zweiten Auftritt an der Elfenbein-Küste bewies Björn Waldegaard mit dem Sieg des Gruppe-B-Toyota, dass einfache und zuverlässige Technik, kombiniert mit ausreichend Topspeed auf dem schwarzen Kontinent noch immer eine Hausnummer ist.

Dementsprechend konnte auch Opel einen Sieg feiern. Mit dem Safari-Erfolg von Ari Vatanen konnten sich die Rüsselsheimer den letzten WM-Sieg eines klassischen Gruppe-4-Autos an die Fahnen heften. Dass man anschließend mit dem im Vergleich zum 260 PS schwachen Ascona etwas leichteren und stärkeren Manta 400 und den Finnen Ari Vatanen und Henri Toivonen fast ein komplettes WM-Programm fuhr, ist als reine Beschäftigungs-Therapie abzuhaken. Nicht einmal auf Asphalt hatte der Manta etwas zu bestellen, auf Schotter mussten die Fahrer Kopf und Kragen riskieren, um wenigstens Tuchfühlung zu den Lancia und Audi zu behalten. Bliebe noch Nissan zu erwähnen, deren simpler und schwerer 240 RS mit Heckantrieb und 240 Saugmotor-PS sogar in Afrika chancenlos war.

Doch nicht der ganze Rest der Welt hatte den Zug verpasst. Im traditionsbeladenen England hatte man endlich mit der ruhmreichen Vergangenheit des Rallye-Empires gebrochen und den Heckantrieb zum Alteisen gestellt. Ford begrub den Escort RS 1700 T noch vor der Geburt und plante nun genau das Mittelmotor-Auto, an das Lancia sich noch nicht rangetraut hatte. Über die Planungsphase hinaus war man in Paris. Es war wieder einmal ein kleiner Franzose, der vom Boulevard de la Grande Armee auszog, um die Welt zu erobern. Doch das ist eine andere Geschichte, die wir im nächsten Teil erzählen.

Schalten Sie also auch beim nächsten Mal wieder ein, wenn der Röhrl sagt: „Macht das noch mal und ich bring euch alle um!“

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