Rallye Erzgebirge

Legendäre Wertungsprüfung Grünhain: Mitten durchs Epizentrum

Wenn der Osten "rallyeverrückt" ist, dann ist Grünhain das Epizentrum der Begeisterung. An diesem Wochenende sollte dort die Bude wieder auf dem Kopf stehen. Dann kam Corona. Wir satteln trotzdem die Hühner und wärmen bei Bimm & Co den Asphalt auf.

Beim Namen "Rundkurs Grünhain" leuchten die ostdeutschen Augen sofort auf. Kennern huscht ein bedeutungsvolles Lächeln über das Gesicht, fast jeder kennt die Tücken der rund vier Kilometer langen Berg- und Talbahn um und mitten durch das kleine sächsische Städtchen, weit oben im Gebirge.

Da die Erzgebirgler ein eigenes Völkchen sind, schnappen wir uns kurzerhand Ronny Nahrstedt als Reiseführer. Der Polizeihauptkommissar hat nicht nur das Geburtsjahr 1980 mit dem Rundkurs gemein, er ist direkt an der Strecke aufgewachsen und jubelte bereits als Dreikäsehoch seinem Idol Armin Kremer im Gruppe-N-Trabant 601 zu, als dieser nachts am Elternhaus vorbeirauschte, um den Pokal für Frieden und Freundschaft zu holen.

Wir fahren den Kurs in Originalrichtung ab. Los geht es auf einer längeren Geraden leicht bergab, die erste Rechtskurve nahe dem Ortsausgang geht theoretisch voll - wenn man sich traut! Die massiven Bäume am Straßenrand flößen gehörigen Respekt ein. Nach einer ewig langen Links nähern wir uns der ersten Kurvenkombination namens „Bimm-Kurven“. Bimm, so erfahren wir umgehend, ist der Clubchef des MC Grünhain, quasi der Obermotz hier oben, möglicherweise noch wichtiger als der Bürgermeister.

Die Bimm-Kurven sind eine Links-Rechts-Links-Kombination gesäumt von schützenden Leitplanken, sonst würde es bei fehlendem Talent zielgerichtet den Abhang hinab in den Oswaldtalbach gehen. Zum Zeitpunkt der Namensgebung waren die Planken allerdings nicht vorhanden. Aus Rücksicht auf die Clubzugehörigkeit von Tourguide Ronny, sollen wir die Geschichte aber nicht weiter thematisieren. Rund 300 Meter weiter folgt eine Haarnadel bergauf im dunklen Wald, genannt „Dampfwalzenkurve“. Der eingefleischte Fan kennt die Stelle, hier gibt's immer die schönsten Drifts zu sehen.

Nach einer "Rechts4 cut" - man merkt Ronny seine aktive Zeit als Rallyefahrer durchaus an - geht es zügig vorbei an einer „Kureinrichtung“ zu den „Forsthäuserkurven“. Wieder eine sehr schnelle rechts-links-Kombination, welche bereits gestandenen Rallyegrößen wie Ruben Zeltner zum Verhängnis wurden. Die tiefe Wunde im Baumstamm zeugt noch immer vom bösen Einschlag, den der Sachsenring-Chef als "seinen heftigsten Abflug" charakterisiert. Ronny erzählt uns, dass früher hier wie wild gecuttet wurde und pro Durchgang mitunter drei Fahrzeuge schwerste Kaltverformungen davontrugen, welche einer Weiterfahrt entgegenstanden. Seit einigen Jahren wird das Kurvenschneiden durch Strohballen und Reifenstapel unterbunden, wodurch sich die Halbwertzeit der Rallyefahrzeuge spürbar verlängerte.

Kurz darauf passieren wir wieder den Ortseingang und steuern in einer schnellen Links "Rechts3 in Links3 bergauf " über eine Brücke, um uns den „Mühlkurven“ zu nähern, benannt nach der dort befindlichen Gaststätte „Untere Mühle“. Gegenüber wohnt ein, sagen wir mal, suboptimal-rallyebegeisterter Anwohner, dessen Zaun magische Anziehungskräfte auf einige Fahrer hat. Ronny wird sichtlich nervös, offensichtlich will man den einzigen Nicht-Rallyefan im Umkreis von 50 Kilometern nicht durch zusätzliches Fotografieren reizen. Aber was muss das muss, schließlich will die Weltöffentlichkeit wissen, wie es hier aussieht. Basta! Ausgangs der Mühlkurven werden wir noch auf den Baumstumpf hingewiesen, an dem in den frühen 1990er Jahren ein gewisser Harald Demuth einen 190er Mercedes zerschellen ließ. Wie bereits erwähnt, die zunächst unscheinbar wirkenden vier Kilometer Grünhain-WP haben nicht umsonst einen legendären Ruf.

Anschließend müssen 200 Meter Anlauf genügen, um genügend Schwung für den spektakulärsten und bekanntesten Punkt der Prüfung zu nehmen, die „Sprungkuppe an der Klostermauer“. Leider durch gewissenhafte Straßenbauer etwas entschärft, kommt es hier nur noch zu kleineren Höhenflügen."Das ist nicht mehr mit der Ost- bzw. Nachwendezeit zu vergleichen", erklärt uns Ronny pflichtbewusst. "Damals war das eine regelrechte Schanze und in Originalrichtung mit direkt folgender Linkskurve auf Kopfsteinpflaster ein Garant für spektakuläre Flug- und Fahrmanöver. Oben auf der Klostermauer saßen im Morgengrauen bereits fünf Stunden vor WP-Beginn die ersten Zuschauer, um beste Sicht zu haben."

Nach der Sprungkuppe befinden wir uns bereits mitten in der Stadt, vorbei am Klosterteich geht es zum „Dressel-Eck“. Aufgrund fehlender Dialektkenntnis beim Redakteur hinterfragen wir lieber nicht den wundersamen Namen für diesen T-Links-Abzweig. Kurze Zeit später biegen wir an der „Scharfen Ecke“ wieder links ab und haben den Rundkurs einmal umrundet. Auch der dortige Zaun wirkt wie ein Magnet auf Rallyefahrzeuge und musste im Laufe der Jahre des Öfteren instandgesetzt werden. Wie viele Baumärkte gibt es eigentlich hier?

Warten auf 2021

In dieser Saison bleibt es aber ruhig und kein Anwohner muss um seinen Besitz fürchten. Die Rallye Erzgebirge, die an diesem Wochenende stattfinden sollte, wurde wegen der Corona-Krise abgesagt. Auch die Rallye Grünhain selbst findet nicht statt. Aber 2021 geht es wieder zur Sache. Wetten?

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